Schon die erste Bundesratswahl 1848 war von Intrigen begleitet. Es ging um die Frage, wo sich die Bundeshauptstadt befinden sollte. Der Zürcher Jonas Furrer und der Berner Ulrich Ochsenbein machten die Annahme ihrer Wahl davon abhängig, dass ihr Kanton den Zuschlag erhielt. Gelöst wurde der Streit mit einem gut schweizerischen Kompromiss: Bern wurde Hauptstadt, Zürich erhielt die eidgenössische Hochschule, die heutige ETH. Und Furrer wurde erster Bundespräsident.
In der Regel verlaufen die Bundesratswahlen aber nach Drehbuch: Die Bundesversammlung segnet den Vorschlag der betreffenden Partei ab (Einerkandidaturen waren bis in die 1980er Jahre die Regel). Echte Kampfwahlen blieben die Ausnahme. In der jüngeren Vergangenheit hat sich dies geändert. Hier einige spektakuläre Beispiele aus den letzten Jahrzehnten:
Der 17. Dezember 1959 war ein denkwürdiger Tag: Erstmals wurde eine Bundesratswahl live am Fernsehen übertragen. Ausserdem waren vier Bundesräte auf einmal zurückgetreten: Alle drei Vertreter der CVP (die damals Konservativ-Christlichsoziale Volkspartei hiess) sowie ein Freisinniger. Die Sozialdemokraten waren seit 1953 nicht mehr in der Landesregierung vertreten. Sie wollten erst zurückkehren, wenn ihnen zwei Sitze garantiert wurden.
Die CVP bot sich als Steigbügelhalterin an. Als Strippenzieher agierte ihr Generalsekretär Martin Rosenberg. Er hatte den Dreierrücktritt «seiner» Bundesräte orchestriert. Die SP sollte eines dieser Mandate erhalten, ein weiteres wollte man der FDP «entreissen». Die Konservativen wollten damit die Vormachtstellung des Freisinns, ihres alten Rivalen im Kulturkampf, endgültig beenden.
Die ersten Wahlen verliefen nach Plan. Der Zürcher SP-Ständerat Willy Spühler (wegen seiner aristokratischen Ausstrahlung «Lord von Aussersihl» genannt) erhielt wie abgemacht den Sitz der CVP. Spannend wurde es im letzten Durchgang: Die FDP wollte ihren frei gewordenen Sitz nicht kampflos abgeben. Offizieller Kandidat der SP war Parteipräsident Walther Bringolf.
Der charismatische und wortgewaltige Schaffhauser war den Bürgerlichen wegen seiner kommunistischen Vergangenheit nicht genehm. Die Christlichdemokraten bevorzugten den Basler Ständerat Hans Peter Tschudi. Nach zwei ergebnislosen Wahlgängen musste Bringolf einsehen, dass er keine Chance hatte. Der Weg für Tschudi war frei und damit für die legendäre Zauberformel (2 FDP, 2 CVP, 2 SP, 1 SVP), die 44 Jahre Bestand haben sollte.
Nachdem je ein Bundesrat von SP, CVP und FDP zurückgetreten war, mussten gleich drei Sitze neu besetzt werden. Am Ende dieses Wahltags hatte sich keiner der drei offiziellen Parteikandidaten durchgesetzt. Beim SP-Sitz kam es zu einer Wiederholung der Ereignisse von 1959: Erneut nominierte die Fraktion den Parteipräsidenten, den Aargauer Arthur Schmid. Erneut hielten die Bürgerlichen ihn für zu links, sie votierten für den Solothurner Willi Ritschard.
Seine Wahl hatte einen willkommenen Nebeneffekt: Der Solothurner CVP-Nationalrat Leo Schürmann war wegen der Kantonsklausel aus dem Rennen. Er war ein brillanter Kopf, doch ein solcher sass mit seinem St.Galler Parteikollegen Kurt Furgler bereits im Bundesrat. Zwei CVP-Alphatiere in der Landesregierung – das war sogar für die eigene Partei zu viel. «So, der Fall Schürmann wäre damit erledigt», sagte Fraktionschef Alois Hürlimann nach der Ritschard-Wahl.
Sein Namensvetter, der Zuger Ständerat Hans Hürlimann, galt neben Leo Schürmann als Favorit. Offizieller Kandidat der CVP war jedoch der Tessiner Nationalrat Enrico Franzoni. Er war nicht unbedingt der lachende Dritte, eher eine Verlegenheitslösung. Die Linke nahm ihm übel, dass er sich vom blutrünstigen ugandischen Diktator Idi Amin einladen liess. Bei der Wahl hatte Franzoni keine Chance, und nach Schürmanns Out durfte sich Hans Hürlimann als Bundesrat feiern lassen.
Schliesslich musste auch der FDP-Kandidat, der Genfer Henri Schmitt, über die Klinge springen. Dies war keine grosse Überraschung. Schmitt hatte sich in der Fraktion nur ganz knapp gegen den Waadtländer Georges-André Chevallaz durchgesetzt. Der Lausanner Stadtpräsident durfte vor allem auf die Stimmen der SP zählen. Er galt im Gegensatz zum Wirtschaftsanwalt Schmitt als Linksfreisinniger. Chevallaz wurde komfortabel gewählt.
Willi Ritschard, der gelernte Heizungsmonteur und populäre «Büezer-Bundesrat», war auf einer Wanderung einem Herzversagen erlegen, zwei Monate nachdem er seinen Rücktritt angekündigt hatte. Zwölf Jahre nach Einführung des Frauenstimmrechts fand die SP, dass die Zeit reif war für die erste Bundesrätin. Sie nominierte die Zürcher Nationalrätin Lilian Uchtenhagen.
Die Bürgerlichen reagierten abwehrend. Gegen Uchtenhagen wurden frauenfeindliche Klischees vorgebracht, etwa dass sie zu wenig belastbar sei. Ein Problem war auch, dass sie wegen der Kantonsklausel und aufgrund des Bürgerrechts ihres Mannes den Kanton Basel-Landschaft im Bundesrat vertreten sollte. Dem Baselbieter FDP-Nationalrat Felix Auer passte dies nicht, er war der Hauptdrahtzieher gegen Uchtenhagen.
In der «Nacht der langen Messer» beschlossen die Bürgerlichen, den Solothurner Otto Stich zu wählen. Dieser akzeptierte die Wahl, worauf die SP-Führung einen Sonderparteitag ansetzte. Sie beantragte den Austritt aus dem Bundesrat, doch die Parteibasis votierte klar für den Verbleib. Der ungeliebte Stich erwies sich später als verlässlicher Verbündeter seiner Partei im Bundesrat.
Nach dem turbulenten Abgang von Elisabeth Kopp (FDP) war der Bundesrat fast vier Jahre lang «frauenlos» geblieben. Der Rücktritt des Neuenburger Sozialdemokraten René Felber eröffnete eine neue Chance. Die SP setzte mit der Genfer Nationalrätin Christiane Brunner auf eine Einerkandidatur. Als Feministin mit Patchwork-Familie und Vertreterin der 68er Generation war sie den Bürgerlichen suspekt.
Nach einer wüsten Schlammschlacht mit reichlich Sexismus wählten sie den Neuenburger Francis Matthey als «wilden» Kandidaten in den Bundesrat. Er bat nach Rücksprache mit der SP-Fraktion um eine Woche Bedenkzeit. Die Brüskierung von Christiane Brunner empörte die Frauen. Am Wochenende zwischen den Wahlgängen kam es in mehreren Städten zu Kundgebungen.
Unter massivem Druck der Parteileitung um Präsident Peter Bodenmann erklärte Matthey schweren Herzens seinen Verzicht auf die Wahl. Gleichzeitig war sich die SP bewusst, dass sie nicht an Brunner allein festhalten konnte. Die Fraktion nominierte zusätzlich die kaum bekannte Gewerkschaftssekretärin Ruth Dreifuss. Sie wurde im dritten Wahlgang gewählt und liess sich danach mit ihrer politischen «Zwillingsschwester» Christiane Brunner auf dem Bundesplatz feiern.
Die Wahlen im Oktober waren für die Schweiz eine Zeitenwende. Die SVP, die sich seit Jahren im Aufwind befand, stellte erstmals die grösste Fraktion im Parlament. Die Zauberformel geriet ins Wanken. Präsident Ueli Maurer forderte ultimativ einen zweiten Bundesratssitz für seine Partei. Er sollte an Christoph Blocher gehen, den polarisierenden «Leitwolf» der Volkspartei.
Der Angriff galt der CVP, die mit zwei Sitzen übervertreten war. Diese war nicht bereit, einen ihrer beiden Amtsinhaber Joseph Deiss und Ruth Metzler zu opfern. Unterstützt wurde sie von SP und Grünen, während die FDP den Anspruch der SVP akzeptierte. In den Wochen bis zur Gesamterneuerungswahl am 10. Dezember hielt der «Bundesrats-Krimi» die Schweiz in Atem.
Ruth Metzler musste vor Parteikollege Deiss zur Wiederwahl antreten. Die Innerrhoderin war umstritten, viele beurteilten sie als Leichtgewicht. Im ersten Wahlgang lag sie mit 116 Stimmen gleichauf mit Herausforderer Blocher. Danach liessen wohl auch einige CVPler ihre Bundesrätin fallen. Christoph Blocher eroberte im dritten Wahlgang mit 121 Stimmen den Sitz für seine SVP.
Die Zauberformel war Geschichte und Metzler erst das dritte Mitglied des Bundesrats, das vom Parlament nicht wiedergewählt wurde. Für den Historiker Urs Altermatt handelte es sich um einen «Tabubruch». Weil in der Folge auch der Ausserrhoder Rechtsfreisinnige Hans-Rudolf Merz zum Nachfolger von Kaspar Villiger gewählt wurde, sprach man von einem Rechtsrutsch im Bundesrat.
Christoph Blocher war im Bundesrat eine streitbare Figur geblieben. Er nervte mit seiner besserwisserischen Art und verletzte wiederholt das Kollegialprinzip. Obwohl die SVP die Wahlen erneut gewann, schmiedete die SP ein Komplott zu seiner Abwahl. Sie wollte die Bündner SVP-Regierungsrätin Eveline Widmer-Schlumpf als Gegenkandidatin lancieren.
Die CVP stieg auf den Plan ein, sie erkannte die Möglichkeit, sich für den Verlust ihres zweiten Sitzes zu «rächen». In einer taktischen Meisterleistung gelang es, den Namen Widmer-Schlumpf unter dem Deckel zu halten. Allerdings wussten die «Verschwörer» bis zuletzt nicht, ob sie genügend Stimmen für den Coup hatten.
Bereits im ersten Wahlgang am 12. Dezember lag die Bündnerin jedoch vor Blocher. Im zweiten Wahlgang war sie mit 125 Stimmen gewählt. Widmer-Schlumpf bat um einen Tag Bedenkzeit und erklärte schliesslich die Annahme der Wahl. Christoph Blocher hielt eine wütende Rede und führte die SVP in die Opposition. Ein Jahr später kehrte sie mit Ueli Maurer in den Bundesrat zurück.