«Takayasu-Arteriitis», sagte der Doktor. «Und ich sass da, total baff, mit einer frisch diagnostizierten Krankheit mit exotischem Namen, von der ich noch nie im Leben gehört hatte.»
Iliana Mebert, 24, ist eine von einer Million. Denn nur so selten tritt die Krankheit auf, an der sie leidet.
Das Leben der ETH-Studentin stand vor sechs Jahren an einem Wendepunkt. Es war eine Zufallsdiagnose – ihr Hausarzt rechnete mit einer Angina. Als die heftigen Rückenschmerzen und das Unwohlsein auch nach mehreren Tagen nicht besser wurden, liess sich Iliana im Zuger Kantonsspital untersuchen.
Vor dort aus wurde die damals 17-Jährige per Ambulanz ins Inselspital Bern gefahren. Die Diagnose kam einige Stunden später – eine sehr kurze Zeitspanne für die Diagnostik einer seltenen Krankheit. Doch es ist gut möglich, dass die Studentin die unheilbare Autoimmunkrankheit schon lange unbemerkt in sich trug.
Peter Villiger ist Chefarzt der Universitätsklinik für Rheumatologie, Immunologie und Allergologie des Berner Inselspitals. Er therapiert neben Iliana Mebert noch 26 weitere Takayasu-Arteriitis-Betroffene. «Die Takayasu-Arteriitis ist eine sehr seltene Entzündungskrankheit der grossen Arterien des menschlichen Körpers, also der Hauptschlagader und ihrer Abgangsgefässe. Sie ist unheilbar und sehr selten. Wird sie nicht therapiert, kann sie im schlimmsten Falle über Jahre zum Tod führen.»
Betroffen seien in der Deutschschweiz schätzungsweise 40 Patienten – exakte Zahlen gibt es nicht. Vermutlich sei die Dunkelziffer grösser. Villiger: «Die Beschwerden bei Takayasu-Arteriitis sind leider unspezifisch. Sie reichen von chronischer Müdigkeit, verminderter Leistungsfähigkeit und Halsweh bis zu Schwäche im Arm – da denken viele Ärzte an andere Ursachen.»
Nach der Diagnose machte sich Iliana im Internet auf die Suche nach Erklärungen, nach anderen Betroffenen. «Doch ich fand nichts.» Eine belastende Situation: «Ich konnte mich mit niemandem darüber austauschen, niemanden fragen, wie er mit der Krankheit umgeht. Das machte mich fertig», sagt sie.
Laut Anne-Françoise Auberson, Präsidentin des Vereins ProRaris – Allianz seltener Krankheiten, ein typisches Problem: «Menschen mit seltenen Krankheiten sind häufig alleine und verzweifelt. Viele hoffen auch nach Jahren noch, endlich jemanden mit dem selben Leiden kennenzulernen – oft vergeblich.»
Auch den Spezialisten fehle es an Informationen: «Ich habe schon Fälle begleitet, bei denen die Invalidenversicherung Betroffene zur psychologischen Abklärung schicken wollte, weil sie deren Krankheitsbild nicht kannte.» Um solchen Vorkommnissen entgegenzuwirken ist eine nationale Internetseite im Aufbau, die als Anlaufstelle für Betroffene sowie andere Akteure dienen soll. Auberson fordert aber auch Massnahmen auf politischer Ebene. «Es braucht hier eine nationale Informationskampagne, um alle Beteiligten zu sensibilisieren», sagt sie.
Eine Anlaufstelle hätte sich auch Iliana gewünscht. Denn die Monate nach der Diagnose waren ein ständiges Auf und Ab. Nach dem ersten Schockmoment nach der Diagnose sei ihr bewusst geworden, erzählt sie, dass sie ausser der Einnahme der vielen entzündungshemmenden Medikamenten und der Müdigkeit eigentlich nicht viel von der Krankheit spüre. Doch der grosse Tiefpunkt kam Monate später als Iliana realisierte, was es heisst, unheilbar krank zu sein. «Mir wurde erst dann richtig klar, dass ich mein Leben lang täglich von Medikamenten abhängig sein werde und jeden Monat zur Infusion im Spital antraben muss. Ich fragte mich: ‹Warum ich?›»
Neben den physischen und psychischen Schwierigkeiten, die eine seltene Krankheit mit sich bringt, müssen Takayasu-Arteriitis-Betroffene oft auch gegen administrative Sorgen ankämpfen. Bei vielen seltenen Krankheiten seien Konflikte mit Krankenversicherungen vorprogrammiert, sagt Peter Villiger. «Gewisse Krankenkassen zeigen sich kulant, andere nicht.» Das Hauptproblem sei, dass es zu wenig Studien zur Wirksamkeit der Therapien gebe. Und wenn ein Medikament nicht auf der Spezialitätenliste stehe, könne es ein Arzt nur verschreiben, wenn verschiedene Kriterien respektiert sind.
In solchen Fällen folge ein reger Briefaustausch zwischen dem verschreibenden Arzt und dem Vertrauensarzt der Versicherung. «Da wird das Kostengesuch in einem ersten Schritt oft abgelehnt, wir müssen ein Argumentarium zurückschreiben et cetera.»
Villiger und sein Team führen derzeit eine Studie über Takayasu-Arteriitis – eine der ersten hierzulande. Sie soll eine landesweite Übersicht schaffen und die Zusammenarbeit mit den Krankenversicherungen erleichtern.
Iliana ist Teil dieser Studie. Ihr geht es heute gut, Selbstmitleid plage sie keines mehr. «Natürlich bin in gewissen Bereichen eingeschränkt. Patienten mit Takayasu-Arteriitis ist es beispielsweise nicht empfohlen, in Länder zu reisen, wo eine grosse Ansteckungsgefahr besteht, weil unser Immunsystem konstant geschwächt ist.» Ausserdem sei es immer wieder zu Situationen gekommen, in denen ihre Müdigkeit für Probleme sorgte. «Die Leute dachten ich sei faul.» Doch mit solchen Schwierigkeiten könne sie heute gut umgehen. «Das tönt jetzt zwar etwas kitschig, aber seit meiner Diagnose schätzte ich das Leben viel mehr.»
Iliana hat sich intensiv mit ihrer Krankheit auseinandergesetzt. Ihre preisgekrönte Maturaarbeit thematisierte die psychologischen Auswirkungen von seltenen Krankheiten auf ihre Träger. Hier das dazugehörige Video.