In den kommenden Jahren soll sich in der Berner Abfallentsorgung so einiges ändern. Verschiedene Wert- und Recyclingstoffe sollen künftig direkt in verschiedenen Müllsäcken gesammelt und in den entsprechenden Containern deponiert werden. Der regelmässige Gang zum Entsorgungshof oder zur Recyclingstelle soll entfallen.
Eigentlich sollte das neue Farbsack-System bereits ab 2022 eingeführt werden. Nun startet das neue System im Quartier Mattenhof-Weissenbühl (Stadtteil III) ab der zweiten Hälfte 2023. 2024 soll Bümpliz-Bethlehem folgen und weitere Stadtteile bis 2027. Die Innere Stadt ist vom neuen System ausgenommen.
Warum kam es zu den Verzögerungen? «Das Farbsack-Trennsystem hat Pioniercharakter, entsprechend fordernd ist die Einführung, da sich die Stadt Bern nicht auf die Erfahrung aus anderen Schweizer Städten abstützen kann», teilt die Direktion für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün mit. «Deshalb wurde beschlossen, zusätzliche Zeit für eine Überarbeitung der Umsetzungsplanung einzuräumen. Es ist wichtiger, im Dialog mit den Quartierorganisationen eine möglichst gute Lösung zu finden, als das Farbsack-Trennsystem möglichst schnell einzuführen.»
Umstritten ist auch der für die neuen Container benötigte Platz. Im Berner Mattenhof-Quartier müssen durch das neue System 130 Parkplätze aufgelöst werden. «Die Container werden im Grundsatz auf Privatgrund stehen. Wo dies der Platz nicht zulässt, bietet die Stadt gegen die Entrichtung einer Ersatzabgabe eine Entsorgungslösung auf öffentlichem Grund an», so die Stadt Bern. «Solche Lösungen sind fordernd, da sie aufgrund des beschränkten Platzes oft in Konkurrenz mit anderen Nutzungen im öffentlichen Raum stehen.» Im Stadtteil III, also im Mattenhof-Quartier, sei dies mit 120 öffentlichen Containerstandplätzen besonders ausgeprägt.
Wenn die Stadt also keine Container an der Liegenschaft platzieren kann, müssen diese an einen öffentlichen Entsorgungsort angeschlossen werden, was zu Zusatzkosten – einer sogenannten Ersatzabgabe – führt. Auf der Website des neuen Farbsack-Systems wird vorgerechnet, wie viel dies kosten dürfte: Pro Quadratmeter Bruttogeschossfläche (Fläche inklusive Mauer- und Wandquerschnitten) werden 0.35 Franken verrechnet. Bei einer Vier- bis Fünfzimmerwohnung von 120 Quadratmetern dürften somit Kosten von circa 42 Franken pro Jahr anfallen.
Die Stadt Bern geht davon aus, dass das neue Farbsack-System zu einer Entlastung der Sammelstellen führt: «Beim Farbsack-Trennsystem können nebst Kehricht und Papier/Karton auch PET-Getränkeflaschen, Glas, Dosen/Büchsen und Kunststoff direkt vor der Haustür entsorgt werden. Der Weg zur Sammelstelle im Quartier entfällt somit und die Problematik der vollen Sammelstellen dürfte sich entschärfen.»
Eine ungewollte «Entlastung» bedeutete die Wahl des Farbsack-Systems für das Recyclingunternehmen Mr. Green. Beim Unternehmen konnte man verschiedene Wertstoffe wie Alu, Papier, PET, Plastik und viele weitere in einem Sack sammeln. Mr. Green kümmerte sich dann um die Trennung und das Recyceln. Nach der Abstimmung entschied das Unternehmen aber, sich aus Bern zurückzuziehen: «Unser Angebot macht unter gegebenen Umständen und derart grosser Konkurrenz einfach nur noch wenig Sinn», schrieb es im Frühsommer 2022 an ihre Kundinnen und Kunden.
Auf Anfrage kritisiert das Unternehmen noch weitere Punkte an der (alten) Berner Recyclingpolitik: «Ebenfalls wollte uns Recycling & Entsorgung Bern schon länger nicht erlauben, bestimmte Wertstoffe wie zum Beispiel verschiedene Kunststoffe, Papier und Karton, zu sammeln. Darüber hinaus wollte die Stadt von uns weitere geschäftserschwerende Bedingungen erfüllt haben und Vergütungen für gewisse von uns gesammelte Wertstoffe. Es war ein Mix aus Regeln, die unser Angebot schwächen und nicht lukrativ machen und dann noch die Vision einer von der Stadt lancierten Konkurrenz.»
Dass das neue System nun mit Verspätung eingeführt wird, sei für Mr. Green nicht relevant, da sie sich bereits zurückgezogen haben. Sehr ärgerlich wäre es aber, wenn es nie eingeführt würde, so das Unternehmen. «Wir hatten viele glückliche Kundinnen und Kunden und es war eine sinnstiftende Aufgabe für eine lokale Sozialeinrichtung.»