Mit grossen Hoffnungen ist Barack Obama vor einem Jahr in seine zweite Amtszeit gestartet. Heute herrscht Ernüchterung: Nur 43 Prozent der Amerikaner beurteilen seine Amtsführung laut einer neuen Umfrage positiv, 51 Prozent geben ihm eine schlechte Note. Seine jährliche Rede zur Lage der Nation bietet Obama in der Nacht auf Mittwoch die Gelegenheit, das Ruder wieder in die Hand zu nehmen.
Dies sind die wichtigsten Themen, über die der Präsident sprechen wird:
Die US-Wirtschaft befindet sich im Aufwind, doch die wenigsten Amerikaner spüren etwas davon. Während die Reichen profitieren, muss der grosse Rest mit stagnierenden oder gar sinkenden Löhnen leben. Barack Obama hat die ungleiche Einkommensverteilung zu einem Schwerpunkt seiner zweiten Amtszeit erklärt.
Er dürfte eine Erhöhung des staatlichen Mindestlohns von 7.25 auf 10.10 Dollar pro Stunde fordern. Für jene Firmen, die Aufträge von der Bundesregierung erhalten, soll eine Bezahlung in dieser Höhe künftig Pflicht werden, berichteten US-Medien am Dienstag.
Trotz Wirtschaftswachstum sinkt die Arbeitslosigkeit nur sehr langsam. Rund 1,5 Millionen Langzeitarbeitslose haben Ende 2013 die staatliche Unterstützung verloren. Eine Weiterführung dieses Programms steckt im Kongress fest. Der Präsident wird sich dafür stark machen. Er dürfte zudem ankündigen, dass einige der grössten US-Unternehmen – darunter AT&T, Procter & Gamble und Xerox – sich verpflichtet haben, Langzeitarbeitslose bei der Jobvergabe nicht zu benachteiligen.
Weiter werden 20 rückständige Regionen im ganzen Land zu so genannten «Promise Zones» erklärt. Dort soll die Schaffung von Arbeitsplätzen mit Steuererleichterungen und Subventionen gefördert werden.
Die Reform der Einwanderungsgesetze ist ein wichtiges Anliegen des Präsidenten. So sollen die rund elf Millionen Sans-Papiers in den USA, die vorwiegend aus Lateinamerika stammen, ihren Status legalisieren und die Einbürgerung beantragen können. Der Senat hat ein Gesetzespaket verabschiedet, doch das von den Republikanern dominierte Repräsentantenhaus ist bislang nicht darauf eingetreten. Obama wird in seiner Rede einen neuen Anlauf nehmen, nicht zuletzt mit Blick auf die Latino-Wähler.
Die Gesundheitsreform mit der Einführung eines Krankenkassen-Obligatoriums galt als grösster Erfolg von Obamas Präsidentschaft. Der Start im letzten Herbst geriet jedoch zum Debakel. Die Website, auf der sich die bislang unversicherten Amerikaner anmelden können, war kaum funktionstüchtig.
Der Fehlstart von Obamacare trug wesentlich zu den negativen Popularitätswerten des Präsidenten bei. In seiner «State of the Union»-Rede wird er das Programm verteidigen und darauf verweisen, dass die gröbsten Probleme behoben und bereits drei Millionen Menschen registriert sind.
Jedes vierjährige Kind in den USA soll einen Platz in einem Hort oder einer anderen Vorschul-Einrichtung bekommen. Barack Obama hat dies bereits in seiner Rede vor einem Jahr gefordert. Nun dürfte er nachhaken, zumal rund 30 US-Bundesstaaten entsprechende Programme aufgegleist haben. Ausserdem wird der Präsident einen leichteren Zugang zu höheren Schulen für Kinder aus armen Haushalten fordern. Solche Initiativen sind populär, denn eine gute Ausbildung gilt mehr denn je als Schlüssel zum beruflichen Aufstieg.
Aussenpolitische Themen werden in Barack Obamas Rede nur am Rand vorkommen. Er wird den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan hervorheben. Nur ein Kontingent soll bleiben, um die Regierung im Kampf gegen die Taliban zu unterstützen.
Weiter wird der Präsident auf die anhaltende Terrorgefahr verweisen. First Lady Michelle Obama hat einen Überlebenden des Anschlags auf den Boston Marathon als Ehrengast eingeladen. Den Namen Edward Snowden dagegen dürfte Obama kaum in den Mund nehmen.
Im Kongress blockieren sich Demokraten und Republikaner gegenseitig. Das Ansehen des Parlaments ist auf dem Tiefpunkt. Mitarbeiter des Präsidenten haben durchblicken lassen, dass er in seiner Rede die Legislative aufs Korn nehmen und seine Ziele vermehrt mit Verordnungen durchsetzen will.
Diese Strategie ist nicht ohne Risiko. Sie könnte den Widerstand der Republikaner zusätzlich anheizen. Und bei den grossen Themen wird Obama weiterhin auf den Kongress angewiesen sein.
Für Beobachter stellt die diesjährige «State of the Union»-Ansprache den Präsidenten vor ein Dilemma. Er wird nach den frustrierenden Erfahrungen der letzten Zeit kaum hochfliegende Projekte ankündigen. Gleichzeitig soll er seine Basis zufrieden stellen, die ein stärkeres Engagement für bessere Löhne und sichere Jobs verlangt.
Dabei muss Obama auch an die Kongresswahlen im Herbst denken. Die Republikaner könnten nach dem Repräsentantenhaus auch die Mehrheit im Senat erobern. Obama dürfte dann endgültig zur
«lahmen Ente» werden.