Die Visafreiheit zwischen der EU und der Türkei wird nach Einschätzung der deutschen Kanzlerin Angela Merkel voraussichtlich nicht schon wie geplant im Juni in Kraft treten können.
Es seien noch weitere Gespräche nötig, sagte Merkel am Montag nach einem Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am Rande des Weltgipfels für humanitäre Hilfe in Istanbul.
Erdogan habe bei dem Treffen sein Nein zur Änderung der türkischen Anti-Terror-Gesetze bekräftigt, sagte die Kanzlerin. Wenn diese Änderung in den kommenden Wochen nicht doch noch erfolge, seien nicht alle Bedingungen für die Visafreiheit erfüllt. «Ich glaube, es werden noch weitere Gespräche geführt werden müssen.»
Erdogan hatte die Änderung der türkischen Terror-Gesetze, die nach Ansicht der EU für die Verfolgung friedlicher Regierungsgegner eingesetzt werden, in den vergangenen Wochen mehrfach abgelehnt. Merkel betonte dagegen, die 72 Bedingungen für die Visafreiheit, zu der die Forderung nach einer Lockerung der Terrorgesetze gehört, seien nicht neu, sondern seien bereits im Dezember 2013 festgelegt worden.
Kritik an Innenpolitik
Einen Dissens zwischen Merkel und Erdogan gab es nach den Worten der Kanzlerin auch in der Frage der innenpolitischen Entwicklung der Türkei. Merkel betonte, die Aufhebung der Immunität vieler Abgeordneter im türkischen Parlament erfülle sie mit «tiefer Besorgnis». Dies habe sie gegenüber Erdogan auch deutlich gemacht.
«Wir brauchen eine unabhängige Justiz, wir brauchen unabhängige Medien, wir brauchen ein starkes Parlament», sagte sie. «Wir werden die weitere Entwicklung sehr genau beobachten müssen.» Sie habe Erdogan deutlich gemacht, dass eine Einbindung der kurdischen Bevölkerung wichtig für die Stabilität des Landes sei.
Die Kanzlerin pochte auf Werte wie unabhängige Justiz und Medien sowie starke Parlamente. Merkel zog dieses Fazit nach dem Gespräch: «Die Fragen sind nicht vollständig geklärt, die ich in diesem Zusammenhang hatte.»
Auslöser der Kritik war vor allem die Aufhebung der Immunität einer grosse Zahl vor allem kurdischer Abgeordneter des türkischen Parlaments. Die deutsche Regierung hatte bereits am Freitag vor einer zunehmenden Polarisierung der türkischen Gesellschaft gewarnt. (sda/reu/dpa)