Rund drei Wochen ist es nun her, seit der Nowa-Kachowka-Damm gebrochen ist und die südlichen Ausläufe des Dnipro und seine Umgebung geflutet hat. Immer noch werden Mensch und Tier aus ihren Wohnungen, Häusern und Dörfern evakuiert. Und jetzt sollen sogar Cholera-Erreger und E. Coli-Bakterien im Flutwasser gefunden worden sein.
Die Auswirkungen des Dammbruchs bleiben weiterhin von katastrophalem Ausmass. Doch noch ist die Frage nach der Ursache nicht geklärt. Und noch wichtiger: Die Frage nach dem Verursacher ist ebenfalls unbeantwortet. Haben die Russen den Damm gesprengt? War es ukrainischer Beschuss? Schludrige Wartung? Materielle Abnützung?
Ersteres, meint die «New York Times», wenn auch nicht zwingend auf Russland bezogen. In einer detaillierten Recherche kommt sie zum Schluss, dass die Indizien dafür sprechen, dass der Kachowka-Damm von innen her gesprengt wurde. Ein Ausflug ins Ingenieur- und Satellitenwesen.
Am 06. Juni registrierten Seismographen in der Ukraine seismische Aktivitäten um 02.35 Uhr in der Früh. Gut 20 Minuten später schlugt auch ein rumänisches Messgerät aus. Augenzeugen gaben später an, dass sie zwischen 02.15 und 03.00 Uhr laute Explosionen gehört hätten.
Dr. Ben Nando, Seismologe beim norwegischen Unternehmen Norsar, welches sich mit seismischen Überwachungen beschäftigt, erklärt, dass die Messwerte durchaus mit einer Explosion zu erklären seien. Der Kollaps des Dammes allein würde für die Ausschläge nicht ausreichen.
Seismographen können die Zeit einer Detonation zwar auf Sekunden genau angeben, die Ortsangabe hingegen sei schwieriger, so Dando. Das Signal von 02.54 Uhr konnte von Norsar auf eine 20 bis 30 Kilometer breite Zone eingeschränkt werden. Der Kachowka-Damm liegt in dieser Zone.
Dazu kommt jedoch, dass kurz bevor der Damm brach, ein amerikanischer Satellit Infrarotwerte jenseits des normalen Messbereichs feststellte. Auch diese könnten durch die Hitze einer Explosion verursacht worden sein.
Um den Schaden am Damm untersuchen zu können, muss man den Aufbau des Bauwerks verstehen. Über dem Wasser sichtbar sind Auto- und Schienenbrücke sowie die Kräne, die die Schotten des Damms öffnen und schliessen. Der grösste Teil des Damms liegt jedoch unter Wasser: ein Betonmassiv, auf dem das ganze Bauwerk steht.
Fast 20 Meter hoch und am Boden fast 40 Meter dick ist das Betonmassiv. So soll es auch sein: Die Konstruktion aus der Sowjetzeit sollte fast allen Angriffen von aussen standhalten können. Durch dieses Fundament verläuft ein Wartungstunnel, in welchen man vom Maschinenhaus (russische Seite) aus gelangt.
Zurück zum Schaden. Zum einen fehlt dort, wo der Damm gebrochen ist, fast alles, was sich über dem Wasser befinden sollte. Die Brücken sowie die Kräne sind fort, weggespült von den Fluten. Was aber auch fehlt, ist eben dieses Betonfundament. Dieses ist zwar unter Normalbedingungen unter dem Wasser, da jedoch nun der Pegel so weit gesunken ist, kann man es bei unbeschädigten Abschnitten erblicken.
Wenn nun also dieses massive Stück Beton ganz oder auch nur teilweise zerstört ist, lässt dies nur wenige Schlüsse zu. Zur Erinnerung: Der Damm sollte Angriffen von aussen standhalten – nicht solchen von innen. Und ein Angriff von innen, der genug Kraft hätte, das Fundament schwer zu beschädigen, liesse sich am besten mit einer Explosion im Wartungstunnel erklären.
Zu diesem Schluss kommen zwei US-amerikanische Ingenieure, ein Sprengstoffexperte und ein ukrainischer Ingenieur, welcher reichlich Erfahrung mit dem Damm hat.
«Wenn man den Damm selbst zerstören will, bräuchte man eine grosse Explosion», sagt Michael W. West, Geotechnischer Ingenieur und Experte für Dammbrüche, gegenüber der NYT. «Der Durchgang wäre ein idealer Ort, um eine Ladung, die so eine Explosion bewirken könnte, zu platzieren.»
Ihor Strelets ist ebenfalls Ingenieur und war von 2005 bis 2018 der Vorsteher des Departements für Wasserressourcen. Er bezeichnet den Wartungsdurchgang als «Achillessehne» des Damms. Und auch er hatte früh den Verdacht, dass jemand eine explosive Ladung im Durchgang gezündet hat: «Ich will nicht, dass meine Theorie stimmt, aber es ist die einzige Erklärung.»
Eine solche Explosion im Inneren des Bauwerks würde einen totalen Verlust des Damms bedeuten. «Ich bin diesen Damm viele Male entlanggelaufen. Ich war stolz darauf.»
Nick Glumac, Professor des Ingenieurbaus und Experte für Sprengstoff, erläutert, dass man nicht genau bestimmen kann, wie viel Sprengstoff für ein solches Schadensausmass nötig war. Es komme ganz darauf an, wo genau die Ladung platziert worden sei und was der Zweck dahinter war.
Doch auch Glumac kommt nach Untersuchung des Damm-Querschnitts und der Bilder der Zerstörung zum selben Schluss: «Für mich ist es schwer, etwas anderes als eine Explosion von innen als Schadensursache zu sehen. Das ist verdammt viel Beton.»
Eine gründliche Untersuchung des Vorfalls kann weiterhin nicht durchgeführt werden. Noch ist der Wasserstand zu hoch. Doch er wird sinken, und eines Tages wird sich das Geheimnis um den Kachowka-Damm lüften. Hoffentlich.
Der Damm konnte daher ja nur von innen gesprengt mit Tonnen von Sprengstoff gesprengt werden
Und wer hatte die Kontrolle über den Damm und die Zufahrtsstrasse?
Eben.