Ein Buchclub hat ja per se nicht gerade eine erotische Aura. Besonders seit Marcel Reich-Ranicki nicht mehr unter uns weilt. Aber Susanne, Jutta und Sabine peppen ihre Lesegruppe auf, als Jutta eines Tages vorschlägt, sich jetzt des schlüpfrigen Wälzers «Fifty Shades of Grey» anzunehmen. Sie hat das nüchterne Studium von Kochrezepten gründlich satt. Die drei Frauen tauchen in die hochromantische Welt der Literaturstudentin Ana (Beatrice Reece) ein, die sich in den perversen Milliardär Christian mitsamt seinen ausgedehnten Berührungsängsten (André Haedicke) verliebt. Die Schauspielerin Sabine Urig, die die Rolle der Buchclub-Lady Sabine spielt, sieht in der Rolle des männlichen Hauptdarstellers aber nicht nur den Sado-Clown:
Es wird also die Liebesgeschichte eines «ganz normalen Pärchens» erzählt. Während die beiden eine hübsche Ballade singen, flanieren sie heillos verliebt durch mondbeschienene Gässchen. Händchen gehalten wird dabei nicht. Er führt sie an der Leine.
Anders als in der Romanvorlage wird Christians Vorliebe zu Fesselspielen und Peitschenhieben in keiner Weise psychologisiert. Die parodistische Version bleibt frei von seiner traumatisierenden Kindheit. Vielmehr wird bei «49 1/2 Shades» der unkonventionelle Sex ins Komische verkehrt. Und was am löblichsten ist: Kein einziger nackter Mensch tummelt sich auf der Bühne. Die brachialen Lustspielchen der beiden Protagonisten werden in einem ästhetischen Schattenspiel dargestellt oder vom Tanz-Ensemble in ledernen Straps-Outfits ausgedrückt – garniert mit rassigen Hüftschwüngen.
Gezeigt wird wahrlich eine ganze Menge, aber es gelingt der Regisseurin Gerburg Jahnke vorzüglich, niemals ins Schmierig-Ordinäre abzudriften. Das heisst allerdings nicht, dass die Dialoge und Songs nicht mit urchigen Doppeldeutigkeiten und eindeutigen Ansagen gespickt sind. Sprachlich wird nichts verhüllt oder beschönigt. Es handle sich ja auch nicht um ein Märchen, sagt die Schauspielerin Sabine Urig: «Wir reden übers Ficken».
Die offenherzige Auseinandersetzung mit dem Thema Sex scheint eine befreiende Wirkung auf die Musical-Darsteller zu haben, die sich entfesselt und hemmungslos in ihre Rollen werfen.
Sabine Urig verteidigt E. L. James' Roman-Trilogie «Fifty Shades of Grey», die Opfer unschmeichelhafter Kritik wurde. Sie habe sie für die Produktion gelesen, erzählt die Schauspielerin. Was man an diesem Groschenroman wohl ernst nehmen müsse, sei seine Wirkung auf die 100 Millionen Frauen, die ihn gelesen haben. «Er spricht eine Sehnsucht an. Die Sehnsucht, sich fallen zu lassen. Und wenn die Lektüre die Menschen dazu anhält, wieder mehr über Sex zu reden oder sogar ihr Sexleben experimentierfreudiger zu gestalten, dann hat er seinen Sinn erfüllt.»
Die Buchclub-Damen sind erst nur Beobachterinnen der sich entwickelnden Liebesgeschichte zwischen Ana und Christian. Dann aber schalten sie sich immer mehr ins Geschehen ein; die Rezeptionsebene verschmilzt mit der Handlungsebene, die drei Frauen kommentieren Anas Verhalten, experimentieren mit Liebeskugeln und erleben Anas Erwachen als sexuelle Befreiung.
In diesem heiteren Lustspiel, das mit gefühlvollen Balladen und heissem Rock’n’Roll aufwartet, werden Metaphern lebendig. Die innere Göttin (gespielt von Dustin Smailes), die Anas tiefstes Verlangen verkörpert, trägt eine Popo-Prothese unter ihrem Glitzerfummel, die an Kim Kardashians voluminöses Exemplar erinnert. Und sie verfolgt nur ein Ziel: Ana dazu zu bringen, endlich diesen vermaledeiten Sex-Vertrag zu unterschreiben.