Prokurdische HDP wählt Nachfolger von inhaftiertem Parteichef

Prokurdische HDP wählt Nachfolger von inhaftiertem Parteichef

11.02.2018, 17:28

Die prokurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) hat eine neue Führungsspitze gewählt, die den inhaftierten bisherigen Ko-Vorsitzenden Selahattin Demirtas ablösen soll. Er trat ebenso wie die amtierende Ko-Vorsitzende Serpil Kemalbay nicht erneut an.

Bei einem Parteitag in Ankara bestimmten die rund 800 Delegierten am Sonntag die Parlamentarierin Pervin Buldan und den Ökonom Sezai Temelli als neue Parteichefs. Sie erhielten bei der Wahl alle gültigen Stimmen.

Der neuen Doppelspitze fällt die schwierige Aufgabe zu, die Partei in die wichtigen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen zu führen, die für November 2019 angesetzt sind. Die beiden neuen Vorsitzenden sind erfahrene Politiker: Die 50 Jahre alte Buldan ist eine der prominentesten HDP-Parlamentarierin und stellvertretende Fraktionschefin.

Der 54-jährige Wirtschaftsprofessor Temelli gehört zu den Parteigründern. 2015 war er kurzzeitig Parlamentarier, im Herbst 2016 wurde er per Dekret von der Universität Istanbul entlassen.

Die HDP besetzt alle Führungsposten mit einer Frau und einem Mann. Meist stehen an der Parteispitze ein Kurde und ein türkischer Vertreter der Linken.

Solidarität mit Kurden in Syrien

Der Parteitag in einer Sporthalle von Ankara fand unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen statt. Viele Teilnehmer trugen rot, gelb, grün - die Farben der kurdischen Bewegung, andere schwenkten Fahnen. Zu Beginn des Parteitags, der inmitten einer türkischen Militäroffensive gegen syrische Kurden stattfindet, gab es eine Schweigeminute für die «Märtyrer».

«Die Lösung ist nicht Krieg, sondern Frieden», sagte Buldan vor den mehreren tausend Delegierten, Mitgliedern und ausländischen Beobachtern, die an dem Parteitag teilnahmen. «Die Lösung ist nicht sterben und töten, sondern leben und leben lassen.» Die HDP hat sich als einzige Partei in der Türkei gegen die Militäroffensive im syrischen Afrin ausgesprochen.

Seit Beginn der Offensive sind laut der Partei mehr als 350 ihrer Mitglieder wegen Kritik am Vorgehen der Armee oder der Teilnahme an Protesten festgenommen worden. Die HDP war bereits zuvor stark von den Repressionen nach dem gescheiterten Militärputsch von Juli 2016 getroffen worden, und tausende ihrer Funktionäre und Mitglieder sitzen in Haft.

«Wenn ihre Antwort auf den Widerstand Inhaftierung ist, können sie tausend weitere Gefängnisse bauen, doch werden sie keinen Platz haben, uns alle unterzubringen», schrieb Demirtas in einem Brief, der auf dem Parteitag verlesen wurde. Demirtas drohen 142 Jahre Haft wegen «Leitung einer Terrororganisation».

Dutzende HDP-Politiker in Haft

Unter dem charismatischen Politiker war die HDP bei der Parlamentswahl im Juni 2015 erstmals ins Parlament eingezogen. Ihr Erfolg kostete der regierenden AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan die Mehrheit, der nach einer erneuten Eskalation des Kurdenkonflikts im Sommer 2015 das Vorgehen gegen die prokurdische HDP verschärfte.

Unter dem nach dem Putschversuch verhängten Ausnahmezustand wurde Demirtas Anfang November 2016 mit seiner damaligen Ko-Vorsitzenden Figen Yüksekdag und zehn weiteren Abgeordneten festgenommen. Die Regierung warf ihnen Verbindungen zur Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vor, die seit Jahrzehnten gegen den türkischen Staat kämpft.

Die HDP bestreitet, der politische Arm der PKK zu sein, und betont, sich für eine friedliche Lösung des Kurdenkonflikts einzusetzen. Sie wirft Präsident Erdogan ihrerseits vor, mit der Festnahme ihrer Parteiführung unliebsame Kritiker zum Schweigen bringen zu wollen und danach zu streben, die drittgrösste Partei des Landes ins Abseits zu drängen.

Von den 59 Abgeordneten der HDP sind derzeit neun in Haft, sieben wurde ihr Mandat aberkannt - darunter der inhaftierten Ko-Vorsitzenden Yüksekdag, die daraufhin im Mai 2017 auch den Parteivorsitz aufgab. Sie wurde damals an der Parteispitze durch Kemalbay abgelöst. Ebenso wie Demirtas wird Yüksekdag die Unterstützung einer Terrororganisation vorgeworfen. (sda/afp)

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