Gotthard 2016: Geistliche segnen einen Mustertunnel am Gotthard

Gotthard 2016: Geistliche segnen einen Mustertunnel am Gotthard

01.06.2016, 09:32

Der Gotthard-Basistunnel ist am Mittwochmorgen feierlich gesegnet worden. Geistliche dreier Religionen führten vor der offiziellen Eröffnung gemeinsam eine Segnungszeremonie im Berg durch. Pater Martin Werlen besprengte den sogenannten Mustertunnel mit Weihwasser.

Zwei Kilometer tief im Berg drin, umgeben von den grauen Betonwänden des Zuganggsstollens Amsteg, segneten die Geistlichen den wenige Meter entfernten Basistunnel. Im Licht von einigen wenigen Scheinwerfern beteten ein Pater, eine Pfarrerin, ein Imam und ein Rabbiner um den Segen für alle Reisenden und Arbeiter im Tunnel. Auch ein Atheist nahm an der Zeremonie teil.

Diese fand aus Sicherheitsgründen nicht im Tunnel selbst, sondern in einem sogenannten Mustertunnel statt - einer grauen, rund zehn Meter langen Röhre mit Geleisen in der Mitte. Die schlichte Zeremonie kam ohne Musik und Publikum aus. Szenen von der Segnung sollen aber später an der Eröffnungsfeier gezeigt werden.

Hindernisse überwinden

Die Geistlichen baten Gott um den Schutz der Reisenden. «Halte Deine segnende Hand über allen, die in Zukunft in diesem Tunnel arbeiten oder als Reisende unterwegs sind», betete die reformierte Pfarrerin Simona Rauch auf Italienisch. Sie gedachte der neun Todesopfer, die der Bau des Tunnels gefordert hatte.

Die aus Lugano stammende Pfarrerin rief angesichts der Eröffnung des längsten Eisenbahntunnels der Welt dazu auf, Hürden zu überwinden: «Ermutige uns, dass wir nicht vor hohen Bergen ratlos stehen bleiben, sondern über alle Hindernisse hinweg immer neu den Weg zum Miteinander suchen.»

Auch Rabbiner Marcel Yair Ebel aus Zürich und Imam Bekim Alimi aus Wil SG nahmen in ihren kurzen Gebeten Bezug auf den neuen Reiseweg. Ebel bat Gott, «uns friedlich zu führen, gefahrlos gehen zu lassen, damit wir wohlbehalten ans Ziel gelangen».

Imam Bekim Alimi aus Wil SG bat Allah um Sicherheit und Brüderlichkeit. «Erleichtere den Weg derjenigen, die uns diese Reise erleichtert haben, und ermögliche uns, anderen ihre Reise zu erleichtern», betete er laut Redetext.

Vertrauen in die Macht des Guten

Die in der Schweiz wachsende Gruppe von Menschen ohne Religionszugehörigkeit wurde an der Zeremonie durch Pieter Zeilstra vom Bundesamt für Verkehr (BAV) vertreten. Der Gotthard-Basistunnel sei eine Gelegenheit, um Nord und Süd nicht nur geografisch näher zu bringen, sagte der Leiter der Abteilung Sicherheit beim BAV.

Der Tunnel verbinde Regionen, Kulturen, Sprachen, aber auch Religionen und Menschen, die zu keiner Religionsgemeinschaft gehörten. Die vielen Menschen, die am Bau des Tunnels beteiligt waren oder ihn künftig nutzen werden, verbinde «das Vertrauen in die Macht des Guten im Menschen», sagte Zeilstra.

Vor der Zeremonie waren die Geistlichen begleitet von Polizisten in den Zugangsstollen gefahren worden. Mit dabei waren auch einige Medienschaffende. Auf Bitten der Kameramänner segnete Werlen den Tunnel gleich zwei Mal.

Missmut im Vorfeld

Mit der interreligiösen Zeremonie soll gemäss den Organisatoren das Verbindende des Tunnels auch auf religiösem Gebiet dargestellt werden. Ausgearbeitet wurde das Konzept von Martin Werlen, ehemaliger Abt des Klosters Einsiedeln und passionierter Bahnfahrer.

Für Schlagzeilen hatte im Vorfeld gesorgt, dass gemäss dem ursprünglichen Konzept kein protestantischer Geistlicher an der Segnung teilnehmen sollte. Vorgesehen waren ein katholischer Priester, ein Rabbi und ein Imam.

Angesichts der Kritik vereinbarten Bund und Kirchenvertreter, auch einen Christen aus der protestantischen Tradition zu berücksichtigen. Die Wahl fiel auf Simona Rauch, derzeit Pfarrerin im Bergell. Mit der aus Lugano stammenden Pfarrerin konnte sich zudem das Tessin über eine Vertreterin an der Segnungszeremonie freuen.

Der Tunnel wird heute rund 17 Jahre nach Baubeginn eröffnet - es ist der längste Eisenbahntunnel der Welt. Zur Feier sind neben dem Gesamtbundesrat 1100 Gäste geladen - darunter die Staatschefs aus Deutschland, Italien und Frankreich.

3000 Personen stehen im Einsatz, damit der Anlass glatt über die Bühne geht, 300 in- sowie ausländische Medienvertreter werden über den Anlass in alle Welt berichten. Für die Sicherheit der Gäste sorgen neben der Polizei bis zu 2000 Armeeangehörige.

Rund 8 Millionen Franken soll der gesamte Anlass kosten. Über dem «Grossraum Gotthard» gilt eine Verkehrssperre für die Zivilluftfahrt und die Luftwaffe.

17 Minuten Fahrt

Nach der Segnung fahren die ersten zwei Züge mit Passagieren durch den 57 Kilometer langen Tunnel. Je ein Zug wird von Norden und von Süden her den Tunnel einweihen. An Bord werden jene 1000 Personen sein, die in der Verlosung Anfang Jahr ein Ticket ergattert haben.

Mit dem neuen Basistunnel verkürzt sich die Reise von Altdorf im Kanton Uri nach Bellinzona im Tessin um total 30 Kilometer. Die Fahrt dauert künftig im Personenzug noch rund 17 Minuten, wenn der Zug mit den erlaubten 200 km/h fährt.

Weil die Steigung zwischen Altdorf und Lugano mit dem neuen Tunnel auf 12.5 Promille reduziert wird, gilt die Strecke ausserdem als erste Flachbahn durch die Schweizer Alpen. Damit kann der Güterverkehr auf Schiebeloks verzichten und längere und mehr Züge einsetzen.

Ein Jahrhundertbauwerk

Die offiziellen Arbeiten für das Jahrhundertbauwerk begannen im November 1999 mit dem Tunnelanstich. Insgesamt schufteten in den folgenden rund 17 Jahren 2400 Arbeiterinnen und Arbeiter bei Temperaturen von bis zu 50 Grad im Berg. Neun Menschen verloren bei den Bauarbeiten ihr Leben.

28.2 Millionen Tonnen Material wurden aus dem Berg gebrochen. Ein grosser Teil des Gesteinsausbruchs kam in Form von Beton wieder in den Berg hinein. Im Oktober 2010 erfolgte der Hauptdurchschlag.

Das Tunnelsystem mit Verbindungs- und Zugangsschächten misst 152 Kilometer. Die Felsschicht über den Tunnelröhren ist zwischen sechs und 2300 Metern dick. Damit ist der Tunnel derzeit nicht nur der längste, sondern auch der tiefste der Welt.

Merkel, Hollande, Renzi, Kern

Mit dem Gotthard-Basistunnel ist das Kernstück der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT) vollendet, welche vor 24 Jahren vom Schweizer Volk angenommen worden war. Das Jahrhundertbauwerk soll das Tessin und die Deutschschweiz näher zusammenbringen und der EU eine gute Nord-Süd-Verbindung bieten.

Doch auch mit der Tunnel-Eröffnung bleibt das Verlagerungsziel für den Güterverkehr noch weit entfernt. Laut Umweltschützern fehlt es am politischen Willen, in den Augen der Behörden liegt es am Ausland. In Italien sollen die drei grossen Zufahrtsstrecken zur NEAT bis Ende 2020 angepasst sein. In Deutschland dauert der Ausbau aber noch nahezu zwanzig Jahre.

Wie wichtig die neue Verbindung durch die Alpen für die Nachbarländer ist, zeigt die Gästeliste für die Eröffnungsfeier. Sowohl die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel als auch der französische Präsident François Hollande, Italiens Premier Matteo Renzi und der neue österreichische Kanzler Christian Kern werden der Eröffnung beiwohnen. Im Namen der EU wird Verkehrskommissarin Violeta Bulc anreisen.

Kulturelles und Kulinarisches für die Gäste ...

Ihnen wird - neben dem offiziellen Teil - auch Kulturelles und Kulinarisches geboten: Mit 600 Darstellerinnen und Darstellern hat der Theaterregisseur Volker Hesse ein Spektakel zum Mythos Gotthard und dem hochmodernen neuen Tunnel inszeniert. Auch Musiker, darunter Alphornbläser, das Armeespiel und lokale Chöre, haben ihre Auftritte.

An den beiden Tunnelportalen in Rynächt und Pollegio TI können sich die geladenen Gäste mit regionalen Spezialitäten verpflegen. Und gegen den Durst stehen Getränke aus den beiden Regionen bereit.

... und ein Fest für die Bevölkerung

Am Wochenende kommt dann die Bevölkerung zum Zug: Die Tunneleröffnung wird mit einem grossen Publikumsanlass an vier Orten gefeiert: auf der Alpennordseite in Erstfeld und Rynächt, im Tessin in Pollegio und am Bahnhof in Biasca.

Die Organisatoren der Feier rechnen mit einem grossen Interesse der Bevölkerung. Rund 50'000 bis 100'000 Personen sollen am Fest-Wochenende durch den 57 Kilometer langen Tunnel fahren können. (sda)

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