Griechenland: Die griechischen Wähler geben Alexis Tsipras eine zweite Chance

Griechenland: Die griechischen Wähler geben Alexis Tsipras eine zweite Chance

21.09.2015, 20:28

Alexis Tsipras hat seine zweite Chance bekommen und darf noch einmal mit den Rechtspopulisten regieren. Der Linkspolitiker muss nun beweisen, dass er nicht nur taktieren, sondern das Land auch stabilisieren kann.

Nach dem Wahlsieg der Linken in Griechenland bekommt das Land erneut eine Koalitionsregierung mit der rechtspopulistischen Partei der Unabhängigen Griechen (Anel) als Juniorpartnerin. Syriza holte nach vorläufigem amtlichen Endergebnis vom Montag 35.5 Prozent der Stimmen, 7.4 Prozent mehr als die Konservativen.

50 Bonusmandate

Zusammen mit Anel kommt das Linksbündnis Syriza auf eine absolute Mehrheit im Parlament. Die zehn Anel-Abgeordneten von Parteichef Panos Kammenos sichern Tsipras insgesamt 155 der 300 Sitze, da Syriza als stärkste Kraft 50 Bonusmandate erhält.

«Griechenlands Volk hat uns ein klares Mandat gegeben, im In- und Ausland für den Stolz unseres Volkes zu kämpfen», erklärte Tsipras noch am Abend der Wahl.

Vor dem Staatspräsidenten Prokopis Pavlopoulos legte er am Abend den Amtseid ab. Zuvor hatte er - wie es die Verfassung vorsieht - das Mandat für die Bildung einer Regierung erhalten. Das Kabinett soll in den nächsten Tagen vorgestellt werden. Laut dem Staatsfernsehen (ERT1) soll die neue Regierung voraussichtlich am Dienstag stehen.

Der Anel-Vorsitzende Kammenos sagte nach einem Treffen mit Tsipras, die Regierung werde am Mittwoch vorgestellt. Kammenos war bislang Verteidigungsminister. Nach Angaben aus der Syriza behält Finanzminister Euklid Tsakalotos das für die Verhandlungen mit den Gläubigern zentrale Ressort.

Die konservative Nea Dimokratia (ND) von Spitzenkandidat Evangelos Meimarakis muss sich mit der Rolle als grösste Oppositionspartei begnügen. Sie erhielt 28.1 Prozent der Stimmen und 75 Parlamentssitze. «Wir bleiben die Garanten der Stabilität im Lande», erklärte Meimarakis im Fernsehen.

Mahnende Worte

Die Rechtsextremisten der Goldenen Morgenröte (Chrysi Avgi) kommen auf den dritten Platz mit 7 Prozent der Stimmen und 18 Abgeordneten. Die sozialdemokratische Pasok kam auf 6.3 Prozent. Die Kommunisten holten 5.6 Prozent und Tsipras' Koalitionspartnerin Anel 3.7 Prozent.

Der Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, ermahnte die Griechen, auf dem vereinbarten Reformkurs zu bleiben. Eine stabile Regierung in Athen sei auch für die Bewältigung der Flüchtlingskrise wichtig. Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem bezeichnete das Wahlergebnis als «starkes Mandat», um den Reformkurs fortzusetzen.

EU-Ratspräsident Donald Tusk äusserte in einem Glückwunschschreiben an Tsipras die Hoffnung auf «politische Stabilität» in Athen. Viele der grössten Herausforderungen für Griechenland beträfen auch die EU. Tusk nannte die Schaffung von Wachstum und Arbeitsplätzen sowie die Flüchtlingskrise an der südöstlichen EU-Aussengrenze.

Misswirtschaft und Korruption

Experten machten Misswirtschaft und Korruption, die vor allem dem Partei-Establishment von Nea Dimokratia und Sozialisten angekreidet würden, als Hauptgründe des Syriza-Sieges aus. Tsipras hatte im Wahlkampf versprochen, einen Schlussstrich unter das «alte System» zu ziehen.

Er bekannte, er habe zwar Fehler gemacht und bei den Spar- und Reformauflagen der internationalen Gläubiger einlenken müssen. Er verdiene aber trotzdem eine «zweite Chance». Die Wähler hatten Syriza im Januar erstmals zur stärksten Kraft gemacht.

Doch eine Neuwahl wurde nötig, weil Tsipras am 20. August seinen Rücktritt als Ministerpräsident einreichte, um den rebellischen Linksflügel seiner eigenen Partei abzuschütteln und sich ein stabiles Mandat der Wähler zu sichern. Der erbitterte Streit über die den Gläubigern zugesagte Sparpolitik hatte Syriza gespalten.

Die Wahlbeteiligung war am Sonntag mit 56.6 Prozent so tief wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Offenbar hatten die Griechen wenig Lust, nach dem Referendum über das Sparprogramm im Juli ein drittes Mal innerhalb weniger Monate an die Urne zu gehen. Vielen Auslandsgriechen dürfte das Geld gefehlt haben, ohne Möglichkeit zur Briefwahl in ihrem Heimatland abzustimmen.

Einsatz für Schuldenerleichterungen angekündigt

Mit einer verheerenden Bilanz war Griechenland in die vierte Parlamentswahl innerhalb von drei Jahren gegangen: Seit dem Beginn der Krise vor sechs Jahren gab es schon fünf Regierungen. Die Wirtschaft ist seit 2010 um ein Fünftel geschrumpft, jeder vierte Grieche ist arbeitslos. Fast jeder Zweite unter 25 hat keinen Job.

Nach der Wahl im Januar hatte Tsipras das dritte Hilfspaket von bis zu 86 Milliarden Euro mit den Geldgebern ausgehandelt. Nun erwartet ihn die Umsetzung harter Spar- und Reformauflagen, gegen die das Volk schon in der Vergangenheit rebellierte.

Tsipras hatte im Wahlkampf ein «sanfteres» Sparprogramm versprochen, dessen Details noch ausgehandelt werden müssten. Er will sich bei den Geldgebern für Schuldenerleichterungen einsetzen. Denkbar sind etwa verlängerte Kreditlaufzeiten, niedrigere Zinsen oder ein verzögerter Rückzahlungsbeginn. (sda/reu/dpa)

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