Es ist nur eine einzige Minute. Aber eine Minute mit grosser Bedeutung. Für Denis Zakaria. Für Borussia Mönchengladbach. Und für den Schweizer Fussball. In der 89. Minute der Bundesliga-Partie zwischen Gladbach und Augsburg kommt Denis Zakaria für Florian Neuhaus auf den Platz. «Endlich», schreibt Zakaria auf Instagram. Ein Tag nach seinem 24. Geburtstag ist er wieder zurück.
Als der Genfer zuvor das letzte Mal zum Einsatz kam, war das Fussballzeitalter noch ein anderes. Das Coronavirus noch kaum Thema, Geisterspiele unvorstellbar. Über 53'000 Zuschauer sind im Gladbacher Borussia-Park bei der Partie gegen Dortmund an jenem 3. März 2020, an dem sich der folgenschwere Zusammenstoss ereignete. Zakaria prallte mit seinem eigenen Goalie Yann Sommer zusammen. Er musste mit Knieproblemen ausgewechselt werden. Doch: «Alles nicht so schlimm», verkündet Zakaria einen Tag später über die sozialen Medien.
Er lag falsch. Im Mai unterzog er sich einem arthroskopischen Eingriff, den Re-Start nach der Coronapause der Bundesliga verpasste er genauso wie die Vorbereitung auf die neue Saison. Und als er wieder ein Mannschaftstraining absolvieren konnte, kamen Rückschläge dazu. Zakaria brauchte Zeit.
Auch jetzt, nach seinem ersten Kurzeinsatz für Gladbach, möchten ihm die Verantwortlichen Zeit geben. Langsam soll Zakaria Minute um Minute sammeln, zunächst als Ergänzungsspieler. «Denis wird nicht vom ersten Tag an wieder der Spieler sein, den wir vorher kannten», sagt Mönchengladbach-Trainer Marco Rose.
Vor der Verletzung war Denis Zakaria einer der besten defensiven Mittelfeldspieler. Vom «Kicker» wurde er als einer von nur fünf Spielern auf dieser Position in die internationale Klasse gewählt. Kein Wunder sind die Erwartungen an den Schweizer Mittelfeldspieler hoch. Zakaria ist nicht irgendein Spieler für Gladbach, auch nicht irgendeiner für das Schweizer Nationalteam. In beiden Teams rangiert er als Akteur mit dem höchsten Marktwert: 43,24 Millionen Franken beträgt er derzeit. Die Marktwerte von Fussballern sagen häufig mehr über Potenzial als über Qualität aus. Und das Potenzial von Denis Zakaria ist so hoch, wie von keinem anderen Schweizer.
Kaum zurück, wird der Genfer bereits wieder mit den Topklubs Europas in Verbindung gebracht. Bayern München, Manchester United und dessen Stadtrivale Manchester City sollen ihre Fühler ausgestreckt haben. Spielt er bald wieder wie vor der Verletzung, wird ihn Gladbach, wo er einen Vertrag bis 2022 besitzt, nicht mehr lange halten können. Ein Abgang im Sommer ist wahrscheinlich. Auch wenn Zakarias Spielweise wie gemacht für die Premier League scheint, träumt er selber vom FC Barcelona.
Denis Zakaria hat zwar grosse Träume, gilt aber als enorm bodenständig. Das hat auch mit seiner Herkunft zu tun. Denis Lemi Zakaria Lako Lado, wie er mit vollem Namen heisst, wird als Sohn einer Sudanesin und eines Kongolosen in Genf geboren. Früh geht der Vater wieder zurück in seine Heimat, um in Kinshasa bei der Regierung zu arbeiten. Wenn Zakaria seinen Vater besucht, sieht er bittere Armut. Es ist eine andere Welt.
«Wenn man diese Lebensumstände sieht, kann man sich glücklich schätzen, wie gut wir es in Europa und insbesondere in der Schweiz haben», sagt Zakaia in einer Dokumentation über ihn. «Dieses Wissen hilft mir, die Füsse auf dem Boden zu halten.» Statt sein Geld zu verprassen, spart er es lieber. Einmal kauft er ein teures Auto, wenig später verkauft er es wieder, weil er den Sinn in diesem Luxus nicht sieht.
Hohe Löhne sind zunächst in weiter Ferne. In den Hinterhöfen Genfs entdeckt er den Fussball, durchläuft später bei Servette die Juniorenteams. Im Sommer 2015 verpflichetet YB Zakaria. Zunächst soll er monatlich 4000 Franken verdienen. Zwei Jahre später ist Zakaria Nationalspieler und wechselt für 13 Millionen Franken Ablöse in die Bundesliga.
Als er sich nach seinem Transfer zu Borussia Mönchengladbach schliesslich durchsetzt, präsentiert sich Zakaria als Inbegriff des modernen Mittelfeldspielers. Er ist ein hervorragender «Box-to-Box-Spieler». Also ein Spieler, der den Raum zwischen den beiden Strafräumen beackert. Es ist die vielleicht anspruchsvollste Position im Fussball, eine in der man alles mitbringen muss: Ballsicherheit, physische Präsenz, Schnelligkeit, Zielstrebigkeit, Spielintelligenz. Sein Trainer Marco Rose sagt: «Denis ist ein sehr kompletter Fussballer.»
Zakaria ist robust und erreicht Spitzengeschwindigkeiten von 35 km/h, er ist dribbelstark und verfügt über eine hohe Passquote, er erobert Bälle und baut das Spiel auf. Das einzige, was Zakaria abgeht, ist die Torgefahr. Daran möchte er arbeiten, schliesslich war Zakaria früher sogar mal Stürmer. Und mit Servette hatte er einst gegen Schaffhausen ein Wundertor mit der Hacke erzielt.
Bei Gladbach haben sich während Zakarias Abwesenheit andere Spieler in den Vordergrund gedrängt. Florian Neuhaus ist inzwischen Deutscher Nationalspieler und Christoph Kramer spielt wieder wie «ein Weltmeister», wie es Trainer Rose sagt. Auch dank des starken Duos im defensiven Mittelfeld gelingt die Qualifikation für die Champions League, wo man überrascht. Zuletzt dank einem 6:0 bei Schachtjor Donezk.
Zakaria muss dennoch nicht um seinen Platz im Team fürchten, zu sehr weiss Rose um die Qualität seines Mittelfeldspielers. «Denis ist ein Schlüsselspieler in unserem System.» Sportchef Max Eberl findet dennoch: «Das Champions-League-Niveau wird auch für ihn eine Herausforderung.»
Im Heimspiel gegen Donezk heute Abend könnte Zakaria tatsächlich zu seinem Debüt in der Königsklasse kommen. Vielleicht reicht es für ein paar Minuten.