Am Vorabend der Gotthard-Basistunneleröffnung ist Lugano Treffpunkt des europäischen Verkehrswesens gewesen: Die Bahnkonzernchefs stellten eine neue Zuglinie zwischen Deutschland und Italien vor. Die Verkehrsminister sprachen über Sicherheit und Verlagerungspolitik.
Ab Dezember 2017 soll es eine neue Zug-Direktverbindung zwischen Frankfurt und Mailand durch die Schweiz geben. Dafür sollen Züge der SBB des Typs ETR610 eingesetzt werden, die erst kürzlich die Deutschlandzulassung erhalten haben. Zunächst ist bis 2020 täglich ein Zugpaar geplant.
In Richtung Nord-Süd werden die Züge über die Gotthardachse geführt, in Richtung Süd-Nord via Lötschberg. Damit werden Direktverbindungen aus Deutschland nach Luzern und ins Tessin sowie vom Wallis nach Deutschland ermöglicht. Vor allem im Tourismus werde das neue Geschäftsfelder eröffnen, hiess es.
Das grenzüberschreitende Bahnangebot soll insgesamt pünktlicher werden und bessere Anschlüsse bieten, wie die Bahngesellschaften im Anschluss an ein Treffen ihrer Konzernchefs in Lugano bekannt gaben.
Mehr Zusammenarbeit angestrebt
Die Bahnen wollen ausserdem die Digitalisierung weiter vorantreiben und die Ticketing-Systeme aufeinander abstimmen. Technische Daten wollen die Bahnen offen austauschen sowie Standards harmonisieren, um Abläufe zu vereinfachen und Kosten zu senken.
Im Güterverkehr bringe der neue Gotthardtunnel neue Vorteile für die Schiene. Die Konzernchefs hätten erörtert, wie mit einer grenzüberschreitenden Trassenplanung und der Reservierung der internationalen Trassen nach dem Gotthard-Modell die Wirkung des Basistunnels auf dem Güteverkehrskorridor von Rotterdam bis Genua genutzt werden kann.
«Dieser Tunnel wird Europa enger zusammenbringen. Wir müssen den Schweizern dafür danken», sagte der Chef der Deutschen Bahn, Rüdiger Grube, an der Pressekonferenz in Lugano.
Der Gotthard-Basistunnel ist nach den Worten von SBB-Chef Andreas Meyer auch ein Weckruf für alle Bahnunternehmen, besser miteinander zu kooperieren. Der Wettbewerb finde nicht in erster Linie zwischen den Bahnunternehmen, sondern mit anderen Mobilitätsanbietern statt.
Nicht ans Treffen in der Südtessiner Metropole gekommen war der französische SNCF-Chef Guillaume Pepy. Er war in seinem Heimatland mit der Bewältigung eines Bahnstreiks beschäftigt.
Gleich lange Spiesse gefordert
Die Bahnen haben zudem im intermodalen Wettbewerb gleich lange Spiesse für alle gefordert. Fernbusse seien nur Vorboten für neue, andere Mobilitätsträger. Dazu müssten die Rahmenbedingungen verbessert werden.
Die Politik wurde aufgefordert, ihre Verantwortung wahrzunehmen. Die langfristige und verlässliche Finanzierung von Unterhalt und Ausbau der Bahninfrastruktur müsse sichergestellt werden. Die Bahnen als staatsnahe Unternehmen dürften nicht stärker eingeschränkt werden als IT-Unternehmen.
Mehr Sicherheit durch Verlagerung
In der Nähe des Bahnchef-Meetings war ein anderes Hotel am Luganer Seeufer am Dienstag Schauplatz eines Treffens der Verkehrsminister des Alpenraums. Die auf den Namen «Follow up Zurich» getaufte Arbeitsgruppe tagt alle zwei Jahre.
Im Zentrum stehen dabei Fragen der Verkehrssicherheit - ins Leben gerufen worden war die Konferenz nach schweren Tunnelunfällen im Jahr 2001. Am Dienstag ging die Führung von Peter Gaspersic, dem slowenischen Infrastrukturminister, an Graziano Delrio über. Der Italiener ist in der Regierung Renzi für den Verkehr zuständig.
Die Verlagerung von der Strasse auf die Schiene sei ein zentrales Projekt, um den Verkehr im Alpenraum sicherer zu machen, sagte die gastgebende Bundesrätin Doris Leuthard (CVP) am Dienstag.
Italien will Wende im Güterverkehr
Delrio gestand ein, dass Italien im Bereich Güterverkehr Nachholbedarf habe. Er schätzte den Anteil der auf der Schiene transportierten Waren in seinem Land auf derzeit 5 bis 10 Prozent. In den kommenden vier Jahren soll dieser Anteil zumindest verdoppelt werden.
Milliardenbeträge werden allein in den Ausbau des «Terzo Valico» investiert - eine Grossbaustelle, die für Italien eine ähnlich Bedeutung hat, wie für die Schweiz der Gotthard-Basistunnel. Derzeit wird ein 37 Kilometer langer Tunnel durch den nördlichen Apennin gebaut. Er soll in erster Linie Mailand und Genua sowie die ligurischen Häfen besser verbinden.
Mit Blick auf die Gotthard-Eröffnungsfeier vom Mittwoch stellte Delrio fest, dass Tunnelbauten nicht nur Infrastrukturprojekte seien, sondern auch Werke der Demokratie und Menschlichkeit. Dies sei im gegenwärtigen Europa ein wichtiges Zeichen.
Am Rande des Treffens unterzeichneten Bundesrätin Doris Leuthard und Delrio zudem eine Absichtserklärung zur Schifffahrt auf dem Luganer See und dem Lago Maggiore. Da die Konzession ausläuft, wollen sich beide Länder an einen Tisch setzten, um grenzüberschreitende Angebote zu verbessern. (sda)