Die SVP fährt wieder einmal schweres Geschütz auf. Sie hat dem Bundesrat am Dienstag vorgeworfen, mit seinen Vorschlägen zur Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative den Volkswillen zu missachten. Ein Dorn im Auge ist der SVP, dass die Zuwanderung aus Europa nur mit Zustimmung der EU begrenzt werden soll. Damit werde Brüssel ein Vetorecht bei der Schweizer Gesetzgebung eingeräumt. Auch lasse sich damit keine signifikante Reduktion der Nettozuwanderung erreichen, wie es die Verfassung verlange, monierte Fraktionschef Adrian Amstutz.
Es war absehbar, dass die vor drei Monaten vorgestellte Vorlage, die den neuen Verfassungsartikel flexibel umsetzen will, bei der Urheberin der Initiative auf Ablehnung stösst. Die übrigen Parteien dagegen tun sich schwer mit dem Volksentscheid vom 9. Februar 2014, der die Schweiz erschüttert hat. Das zeigen die bislang vorliegenden Antworten auf die Vorschläge der Landesregierung (die Vernehmlassungsfrist endet am Donnerstag).
Als bislang einzige Partei begrüsst die SP die vorgeschlagenen Ausnahmen für Angehörige von EU- und Efta-Staaten von Kontingenten und Inländervorrang. CVP und BDP wollen die Zuwanderung begrenzen, aber auch am bilateralen Weg mit der EU festhalten. Beide Parteien hoffen, dass die EU eine Schutzklausel akzeptiert, die bei einer starken Zuwanderung aktiviert werden kann. Die BDP fordert zusätzlich eine Volksabstimmung über die Bilateralen.
Einen ähnlichen Weg hat FDP-Präsident Philipp Müller in der «SonntagsZeitung» skizziert: Falls die EU keine Zugeständnisse bei der Personenfreizügigkeit mache, solle das Volk in einer Variantenabstimmung die Wahl haben zwischen dem Bruch mit Brüssel und einer pragmatischen Umsetzung der SVP-Initiative. Dazu präsentierte Müller ein Massnahmenpaket, mit dem die FDP die Migration aus Drittstaaten beschränken, das Asylwesen beschleunigen und gegen «die Einwanderung in die Sozialsysteme» vorgehen will.
Eine klare Linie bei der Umsetzung des neuen Zuwanderungs-Artikels ist nicht erkennbar. Vielmehr ergebe sich «ein einigermassen chaotisches Bild», schrieb die «NZZ am Sonntag» in einem Kommentar. Sie tröstet sich damit, dass diese Kakofonie «der demokratische Normalzustand» sei. Irgendwann aber muss eine tragfähige Gesetzgebung entstehen. Vor den Wahlen im Oktober ist nichts mehr zu erwarten. Danach dürfte der Bundesrat seinen definitiven Umsetzungsvorschlag präsentieren, die Beratungen im Parlament könnten in der ersten Hälfte 2016 stattfinden.
Eine Mehrheit für eine pragmatische Lösung scheint machbar. Die SVP dürfte das Referendum ergreifen oder eine Durchsetzungsinitiative lancieren. Am Dienstag drohte sie indirekt mit einer «radikalen» Volksinitiative. Allerdings ist nicht auszuschliessen, dass das Ausführungsgesetz im Parlament an einer «unheiligen» Links-Rechts-Allianz scheitern wird. Der Bundesrat müsste nach Ablauf der dreijährigen Umsetzungsfrist eine Verordnung erlassen.
Die geforderte Volksabstimmung über die Zukunft der Bilateralen wird ohnehin kommen, in Form des institutionellen Rahmenabkommens, über das Bern und Brüssel derzeit verhandeln. Es soll die Zukunft des Bilateralismus regeln und die Schweiz enger an die EU binden. Wir werden dicke Kröten schlucken müssen (Stichwort fremde Richter), ein Scheitern ist dennoch keine Option. In Brüssel geben die Hardliner den Ton an, sie haben klar gemacht, dass es ohne Rahmenvertrag keine neuen Bilateralen – etwa zum Strommarkt – geben wird.
Stattfinden könnte die Abstimmung am 27. November 2016. Die SVP betonte, sie wolle einen Grundsatzentscheid über die Zukunft des bilateralen Wegs nach wie vor vermeiden. Dabei bereitet sich Parteiguru Christoph Blocher mit seinem Komitee «EU NO» seit Monaten auf nichts anderes vor. Er hofft, die Schweiz mit einem Nein definitiv von der verhassten EU abkoppeln zu können. Sagt das Volk jedoch Ja, würde es auch die Personenfreizügigkeit bestätigen. Der Weg wäre definitiv frei für eine «sanfte» Umsetzung ohne Kontingente und Inländervorrang.
Eine solche Strategie ist nicht ohne Risiko, denn die Zuwanderung bleibt trotz 9. Februar 2014 und Frankenschock auf hohem Niveau. Allein im ersten Quartal 2015 sind 23'000 Personen mehr in die Schweiz ein- als ausgewandert. Die SP hebt den Mahnfinger: Nur wenn den Sorgen der Bevölkerung mit wirksamen wirtschaftlichen und sozialen Reformen begegnet werde, sei eine weitere Abstimmung – «und die kommt bestimmt» – zu gewinnen.
Ich bin bei der ganzen Polemik um diese Abstimmung eh hin und her gerissen. Ich finde aber es ist ein Entscheid der durch die Mehrheit gefällt wurde und den wir nun als Demokratisches Land gemeinsam zu tragen haben. Ob es dann gut oder schlecht kommt kann man ja nicht mit Sicherheit sagen, auch wenn Politiker das gerne behaupten (links wie rechts...)