Wenn du zur «Generation Goldfisch» gehörst, ist die Möglichkeit gross, dass du mitten in diesem Satz aufhö…
Acht Sekunden beträgt die durchschnittliche Aufmerksamkeit eines Menschen heutzutage. Sie ist damit eine Sekunde kürzer als diejenige eines Goldfisches. Seit die entsprechende Studie vor vier Jahren publiziert wurde, dürfte die Aufmerksamkeitsspanne angesichts von steigendem Smartphone-Konsum weiter gesunken sein. Im Jahr 2000 betrug sie immerhin noch zwölf Sekunden.
Wir haben Mühe, uns auf eine Sache zu konzentrieren und lassen uns sehr schnell ablenken. Nicht nur im «richtigen Leben» ist die sinkende Aufmerksamkeitsspanne ein Thema. Viele Sportarten haben damit zu kämpfen. Wieso soll ich etwa den kompletten zweiten Lauf eines Slaloms schauen, wenn eh nur die letzten drei Fahrerinnen für den Sieg in Frage kommen? Die Welt hat sich verändert, seit man mehr als einen TV-Sender empfangen kann und das Internet 24/7 im Hosensack hat.
So verfolgen wir etwa Fussballspiele anders als früher. Sitzen wir im Stadion, machen wir ein Selfie, das wir Freunden schicken oder auf Instagram posten. Wir schauen während der Partie rasch nach, ob unsere Erinnerung stimmt und der Stürmer des Gegners früher tatsächlich mal in Wohlen spielte. Spätestens in der Pause ziehen wir uns das Video des umstrittenen Penaltys rein, den es gegeben hat. Und schauen wir im Fernsehen Fussball, chatten wir parallel dazu auf WhatsApp mit Kollegen über das Spiel.
Verbände und Veranstalter sind sich des Problems oft bewusst. Mit neuen Formaten und Regeländerungen versuchen sie, für mehr Action und Drama in kürzerer Zeit zu sorgen. So, wie es dem Zeitgeist entspricht.
Nächste Woche finden die Next Generation Finals der ATP statt, gewissermassen die WM der besten U21-Spieler des Jahres. Beim Turnier in Mailand wird erneut nach anderen Regeln gespielt – von denen einige künftig vielleicht fix übernommen werden.
Zuletzt sagte der abtretende ATP-Chef Chris Kermode: «Wir erhoffen uns mehr Momentum und weniger zeitliche Varianz in der Dauer der Matches, was immer schwierig für die TV-Übertragung ist.» Gerade, dass oft unklar ist, wann ein Match beginnt und stets offen ist, wie lange er dauert, kann Zuschauer daran hindern, Tennis zu schauen.
Ebenfalls einen neuen Modus hat der vor über 100 Jahren ins Leben gerufene Davis Cup erhalten. Ab dem 18. November geht es erstmals in einem einwöchigen Finalturnier mit 18 teilnehmenden Nationen um die «hässlichste Salatschüssel der Welt». Die Schweiz war – ohne Roger Federer und Stan Wawrinka – in der Qualifikation hängengeblieben.
Eine Entscheidung im Spiel und nicht in der «Lotterie» Penaltyschiessen – das war der Grund für eine einschneidende Regeländerung im Eishockey. Die fünfminütige Verlängerung wird in der Regular Season nur noch mit je drei Feldspielern bestritten. So hat es viel Platz, die Overtime ist häufig ein Spektakel und die Anzahl Penaltyschiessen ist stark rückläufig.
Stichwort «drei gegen drei»: In diesem Format wird 2020 bei den Olympischen Spielen Basketball gespielt. Anders als beim herkömmlichen Basketball, wo je fünf Feldspieler im Einsatz stehen, wird in dieser Variante wie einst beim «Streetball» auf nur einen Korb gespielt. Eine Partie ist fertig, wenn das erste Team 21 Punkte erzielt hat – oder nach höchstens zehn Minuten. Ein erfolgreicher Korb gibt einen Punkt, einer von weiter weg zwei Punkte. Ein Angriff muss nach zwölf Sekunden abgeschlossen sein.
Der «König» des Sports hat (noch) nicht das Problem, dass die Zuschauer die 90 Minuten zu lange finden, grundsätzlich sind die Regeln einfach und verständlich. Dennoch wird auch im Fussball geschraubt: Mit der Einführung von Video-Schiedsrichter, Torlinientechnik und neuen Handspielregeln wurde der Profifussball zuletzt für viele Involvierte und Fans verschlimmbessert. Die Änderungen tragen jedenfalls nicht dazu bei, dass der Sport einfacher zu verfolgen ist.
Regeln wie das Golden Goal oder das Silver Goal in der Verlängerung wurden eingeführt und wieder abgeschafft, dafür darf in manchen Wettbewerben neu vier Mal gewechselt werden. Die letzte einschneidende Regeländerung, natürlich vom VAR abgesehen, waren die Einführung der Rückpassregel 1992 und der Drei-Punkte-Regel 1995/96.
Der Skisport kämpft dagegen an, dass er immer mehr zum Randsport wird. Der Klimawandel mit kürzeren Wintern hilft ihm nicht gerade dabei, neue Fans zu gewinnen. Eine Lösung: Parallel-Wettbewerbe, nach Geschlecht getrennt wie auch als Mixed-Wettkampf.
Die Parallel-Wettbewerbe wurden auf diesen Winter hin aufgewertet. Erstmals gibt es in dieser Saison eine eigene Kristallkugel für den Sieg in der Disziplinenwertung.
Gunder Gundersen hat nicht nur einen tollen Namen, er hatte einst auch einen genialen Einfall. Der frühere Nordisch-Kombinierer kreierte die nach ihm benannte Gundersen-Methode. Seit der WM 1985 werden die im Skispringen erreichten Wertungspunkte in Zeiten umgerechnet. Wer weniger weit springt, nimmt den Langlauf mit entsprechendem Rückstand auf. Wer dann im Langlauf als erster im Ziel ist, hat gewonnen.
Solche Verfolgungsrennen kennt mittlerweile auch der Langlauf- und Biathlonsport. Auch die alpine Kombination hatte früher einen komplizierten Punktemodus, ehe in den 1990er-Jahren dazu übergegangen wurde, einfach die Zeiten aus Abfahrt und Slalom zusammenzuzählen.
Eine Runde à 18 Löcher dauert Stunden. Um die Zeit wenigstens ein bisschen zu verkürzen, gibt es Turniere mit einer «Shot Clock». Spieler müssen den Ball nach 40 oder 50 Sekunden spielen. Lässt er sich zu lange Zeit, kassiert er einen Strafschlag.
Die Tendenz geht zu kürzeren Etappen, die dafür intensiver gefahren werden. Und – gerade bei der Tour de Suisse – zu Rundkursen statt Fahrten von A nach B. Häufig finden nach dem ersten Überfahren des Zielstrichs noch eine oder mehrere Zusatzschlaufen statt. So sehen die Zuschauer die Fahrer öfter und bekommen mehr vom Rennen mit.
Was waren das früher manchmal für zähe Sprints! Jedem Athlet wurde ein Fehlstart zugestanden. So kam es manchmal zu zwei, drei oder noch mehr Starts, die jeweils minutenlang vorbereitet werden mussten. 2003 wurde die Regel ein erstes Mal angepasst. Nun war der erste Fehlstart «gratis», wer danach zu früh los rannte, wurde disqualifiziert, egal wer den ersten Fehlstart verursacht hatte. Weil das zu Psychospielchen einlud, wurde die Fehlstartregel 2010 erneut verschärft: Seither ist jeder Athlet, der zu früh startet, raus. Dieselbe Regelung gilt mittlerweile auch beim Schwimmen.
Ein Trend, der in vielen Sportarten zu beobachten ist, ist die Schaffung von Wettbewerben, die Frauen und Männer gemeinsam oder nacheinander absolvieren. So gab es jüngst an der Leichtathletik-WM erstmals eine gemischte 4x400-m-Staffel. Während die meisten Teams Mann/Frau/Frau/Mann aufstellten, liefen bei den Polen zunächst die beiden Männer. So konnten sie ihren Frauen einen Vorsprung mitgeben – eine interessante Taktik, auch wenn sie nicht aufging. Polen belegte Platz 5.
Mixed-Bewerbe wirken oft noch etwas gesucht und sind für manchen Beobachter fehl am Platz. Ihr grosser Vorteil ist, dass kleine Nationen bessere Chancen haben. Wenn sie, um bei der Leichtathletik zu bleiben, pro Geschlecht zwei Athleten haben müssen, ist ein Erfolg eher zu erreichen, als wenn sie für eine herkömmliche Staffel vier Sportler benötigen. Im vergangenen Winter schaffte es die Schweizer Mixed-Staffel zum Auftakt des Biathlon-Weltcups als Zweite aufs Podest. Ein historischer Erfolg, denn weder die Frauen- noch die Männer-Staffel hatte es zuvor auf das Siegertreppchen geschafft. Und es tut jeder Sportart gut, wenn nicht immer die gleichen gewinnen, wie im Radquer die Belgier oder im Langlauf die Norwegerinnen.
Schon tragisch, irgendwie.