Trump kann Diktator nur schlecht – zum Glück
Jeder, der es wissen wollte, konnte es auch wissen: Im Wahlkampf erklärte Donald Trump unmissverständlich, dass er im Falle eines Sieges einen Rache- und Vergeltungszug durchführen werde. Er witzelte damit, dass er zumindest «Diktator für einen Tag» sein werde. Und in «Project 2025», einem beinahe 1000 Seiten umfassenden Strategiepapier, listeten Trump-hörige Vordenker minutiös auf, wie die amerikanische Demokratie gezielt auszuhebeln sei.
Im Amt verhält sich Trump wie erwartet, er hält sich an das Drehbuch aller Diktatoren, das letztlich erschreckend banal und leicht vorhersehbar ist: Der Widerstand der Justiz wird ignoriert und renitente Richter werden entlassen. Die Medien werden sukzessive so eingeschüchtert und mit absurden Klagen eingedeckt, dass sie keine Kritik mehr wagen. Oder sie werden an Oligarchen im Umfeld des Präsidenten verschachert.
Die Bevölkerung wird systematisch eingeschüchtert, sei es mit maskierten Vertretern der Immigrationspolizei ICE, die willkürlich Menschen verhaften und in Lager transportieren, oder sei es mit Soldaten der National Guard, die in Städte geschickt werden, um angeblich Kriminalität zu bekämpfen, in Wirklichkeit jedoch vorwiegend Müll einsammeln müssen.
Kurz: Trump verhält sich, wie sich «Strong Men» nun mal verhalten, und wie es die Historikerin Ruth Ben-Ghiat in ihrem gleichnamigen Buch eindrücklich beschreibt. Es ist auch glasklar, was der US-Präsident will: einen Mafia-Staat, in dem er unbegrenzte Macht hat und in dem er sich ungehindert bereichern kann, einen Staat, wie ihn Wladimir Putin bereits installiert hat und wie Viktor Orban in Ungarn und Recep Tayyip Erdogan in der Türkei im Begriff sind, zu verwirklichen.
Auch Trump eilt auf Siebenmeilenstiefeln auf einen solchen Staat zu. Mit dem Mord an Charlie Kirk hat er seinen «Horst Wessel» gefunden, einen Märtyrer der Nazis, den Hitler dazu missbrauchte, den Rechtsstaat ausser Gefecht zu setzen und seine politischen Feinde in KZs zu verfrachten. Wie das jüngste Beispiel des Comedians Jimmy Kimmel zeigt, sind der US-Präsident und seine Helfershelfer gewillt, ähnlich gegen Kritiker, NGOs, ja gar gegen die Demokraten vorzugehen.
Es ist erschreckend, wie weit Trump seine Pläne bereits durchsetzen konnte. Die viel zitierten «checks and balances» der amerikanischen Demokratie versagen: Der Oberste Gerichtshof leistet keinen Widerstand und entscheidet dank einer konservativen Mehrheit in der Regel für den Präsidenten, seien die Urteile, was die Verfassung betrifft, auch noch so fragwürdig. Meist müssen die obersten Richter gar nicht eingreifen, weil schon die Berufungsrichter sich dem Willen des Präsidenten beugen und Urteile gegen ihn aus erster Instanz abschmettern.
Auch der Widerstand der Finanzmärkte ist bisher weitgehend ausgeblieben. Besoffen von den Aussichten, welche die künstliche Intelligenz angeblich bietet, eilen die Kurse an den Aktienbörsen von Rekordhoch zu Rekordhoch, derweil die Obligationsmärkte die drohende Inflationsgefahr stoisch ignorieren.
Ist das Rennen also bereits gelaufen? Müssen wir uns damit abfinden, dass die USA bald schon ein Schurken- und Mafia-Staat à la Russland sein werden? Nicht ganz. Noch könnte Trump scheitern, nicht an den «checks and balances» oder «Anleihen-Wächtern», sondern an seiner eigenen Inkompetenz.
Diese Inkompetenz ist mit den Händen greifbar und zeigt sich beispielsweise an der Wahl seines Personals. FBI-Direktor Kash Patel, Verteidigungsminister Pete Hegseth und Geheimdienst-Chefin Tulsi Gabbard sind derart unfähig, dass mittlerweile gar Kritik aus dem eigenen Lager laut wird. Nach seinem tollpatschigen Eingreifen in die Ermittlungen im Fall Kirk und seinem ungeschickten Verhalten im Fall der Epstein-Files muss Patel ernsthaft um seinen Job bangen.
Robert F. Kennedy entwickelt sich derweil zu einer ernsthaften Gefahr für die Amerikaner. Der Gesundheitsminister hat das Centers for Disease Control and Prevention (CDC), das weltweit führende Institut auf dem Gebiet der Bekämpfung von Pandemien, kastriert. Die Aufsicht über die Impfprogramme hat Kennedy mit Schwurblern besetzt, die dafür sorgen sollen, dass Impfen, wenn überhaupt, weitgehend freiwillig erfolgt und nicht mehr mit staatlichen Geldern unterstützt wird. Zudem hat er Forschungsgelder für die Weiterentwicklung der mRNA-Impfstoffe gestrichen, obwohl sich Wissenschaftler gerade davon grosse Fortschritte erhoffen.
Kennedy hat all dies im Wissen getan, dass gegen 90 Prozent aller Amerikaner nach wie vor an die bisher gültige Impfpolitik glauben. Dass die USA derzeit von der schlimmsten Masern-Welle seit langem betroffen sind, und dass Mediziner und Wissenschaftler davor warnen, dass seine Schwurbler-Impfpolitik im schlimmsten Fall Millionen von Menschen das Leben kosten kann, lässt ihn kalt.
Am erstaunlichsten ist jedoch Trumps Versagen in der Wirtschaftspolitik. Seine reziproken Zölle haben perverse Folgen. Weil die USA gegenüber Brasilien einen Strafzoll von 50 Prozent erlassen haben, wird beispielsweise eine Tasse Kaffee bald deutlich teurer werden. Dieser Strafzoll hat keine wirtschaftliche Basis – Brasilien gehört zu den wenigen Ländern, mit denen die USA einen Handelsüberschuss aufweisen –, sondern wurde einzig deshalb verhängt, weil Trump darüber empört ist, dass ein Gericht den Möchtegern-Diktator Jair Bolsonaro zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt hat.
Das absurde Vorgehen Trumps hat ungewollte Konsequenzen: Die höheren Kaffeepreise zahlen die Amerikaner oder die kleinen Röstereien. Ausweichmöglichkeiten gibt es kaum, denn die USA beziehen den grössten Teil ihrer Kaffeebohnen aus Brasilien. Die brasilianischen Kaffee-Produzenten sind mehrheitlich Anhänger von Bolsonaro und leiden ebenfalls. Umgekehrt profitiert Lula da Silva, der linke Präsident Brasiliens, von Trumps ungeschicktem Vorgehen. Weil er sich nicht dem Willen des US-Präsidenten beugt, steigen seine Umfragewerte.
Noch absurder ist der Fall Hyundai und LG im Bundesstaat Georgia. Der südkoreanische Auto- und der Batteriehersteller betreiben dort gemeinsam ein grosses Werk und haben zur Freude des republikanischen Gouverneurs Brian Kemp Tausende von Jobs geschaffen. Um die Arbeiter auszubilden, mussten Hunderte von südkoreanischen Ingenieuren eingeflogen werden. Diese sind jetzt in einer Nacht-und-Nebel-Aktion von ICE-Agenten verhaftet und zurückgeschafft worden.
Das Vorgehen der Immigrationspolizei war so dumm, dass sich Trump nachträglich auf seiner Plattform Truth Social dafür entschuldigen musste. Vergeblich. Die Südkoreaner sind zu Recht empört und stellen die bereits zugesagten Investitionen in Frage.
Hyundai ist kein Einzelfall. Wegen des Zollstreits haben die Chinesen den Import von amerikanischen Sojabohnen gestoppt. Damit bringen sie nicht nur zahlreiche Farmer in grosse Schwierigkeiten. Weil diese kein Geld mehr haben und wegen der Importzölle auf Stahl und Aluminium leidet auch John Deere, der führende Hersteller von Landwirtschaftsmaschinen.
Zusammengefasst: Trumps Wirtschaftspolitik hat bisher nicht zu den versprochenen Jobs in der Industrie geführt, es gehen im Gegenteil monatlich Tausende von Arbeitsplätzen verloren. Die Konsumenten müssen mit immer höheren Preisen rechnen. Weil der US-Präsident den Präsidenten der Notenbank dazu geprügelt hat, die Zinsen zu senken, steigt mittelfristig auch die Inflationsgefahr.
Trumps Innen- und seine Wirtschaftspolitik sind ein Desaster, die Aussenpolitik nicht besser. Der US-Präsident ist zwar mit vollmundigen Versprechen gestartet, erreicht hat er jedoch nichts, nada, zilk, nista. In Moskau witzeln sie deshalb: «Im Normalzustand wartet Trump entweder darauf, mit Putin zu sprechen, oder er spricht mit Putin, oder er erklärt, wie gut das Gespräch mit Putin gewesen sei.»
Nicht nur in der Ukraine hat Trump versagt, auch Israels Präsident Benjamin Netanjahu tanzt ihm ungestraft auf der Nase herum. Der US-Präsident hat gar zugelassen, dass die israelische Luftwaffe Ziele in Katar angegriffen hat, obwohl der kleine Golfstaat den wichtigsten US-Stützpunkt in der Gegend beheimatet und die Katari Trump bekanntlich einen 400-Millionen-Dollar-Jet geschenkt haben.
Was, ausser dem Friedensnobelpreis, Trump mit seiner Aussenpolitik erreichen will, wird immer mysteriöser. Mit seiner Zollpolitik prügelt er Länder wie Indien und Brasilien geradezu in die Arme seines Erzfeindes China. Die westlichen Alliierten frustriert er derweil fast täglich und erreicht damit kaum mehr als den Wunsch in Berlin, Paris und Brüssel, es ihm dereinst bei passender Gelegenheit heimzahlen zu können.
Der bekannte konservative Historiker George Will betitelt seine jüngste Kolumne in der «Washington Post» mit: «Ein rundum unseriöser Präsident». Damit trifft er den Nagel auf den Kopf – und verschafft uns wenigstens ein bisschen Hoffnung.
