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Wirtschaft

Schweiz: Oberster Arbeitgeber Valentin Vogt glaubt nicht an höhere Löhne

Interview

Oberster Arbeitgeber glaubt nicht an Lohnerhöhungen: «Es wird ein Herbst wie jeder andere»

Valentin Vogt, der oberste Arbeitgeber der Schweiz, erwartet gegen Ende Jahr eine deutliche Abkühlung der Konjunktur. Im Interview spricht er über die Forderungen der Gewerkschaften und die Auswirkungen des Fachkräftemangels auf die Löhne.
20.06.2022, 09:3720.06.2022, 10:41
Florence Vuichard / ch media
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In Gewerkschaftskreisen gibt es Forderungen nach bis zu 5 Prozent mehr Lohn. Kommt jetzt der grosse Lohnherbst?
Valentin Vogt: Nein, das glaube ich nicht.

Fordert ein Ende des europapolitischen Schwebezustands: Valentin Vogt, Pr
Arbeitgeber-Präsident Valentin Vogt erteilt den Lohnwünschen der Gewerkschaften eine Abfuhr.Bild: sda

Wieso nicht? Die Inflation liegt bei für hiesige Verhältnisse rekordhohen 2.9 Prozent. Müsste nicht wenigstens der Teuerungsausgleich garantiert werden?
Es gibt in der Schweiz keinen automatischen Teuerungsausgleich für Löhne – weder nach oben noch nach unten. Zudem dürfte gemäss Expertenschätzungen die Inflation aufgrund der konjunkturellen Abkühlung bis Ende Jahr bei etwas über 2 Prozent liegen. Es wird ein Lohnherbst wie jeder andere. In der Schweiz werden die Löhne grossmehrheitlich in den Firmen ausgehandelt. Folglich werden jene Unternehmen, die den finanziellen Spielraum haben, die Löhne anheben, andere werden nicht in der Lage sein, dies zu tun.

Ist das nicht eine Ausrede?
Nein, das ist es sicher nicht. Wir dürfen nicht vergessen: Wir haben zwei Coronajahre hinter uns, in etlichen Firmen sind die Reserven aufgebraucht und müssen zuerst wieder geäufnet werden. Zudem: Im ersten Quartal 2022 sind die Nominallöhne im Vergleich zum Vorjahresquartal um durchschnittlich 1.9 Prozent gestiegen, viele Unternehmen haben Ende Jahr Sonderzahlungen gesprochen.

Die Gewerkschaften betonen den Nachholbedarf – etwa für die erzielten Produktionsgewinne, die nicht wirklich weitergegeben worden seien.
Das stimmt so nicht. Wir hatten in den vergangenen 10 Jahren eine Reallohnerhöhung von kumuliert 8 Prozent. Die Nominallöhne sind jeweils leicht gestiegen, die Teuerung hingegen lag bei null oder war über eine längere Zeit sogar negativ. Die Menschen haben eine selektive Wahrnehmung und erinnern sich nur an das, was teurer wird – und nicht an all das, was günstiger geworden ist.

Die Abnahme der Kaufkraft ist aber bei hohen Inflationsraten eine Realität. Hinzu kommen die immer steigenden Krankenkassenprämien.
Es ist nicht Sache der Arbeitgeber, Fehlentwicklungen in unserem Land auszugleichen. Wir können nicht für alles geradestehen. So können die Arbeitgeber nicht für die steigende Nachfrage nach Leistungen im Gesundheitswesen aufkommen. Und es sind auch nicht die Firmen, welche die Inflation antreiben. Die Ursachen liegen anderswo – allem voran bei der expansiven Geldpolitik der Zentralbanken. Wir haben hierzulande seit mehr als 7 Jahren Negativzinsen!

Die Unterschiede bei den verschiedenen Kassen sind laut Moneyland "riesig". (Archivbild)
Die Krankenkassenprämien steigen derzeit in der Schweiz.Bild: sda

Diese Epoche dürfte bald zu Ende gehen.
Ja, und das ist gut so. Die Geldpolitik der vergangenen Jahre hat ein Umfeld für eine Inflationsspirale geschaffen. Wir haben quasi in den letzten Jahren über unseren Verhältnissen gelebt. Die jüngere Generation kann sich nicht vorstellen, dass man 1989, als ich mein erstes Haus kaufte, 5.75 Prozent Zins für eine Hypothek zahlte. Die Inflation kann nur mit einer restriktiveren Geldpolitik unter Kontrolle gebracht werden und diese wird nicht ohne negative Nebenfolgen für die Konjunktur bleiben.

Sehen Sie denn nebst Lohnerhöhungen andere Rezepte zum Erhalt der Kaufkraft? Braucht es zum Beispiel Senkungen bei der Mineralölsteuer oder mehr Verbilligungen bei den Krankenkassenprämien?
Das sehe ich nicht so. Man muss die Ursachen der Probleme lösen und nicht Symptome bekämpfen. All diese Vorschläge zeigen vor allem, dass wir zügig Richtung nationale Wahlen 2023 schreiten.

Firmen aller Branchen beklagen einen Fachkräftemangel, überall wird dringlich Personal gesucht. Das dürfte sich doch positiv auf die Löhne auswirken?
In der Tat ist der Fachkräftemangel der viel grössere Lohntreiber als die Inflation. Obwohl, bei der Personalrekrutierung geht es nicht nur ums Geld. Der Lohn ist wichtig, aber es geht auch um die Arbeitsbedingungen – um Arbeitszeiten, um Arbeitsplatzsicherheit, um Sinnstiftung. Die Lage ist jedenfalls hierzulande noch nicht so angespannt wie in den USA, wo Unternehmen Boni bezahlen müssen, um sicherzugehen, dass die gefundene Fachkraft die Stelle überhaupt antritt. Aber auch in der Schweiz spitzt sich die Situation zu. Eine Million Personen gehen in den nächsten zehn Jahren in Pension, nur 500’000 rücken nach. Das reicht bei weitem nicht, wenn wir den Wohlstand in unserem Land halten wollen.

Die Arbeitsproduktivität steigt stetig.
Das genügt nicht. Wir reden hier von 10 Prozent der Erwerbstätigen, die fehlen. Einen Teil können wir sicher über Produktivitätssteigerungen kompensieren. Wir müssen primär das inländische Arbeitskräftepotenzial besser nutzen. So gilt es, die Arbeitspensen zu erhöhen, insbesondere jene der Frauen. Und die Arbeitnehmenden werden länger im Arbeitsleben sein müssen. Wir können es uns schlicht nicht leisten, so viele Arbeitnehmende in Pension zu schicken. Zudem werden wir auch weiterhin Fachkräfte im Ausland rekrutieren müssen. Wir sollten nicht vergessen: Der Arbeitsmarkt ist der Motor unseres Wohlstands.

Und wie läuft der Motor?
Ich bin eher skeptisch. Ich erwarte gegen Ende Jahr eine deutliche Abkühlung der Konjunktur.

Gibt es eine Rezession, also zwei aufeinanderfolgende Quartale mit negativem Wachstum.
Vielleicht. Ich weiss es nicht. Für mich gibt es im Moment zu viele Unsicherheitsfaktoren. Die Krise in den 1990er-Jahren, an die ich mich noch gut erinnern kann, war damals auf die Schweiz beschränkt. Die Komplexität und die gegenseitigen Abhängigkeiten haben seither stark zugenommen. Ich gehe deshalb von einem Abschwung aus, der grosse Teile der Welt erfassen wird.

Vor einem Jahr haben alle über den Post-Coronaboom gesprochen.
Es gibt sehr viele Themen, die offensichtlich niemand auf dem Radar hatte. Das spricht nicht fürs Risikomanagement unseres Landes und der Firmen. Aber wer konnte schon wissen, dass Putin einen Angriffskrieg auf die Ukraine startet? Die Stimmung jedenfalls ist gekippt. Die Unternehmen, bei denen ich Einblick habe, werden vorsichtiger, sie treten auf die Bremse.

An den weltweiten Finanzm
In der Wirtschaft wurde einst noch von einem Post-Coronaboom gesprochen.Bild: sda

Was heisst das?
Sie lehnen den einen oder anderen Auftrag ab, wenn dieser eine Personalaufstockung zur Folge hätte. Generell sind die Firmen beim Personalaufbau vorsichtiger geworden, das kommt ihnen bei einem möglichen Abschwung entgegen. Ich glaube nicht, dass der Post-Corona-Aufschwung nach einer kleinen Zwischendelle wieder weitergeht. Wir haben ein paar tiefgreifende Probleme, und die holen uns jetzt ein.

Welche?
Es ist die toxische Mischung, die mich pessimistisch stimmt. Die Inflation, der drohende Energieengpass – und eine neue Welthandelsordnung. Wer davon ausgeht, dass in zwei oder drei Jahren Russland wieder voll in den Welthandel integriert sein wird und alles wieder so ist wie vorher, täuscht sich.

Und dann gibt es da noch die stockenden Lieferketten.
Genau. Und diese sind gleich doppelt problematisch. Erstens weil im Moment den Unternehmen Komponenten fehlen. Und zweitens, weil wir einen exzessiven Lageraufbau beobachten. So wird zum Beispiel derzeit deutlich mehr Stahl bestellt als noch vor Covid. So viel mehr Stahl kann gar nicht verwendet werden, es werden im grossen Stil Lager aufgebaut. Das heisst aber auch: Kühlt sich die Konjunktur ab, dann wird von einem auf den anderen Tag praktisch nichts mehr bestellt werden. Dann werden die Lager abgebaut. Doch das allergrösste Risiko für die weltweite und damit auch Schweizer Wirtschaft kommt aus meiner Sicht von China.

Inwiefern?
China versucht einen sehr ansteckenden Virus mit einem mässig funktionierenden Impfstoff und einer Nulltoleranz-Strategie zu bekämpfen: Das kann nicht gut gehen. Und falls China in einen wirtschaftlichen Abschwung gerät, hat das Auswirkungen auf die ganze Weltwirtschaft. Die Folgen der langen Schliessung des Hafens von Schanghai werden wir erst noch zu spüren bekommen. Vielen von uns ist noch nicht klar, wie abhängig die Weltwirtschaft auf der Kunden- und Lieferantenseite von China ist. Das wird sich zweifelsfrei ändern, die Unternehmen werden ihre Lieferketten neu organisieren – schon um die Risiken abzubauen.

Spüren Sie die chinesische Null-Covid-Politik auch bei den Unternehmen, bei denen Sie Einsicht haben?
Ja, bei mehreren Firmen wohnen, arbeiten und schlafen Teile der Belegschaft – und das freiwillig – seit Wochen in den Unternehmen, um den Betrieb einigermassen aufrechtzuerhalten. Das ist eine sehr schwierige Situation, die Stimmung ist nicht gut. (aargauerzeitung.ch)

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36 Kommentare
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Vernhard
20.06.2022 11:02registriert Februar 2021
Gebt ihm doch bitte nicht einen wohlklingenden Titel wie „oberster Arbeitgeber“.
Er präsidiert die Arbeitgeberlobby - bitte bennent diese auch so.
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adrenochrom addicted
20.06.2022 12:09registriert Dezember 2015
Haha…für Boni der Geldsäcke hats ja immerhin gereicht während Corona. Jetzt ist halt nix mehr da für die Geringverdiener. Pech aber auch.
Es braucht dringend einen Systemwechsel!
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mMn
20.06.2022 10:48registriert September 2020
Ich finde es schon sehr einfach zu sagen "es sei nicht Aufgabe der Arbeitgeber für alles gerade zu stehen"... Ist es denn Aufgabe der Arbeitnehmer?

Ausserdem sollten sich die Arbeitgeber im klaren sein, dass wir hier in der CH alle im gleichen Boot sitzen. Wenn die Kaufkraft sinkt wird SVP gewählt. Dann wird der Fachkräftemangel noch viel übler und Unternehmen wandern ab.

Ich würde also besser schauen, dass es allen möglichst gut geht und nicht nur den Arbeitgebern. Es ist immer ein geben und nehmen💁‍♂️
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