Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan reist heute Dienstag zu Gesprächen mit dem russischen Staatschef Wladimir Putin nach St. Petersburg. Das Treffen soll eine monatelange schwere Krise zwischen den Ländern endgültig beenden.
Die Türkei hatte Ende November ein russisches Kampfflugzeug im Grenzgebiet zu Syrien abgeschossen. Moskau verhängte daraufhin Sanktionen etwa in der Tourismusbranche gegen Ankara. Ende Juni hatte Erdogan in einem Brief sein Bedauern über den Abschuss bekräftigt.
Für den türkischen Präsidenten ist es die erste Auslandsreise seit dem Putschversuch vom 15. Juli, der ihn entmachten sollte. Türkische Regierungskreise versuchten vor der Reise, Sorgen zu zerstreuen, Erdogans Besuch könnte eine Abkehr des NATO-Landes von Europa bedeuten. «Nur weil man Putin besucht, bedeutet das nicht, dass man sich von der EU abwendet», hiess es.
Erdogan selbst sagte vor dem Treffen in der Zarenmetropole: «Es wird ein historischer Besuch, ein Neuanfang. Bei den Gesprächen mit meinem Freund Wladimir wird eine neue Seite in den beiderseitigen Beziehungen aufgeschlagen.»
«Keil zwischen Türkei und den Westen treiben»
Nach Ansicht des Nahostexperten Michael Wolffsohn will Putin einen Keil zwischen die Türkei und den Westen treiben. Durch die angestrebte Annäherung zwischen Moskau und Ankara wolle der russische Präsident «natürlich» die EU und die NATO schwächen, hob der Historiker gegenüber der Nachrichtenagentur AFP hervor.
Allerdings hält Wolffsohn Erdogan nicht für einen langfristig verlässlichen Partner für Moskau. Der türkische Staatschef fahre eine «Zick-Zack-Linie»: «Bei Erdogan ist nichts dauerhaft, nur das Ziel, seine persönliche Macht zu erhalten und auszubauen.»
Angesichts der vom Putschversuch noch einmal angeschlagenen Wirtschaft und der eskalierenden Spannungen mit der EU braucht Ankara Verbündete. Die Sanktionen, die Putin nach dem Abschuss des Jets im syrischen Grenzgebiet verhängte, trafen die Türkei hart.
Russland war bis dahin nach Deutschland der wichtigste Handelspartner der Türkei. Bezeichnend ist der Rückgang der Touristenzahlen, nachdem Putin als Strafmassnahme Charterflüge in das Ferienland stoppen liess.
Energiefragen im Zentrum
Bei dem Treffen wollen Putin und Erdogan auch über milliardenschwere Energieprojekte sprechen. Besonders interessant für EU-Mitglieder ist dabei das Projekt Turkish Stream zum Transit russischen Erdgases durch das Schwarze Meer nach Südeuropa.
Die Pipeline soll vom russischen Küstenort Anapa über die Türkei bis nach Griechenland weitergebaut werden. Die beiden geplanten Stränge haben eine Gesamtkapazität von 32 Milliarden Kubikmetern. Nach Deutschland ist die Türkei der grösste Abnehmer russischen Gases.
Ein bilaterales Megaprojekt ist auch das Atomkraftwerk Akkuyu, das Russland derzeit an der Südküste der Türkei baut. Das Vorhaben hat Moskauer Medien zufolge ein Volumen von rund 20 Milliarden US-Dollar. Nach Fertigstellung betreibt Moskau den Reaktor vorerst selbst und hat von Ankara lukrative Zusagen für die Stromabnahme erhalten.
Für die türkische Tourismusbranche dürfte das Ende der Eiszeit ein Lichtblick sein. Russen gehörten vor der Krise zu den wichtigsten Urlaubergruppen in der Türkei. Nachdem Moskau die Charterflüge einstellte, brachen die Besucherzahlen fast völlig ein. Im Juni ging die Zahl verglichen mit dem Vorjahresmonat um 93 Prozent zurück. (sda/dpa/afp)