Der Fall ist aus Sicht der Migrationsbehörden exemplarisch: Ein irakischer Flüchtling reist in sein Heimatland, um Verwandte zu besuchen. In jenen Staat, in dem er nach eigenen Angaben verfolgt wird. Er fliegt auf, die Schweiz widerruft seinen Asylstatus, denn freiwillige Reisen in die Heimat sind nicht erlaubt. Der Mann rekurriert, doch das Bundesverwaltungsgericht weist die Beschwerde ab. Die Richter sehen es als erwiesen an, dass er sich freiwillig in den Irak und unter die Obhut der dortigen Behörden begeben hat.
Der Gerichtsfall liegt acht Jahre zurück, die Problematik besteht bis heute. Neue Zahlen zeigen: Im Jahr 2017 hat das Staatssekretariat für Migration (SEM) 231 Personen den Asylstatus entzogen, weil sie in ihr Heimatland gereist sind. Das entspricht einem Anstieg um 60 Prozent gegenüber 2016.
Die meisten Widerrufe betrafen Flüchtlinge aus Vietnam (71), Irak (60) und Bosnien-Herzegowina (30). Ein wahrscheinlicher Grund für den Anstieg ist die 2015 geschaffene «Meldestelle Heimatreisen» des SEM: Die Grenzkontrollbehörden und kantonale Ämter übermittelten ihr vergangenes Jahr 101 Verdachtsfälle, die 137 Personen betrafen. Mehr als dreimal so viele Meldungen wie 2016.
Um in die Heimat reisende Flüchtlinge zu entlarven, dürfen die Grenzbehörden unter anderem auf die Passagierdaten von Fluggesellschaften zurückreifen. Ein SEM-Sprecher sagt, der Anstieg der Verdachtsfälle sei auch mit dem gestiegenen Bekanntheitsgrad der Meldestelle zu erklären
Aus Sicht der bürgerlichen Parteien gibt es dringenden Handlungsbedarf. Justizministerin Simonetta Sommaruga (SP) hat diesen Frühling eine Anpassung des Asylrechts vorgeschlagen: Neu soll das Verbot von Heimatreisen explizit im Asylgesetz festgehalten werden.
Doch Sommaruga will Ausnahmen. Nur wer wie der Iraker im Eingangsbeispiel freiwillig in sein Heimatland reist, den «heimatlichen Schutz» in Anspruch nimmt (sich zum Beispiel beim Grenzübertritt einer Passkontrolle unterzieht) und von den dortigen Behörden effektiv nicht mehr verfolgt wird, soll seinen Asylstatus verlieren.
In einem Punkt verschärft die SP-Bundesrätin die bisherige Praxis: Neu müssen die Flüchtlinge beweisen, dass sie zur Reise gezwungen wurden. Ansonsten geht der Gesetzgeber automatisch davon aus, dass die Kriterien zur Aberkennung des Flüchtlingsstatus erfüllt sind. Heute liegt die Beweislast aufseiten der Behörden.
Der SVP und Politikern anderer bürgerlicher Parteien gehen Sommarugas Gesetzesänderungen zu wenig weit. Ende nächster Woche behandelt die staatspolitische Kommission des Nationalrates eine parlamentarische Initiative von Gregor Rutz (SVP/ZH), die einen Automatismus verlangt: Wer als Flüchtling in sein Heimatland reist, dessen Asylstatus soll in jedem Fall erlöschen. «Ich will diese Ausnahmen nicht. Wer von seinem Herkunftsland verfolgt ist, soll generell nicht in diesen Staat zurückreisen», sagt Rutz.
Widerstand kommt von links. Michael Flückiger von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe sagt, der Automatismus in der parlamentarischen Initiative von Rutz sei abzulehnen: «Ein Betroffener muss die Möglichkeit haben, sich gegen eine entsprechende Verfügung zu wehren. Es geht schliesslich um Leib und Leben.»
Die Flüchtlingshilfe ist auch dagegen, dass die Beweislast – wie vom Departement Sommaruga vorgeschlagen – umgekehrt wird. «Reist eine Person ins Heimatland, heisst das nicht automatisch, dass sich diese Person freiwillig unter den Schutz dieses Staates stellt.» Es könne zum Beispiel sein, dass ein Flüchtling unter dem Radar der Behörden in sein Herkunftsland reise, um an einer Beerdigung eines Familienangehörigen teilzunehmen. «Wenn diese Person alles unternimmt, um nicht mit den Behörden in Kontakt zu kommen, soll dies nicht zum Asylwiderruf führen.»