Türkei: Die islamisch-konservative AKP erobert die absolute Mehrheit zurück

Türkei: Die islamisch-konservative AKP erobert die absolute Mehrheit zurück

01.11.2015, 21:12

Bei der Parlamentswahl in der Türkei hat die islamisch-konservative Regierungspartei AKP die absolute Mehrheit überraschend zurückerobert. Das meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Sonntagabend nach Auszählung fast aller Stimmen.

Die AKP kommt nach den vorläufigen Ergebnissen auf fast 50 Prozent der Stimmen - nach 40.9 Prozent bei der Wahl im Juni. Damit gewinnt sie 316 der 550 Sitze in der Nationalversammlung in Ankara.

Äusserst knapp schaffte die pro-kurdische HDP die Zehnprozenthürde und zieht damit erneut in das Parlament ein. Auf den zweiten Rang kommt die Mitte-Links-Partei CHP mit unverändert rund 25 Prozent der Stimmen, gefolgt von der ultrarechten MHP, die mit rund 12 Prozent und einem Verlust von vier Prozentpunkten zu den Verlierern der Wahl gehört. Die AKP hatte die ihr ideologisch oft nahestehenden MHP-Wähler massiv umworben.

In der Türkei waren gut 54 Millionen Wahlberechtigte zur Urne aufgerufen. 2.9 Millionen wahlberechtigten Türken mit Wohnsitz im Ausland konnten bereits zuvor ihre Stimme in Botschaften und Konsulaten abgeben. 40 Prozent machten davon Gebrauch.

Aufruf zur Einheit

Nach den schweren Spannungen vor der Wahl rief Ministerpräsident Ahmet Davutoglu das Land zur Einheit auf. «Heute ist ein Tag des Sieges», sagte er vor Anhängern in seiner zentralanatolischen Heimatstadt Konya. «Der Sieg gehört dem Volk.»

Gleichzeitig rief er das gespaltene Land zur Einheit auf: «Heute gibt es keine Verlierer, sondern nur Sieger», sagte er. «Wir werden allen unsere Herzen öffnen, egal ob sie für uns gestimmt haben oder nicht. Wir wollen mit allen Bürgern gemeinsam die neue Türkei aufbauen.»

Die Menge skandierte unter anderem «Allahu Akbar» («Gott ist gross») und «Die Türkei ist stolz auf Dich». Auf Twitter schrieb Davutoglu nach dem Wahlsieg: «Elhamdülillah...» («Gelobt sei Gott»).

Weg zum Präsidialsystem offen

Präsident Erdogan hatte die Neuwahl angesetzt, weil nach der Wahl im Juni keine Koalition zustande gekommen war. Damals war Erdogans AKP zwar die mit Abstand stärkste Kraft geblieben, hatte aber erstmals seit 13 Jahren ihre absolute Mehrheit eingebüsst.

Damit scheiterte auch Erdogans Plan, per Verfassungsreform ein Präsidialsystem einzuführen. Die prokurdische Partei HDP schaffte es damals zum ersten Mal ins Parlament und nahm der AKP entscheidende Sitze ab.

Nach der Wahl war der Konflikt der Regierung mit den kurdischen Rebellen blutig eskaliert. Der Bürgerkrieg in Syrien erreichte die Türkei nicht nur durch hunderttausende Flüchtlinge, die in dem Nachbarland Zuflucht gesucht haben. Auch die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) verübte mehrere Anschläge.

Tiefe Spaltung dürfte weitergehen

Vor allem der Anschlag auf eine Friedensdemonstration in Ankara am 10. Oktober mit 102 Toten erschütterte das Land tief. Viele Beobachter befürchten, dass die neuerliche Parlamentswahl die tiefe politische Spaltung des Landes nicht beenden wird.

Wegen der Spannungen und aus Angst vor neuen Anschlägen wurde der Urnengang von fast 400'000 Sicherheitskräften abgesichert. Am Wahltag wurden zunächst keine schweren Anschläge oder Gefechte gemeldet.

Nur gerade in Diyarbakir im türkischen Kurdengebiet lieferten sich Demonstranten und Polizei nach Bekanntwerden der Hochrechnungen gewaltsame Auseinandersetzungen vor der Zentrale der HDP. Die Polizei trieb die Menge mit Tränengas und Wasserwerfern auseinander.

Bedeutung für Europa

Das Wahlergebnis in der Türkei hat auch Bedeutung für die EU und für Deutschland. Die Türkei ist das wichtigste Transitland für Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa. Die EU drängt die Regierung in Ankara, ein Abkommen zur Rücknahme von Flüchtlingen möglichst bald in Kraft treten zu lassen.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat der Türkei dafür bei einem Besuch vor zwei Wochen Finanzhilfen, Visa-Erleichterungen für türkische Bürger und Unterstützung bei den EU-Beitrittsverhandlungen in Aussicht gestellt. (sda/dpa)

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