Bis vor kurzem schien klar: Der Nachtzugverkehr in Europa mit Liege- und Schlafwagen steht vor dem Aus. Nun dürfte es doch weitergehen. Gemäss internen Dokumenten wollen die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) das Angebot der Deutschen Bahn (DB) übernehmen.
Demnach soll zum Fahrplanwechsel am 11. Dezember der Grossteil der Verbindungen weitergeführt werden, die die Deutsche Bahn (DB) aufgibt. Ersichtlich ist das in dokumentierten Trassenanmeldungen für den Nachtzugverkehr im kommenden Jahr, welche dem deutschen Bahnexperten und Grünen-Bundestagsabgeordneten Matthias Gastel vorliegen. Nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa soll das neue Nachtzugkonzept im September offiziell vorgestellt werden.
Die ÖBB werden nach den vorliegenden Trassenanmeldungen täglich drei Euronight-Züge (EN) mit Schlaf-, Liege- und Sitzwagen betreiben, die durch Deutschland fahren. Auch die Schweiz ist auf der Strecke Hamburg-Berlin-Frankfurt-Karlsruhe-Basel tangiert. Die anderen Züge sind zwischen Düsseldorf-Köln-Frankfurt-München-Innsbruck und Hamburg-Hannover-Würzburg-München-Innsbruck unterwegs.
Auch für die Achse Basel-Zürich-Prag ist ein Nachtzug vorgesehen. Sechs andere Nachtreisezüge der ÖBB mit Teilabschnitten in Deutschland sollen unverändert verkehren.
Keine offizielle Bestätigung von Strecken
Beide verhandelnden Bahngesellschaften wollten zu den Strecken keine Auskunft geben. «Das Nachtzugsegment ist interessant für uns, wir wollen es ausbauen», sagte ein ÖBB-Sprecher auf Anfrage. Konkrete Verbindungen könnten noch nicht genannt werden. «Wir rechnen damit, dass wir im Herbst Nägel mit Köpfen machen können», fügte er hinzu.
Die Deutsche Bahn führt nach eigenen Angaben bereits seit Monaten mit den ÖBB Gespräche über den Weiterbetrieb klassischer Nachtzüge. Sie selbst will unabhängig davon die Zahl ihrer Nacht-ICE, nur mit Sitzen, erhöhen. «Die SBB äussert sich nicht zu Verhandlungen zwischen den zwei Bahngesellschaften», sagte Sprecher Oliver Dischoe auf Anfrage der Nachrichtenagentur sda.
Wortreicher drückte sich Kurt Schreiber, Präsident der Interessenvertretung der Bahnkunden Pro Bahn, aus. «Ich bin verhalten optimistisch», sagte er. Aus SBB-Kreisen wisse er, dass die Schweiz dem deutsch-österreichischen Vorhaben keine Weichen in den Weg legen würde, käme es zu einer definitiven Einigung. «Die SBB wird aber nur auf einen fahrenden Zug aufspringen.»
Nicht rentabel
Die Deutsche Bahn hatte Ende 2015 bekanntgegeben, alle bisherigen Linien des klassischen Nachtzugverkehrs in diesem Dezember «in einem Schritt» einzustellen. Als Grund wurden jahrelange Verluste in diesem Geschäft genannt. So seien 2015 bei rund 90 Millionen Euro Umsatz 31 Millionen Euro Minus herausgekommen. Die meisten Züge seien mehr als vierzig Jahre alt, die nötigen Investitionen in die Modernisierung liessen sich nicht wieder hereinholen, stellte das Unternehmen fest.
Für die Deutsche Bahn sind die Nachtzüge ein Nischengeschäft. Zuletzt gab es 1.3 Millionen Buchungen pro Jahr. Somit war nur einer von hundert Fahrgästen in einem Schlaf- oder Liegewagen unterwegs. Die ÖBB machen dagegen mit den Nachtreisezügen 17 Prozent ihres Umsatzes.
Im Mai hatte der ÖBB-Aufsichtsrat den Kauf von bis zu sechzig gebrauchten Schlaf- und Liegewagen und 15 Autotransportwagen genehmigt. Bis Mitte 2019 sollen ausserdem 20 ÖBB-Intercity-Wagen zu Liegewagen umgebaut werden, für die es bereits eine Designstudie gibt.
Petition an Verkehrsministerin Leuthard
Auch in der Schweiz löste das bisher erwartete bevorstehende Ende der Nachtzüge emotionale Reaktionen aus. Der Verein umverkehR wehrte sich zusammen mit einer Allianz von Umweltverbänden auf internationalem Parkett gegen den weiteren Abbau von Nachtzügen. In einem offenen Brief wurde die EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc aufgefordert, sich für den Erhalt der Nachtzuglinien einzusetzen.
Die Streichung der DB-Nachtzuglinien habe grosse Auswirkungen auf Reisende aus der Schweiz, schrieb umverkehR. Betroffen seien die Linien nach Berlin, Hannover/Hamburg, Dresden/Prag und Köln/Amsterdam. Aus verkehrs- und klimapolitischen Gründen sei der Entscheid der Deutschen Bahn nicht nachvollziehbar. Damit werde ein völlig falsches Signal für den Klimaschutz gesetzt.
Im vergangenen September hatte der Verein umverkehR dem Verkehrsdepartement (UVEK) eine mit über 11'000 Unterschriften versehene Petition «Rettet den Nachtzug» übergeben. (sda/dpa)