Angefangen hat alles mit einer Meldung in der welschen Sonntagszeitung «Le Matin Dimanche»: Die Zahl jugendlicher Puffgänger, sogar solcher, die jünger als 18 Jahre alt seien, nehme markant zu und würde bereits ein Viertel aller Freier ausmachen. Danach überschlugen sich die Meldungen. Von Schülerrabatten in Bordellen bis hin zu 13-Jährigen, die mehrmals pro Woche Bordelle frequentierten und deshalb später kriminell werden, war die Rede. Wir glauben nichts und haben zum Thema mit zwei Leuten gesprochen, die wirklich wissen, wovon sie reden. Zum einen mit einem jungen Mann, der tatsächlich seit seinem 18. Altersjahr in den Puff geht und nichts anderes kennt. Und zum anderen mit dem grössten Bordellbetreiber der Schweiz (Interview in Infobox am Schluss).
Sascha, wie alt warst du, als du das erste Mal ein Bordell besucht hast?
Da war ich 18.
Und was ist da abgelaufen?
Ein Kollege hat mich mitgenommen. Wir waren im Ausgang und er sagte, das müsse ich auch einmal erlebt haben. Wir sind dann an der Häringstrasse im Zürcher Niederdorf ins sogenannte Fünfzigerhaus, wo die Frauen in Zimmern anschaffen.
War das gut?
Nicht speziell. Ich war ziemlich voll. Aber ich bin trotzdem auf den Geschmack gekommen. Später gingen wir auch noch in den Wohnwagen am Sihlquai. Das war in den Anfangszeiten. Danach habe ich auch andere Sachen ausprobiert, klassische Bordelle etwa wie der Club Eden in Schlieren, wo die Puffmutter einem ein Frotté-Tuch und etwas zu Trinken bringt und einen unter die Dusche schickt.
Und es hat niemanden interessiert, dass du erst 18 Jahre alt warst?
Nein, in der Häringstrasse sowieso nicht. Die nehmen alles, insbesondere am Wochenende versuchen diese Frauen, soviel Geld zu machen wie möglich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dort Ausweise verlangt und Alterskontrollen gemacht werden. In grösseren und seriösen Etablissements schon eher, aber da gehe ich erst hin, seitdem ich etwa 20 bin.
Ist das nicht teuer? Wie kannst du dir das leisten?
Das geht schon. Ich gehe ja nicht jede Woche. So alle zwei, drei Monate reicht mir völlig aus.
Und seit dem ersten Mal im Bordell hast du nie eine sexuelle Beziehung zu einer Frau aufgebaut, die nicht auf Bezahlung beruhte?
Nein. Ich hatte bis jetzt ausschliesslich Sex mit Prostituierten. Natürlich würde mich auch Sex ausserhalb eines Bordells mal reizen, aber dazu ist es nie gekommen. Ich bin kein Player, der im Ausgang Frauen ansprechen und abschleppen kann. Und Frauen machen von sich aus Männern ja keine Avancen. Jedenfalls nicht mir gegenüber.
Probieren könntest du es ja mal. Liebe wird aus Mut gemacht. Hast du nicht einfach Angst vor Abfuhren?
Ein Stück weit ist es sicher auch das. Aber ehrlich gesagt: Warum das Risiko eingehen? Wenn ich Sex brauche, dann gehe ich ins Puff. Da kann ich Sex haben in einem geschützten Rahmen. Das ist stressfreier und da fühle ich mich wohler.
Hast du nie Zweifel, ob Sex in Verbindung mit Liebe nicht doch toller wäre als Bezahl-Sex?
Doch. Manchmal schon. Aber ich bin die ersten acht Jahre meines Lebens in einer endzeitlich-evangelikalen Sekte aufgewachsen. Sex als Lustgewinn war dort kein sehr beliebtes Konzept, wie man sich vorstellen kann. Eher ein zur Fortpflanzung notwendiges Übel. Vielleicht kann ich deshalb Sex nicht richtig mit Liebe und emotionalen Beziehungen verbinden. Aber das ist eigentlich eine müssige Frage. Ich habe es nicht analysiert und ich bin zufrieden mit meinem Single-Dasein.
Aber es entsteht ja nichts in sechs Jahren Bordell-Sex. Hast du nicht manchmal den Wunsch, eine Partnerin und später allenfalls eine Familie zu haben?
Doch, klar. Ich bin jetzt 24. In so etwa fünf bis sechs Jahren kann ich mir das gut vorstellen. Ich glaube auch, dass das passieren wird. So schwierig stelle ich es mir dann auch nicht vor. Ich hätte dann auch kein Problem damit, nicht mehr ins Bordell zu gehen. Denke ich jedenfalls. Aber im Moment ist das alles noch kein Thema. Im Puff gibt's keinen Stress, da fühle ich mich einfach wohler und entspannter als in freier Wildbahn.
Woher willst du das denn wissen? Du hast es ja noch nie in freier Wildbahn versucht.
Touché. Ich bin halt einfach zufrieden mit Puff-Sex. Wozu etwas Neues ausprobieren?
Apropos Neues ausprobieren: Welche Praktiken kannst du im Bordell ausleben, von denen du denkst, es könnte schwierig werden im ‹richtigen› Leben?
Eigentlich nichts Ausgefallenes.
Aber?
Analsex und der Partnerin während des Sex ins Gesicht spucken. Die beiden Dinge könnten auf Ablehnung stossen, könnte ich mir vorstellen.
Aber im Bordell geht das ohne weiteres?
Klar. Gegen den entsprechenden Aufpreis von meist 50 bis 100 Franken ist das normalerweise kein Problem.
Glaubst du denn, solche Dinge würden im ‹richtigen› Leben nicht praktiziert?
Ich weiss es nicht, aber ich könnte es mir schon vorstellen. Ich habe auch schon von Kollegen gehört, dass sie von normalen Frauen überfordert waren, die zehnmal so versaut waren wie sie selber und Dinge machen wollten, die ihnen überhaupt nicht gefielen. Das soll es also auch geben.
Hast du mittlerweile eine Stammprostituierte?
Ja, eigentlich schon. Seit zwei Jahren gehe ich oft zu einer Frau an der Häringstrasse im Niederdorf, aber ich probiere hie und da auch ausgefallenere oder gehobenere Etablissement aus.
Hast du dich schon mal in eine Prostituierte verliebt?
Nein. Im Bordell geht es um Sex. Ums Geschäft mit dem Sex. Zwischenmenschliche Sympathien spielen da keine Rolle.
Wie verbreitet sind Potenzmittel und Drogen im Rotlicht-Milieu?
Es wird schon angeboten, aber ich habe noch nie davon Gebrauch gemacht. Einmal sollte ich eine stimulierende Flüssigkeit über meinen Penis giessen, damit solle er dann länger stehen, hiess es. Ich habe dankend abgelehnt.
Fragt deine Mutter nicht, warum du nie eine Freundin hast und wann sie endlich Enkel kriege?
Nein. Ich bin mit 16 von zu Hause ausgezogen, wir haben danach nicht so viel miteinander gesprochen. Auch darüber nicht. Aber sie weiss schon, dass ich immer Single war und ich denke, es ist ihr auch klar, wie ich das mache. Ohne dass man es explizit aussprechen müsste.
Verhütest du immer?
Ja. Ohne Gummi mache ich nichts. Es heisst immer, die Prostituierten würden von Freiern angehalten, Sex ohne Gummi zu praktizieren, aber ich habe die gegenteilige Erfahrung gemacht. Etwa dass Frauen gesagt haben, es sei für einen kleinen Aufpreis kein Problem, es ohne zu machen, sie würden regelmässig auf Krankheiten getestet. Aber auch wenn es aus gesundheitlicher Sicht kein Problem wäre, fände ich das eklig. Man ist ja nicht der einzige, der mit denen schläft. Ganz im Gegenteil.
Dokumentierst du dein Sexleben irgendwie? Filme? Tagebuch?
Nein. Das ist etwas, das ich dort mache und das bleibt auch dort. Das erzähle ich nicht mal meinen Kollegen. Wenn, dann sage ich, dass ich im Bordell gewesen sei und dass es gut war, und damit hat es sich.
Wirst du dann angefeindet dafür, dass du nur Bezahlsex hast?
Nein, das ist unter jungen Menschen heutzutage eigentlich weit herum akzeptiert. Die Kollegen sind eher neidisch, dass ich keine Freundin, aber trotzdem Sex habe. Das ist ja das, was sie sich letztlich wünschen: Regelmässig Sex haben zu können, ohne dass sie sich von den Launen ihrer Freundinnen beelenden lassen müssen. Jedenfalls höre ich das so raus.
Was muss denn deine allenfalls künftige Freundin mitbringen, damit sie dich vom Bordell losreissen kann?
Ah, die Traumfrau-Frage. Musste ja kommen. Ich habe da keine speziellen Vorstellungen. Sie muss nicht supersuperschön sein, aber sollte auch nicht nach unten ausschlagen.
Ist die Gefahr nicht gross, dass deine Künftige dich im Bett enttäuschen könnte, nachdem du zehn Jahre in Bordellen verkehrt hast?
Ich hoffe es nicht. Ich glaube, dass man die dann auch ein wenig dazu anhalten könnte, etwas ausgefallenere Dinge zu machen. Ausserdem geht es ja in einer Beziehung nicht primär nur um Sex, sondern auch um andere Dinge wie Geborgenheit und Vertrautheit.
Hast du gehört?
(lacht) Nein, das hab ich irgendwo gelesen.
*Name geändert