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Schweizer Experte: Trump will mit seinen Zöllen etwas anderes erreichen

epaselect epa12289760 Swiss army knives of manufacturer Victorinox are on display in Bern, Switzerland, 08 August 2025. Since 07 August, additional tariffs of 39 percent have been imposed by the US go ...
Bild: keystone

«Trump geht es nur um ein einziges Ziel»

Von wegen Jobs und Re-Industrialisierung: Trump wolle mit seinen Zöllen etwas ganz anderes erreichen. Das sagt Professor Rolf Weder von der Universität Basel. Glaubt er an einen Schweizer Deal?
06.09.2025, 12:4806.09.2025, 12:48
Daniel Zulauf / ch media
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Herr Weder, waren Zölle vor der Ära Trump eigentlich tot?
Rolf Weder: Nein. Zölle auf Industriegüter hat es immer und überall gegeben, nur die Schweiz hat sie vor knapp zwei Jahren ganz abgeschafft. Aber es waren in den vergangenen Jahrzehnten hauptsächlich Entwicklungsländer, die noch im grösseren Stil mit Zöllen operierten. Besonders beliebt war zum Beispiel in Südamerika die Idee, mit Importbeschränkungen bestimmte Industrien im eigenen Land anzusiedeln.

«Ich hätte nie gedacht, dass ein hoch entwickeltes Industrieland wie die USA auf so hohe Zölle zurückgreifen würde.»

Waren diese Ideen nicht auch in unseren Breitengraden populär?
Ja, vor allem in linken, globalisierungskritischen Kreisen. Viele glaubten, dass Importbeschränkungen der Hauptgrund für den Erfolg Japans und anderer asiatischer Länder war. Aber die ökonomische Literatur zeigt klar, dass das nicht stimmt.

Ausgerechnet mit Donald Trump scheint die Idee ein Revival zu feiern.
Es ist schon eine Ironie, dass sich die Globalisierungskritiker von damals nun plötzlich fragen müssen, ob Trump denn nun ihr wirtschaftspolitischer Guru sei. Ich hätte nie gedacht, dass ein hoch entwickeltes Industrieland wie die USA auf so hohe Zölle zurückgreifen würde.

Er hat doch immer gesagt, dass er für die abgehängte weisse Arbeiterklasse im Rostgürtel der USA die Industriejobs zurückholen will. Macht er nicht genau das?
Es tönt schon plausibel, wenn Trump sagt, Stahl sei wichtig und Amerika brauche wieder mehr Autos «Made in USA». Schliesslich ist ein grosser Teil dieser Industrien aus dem Mittleren Westen der USA verschwunden. Und Trump hat im Gegensatz zu seinen Vorgängern erkannt, dass die Politik die mit dem Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation WTO entstandenen Herausforderungen wie Arbeitslosigkeit, tiefe Löhne und soziales Elend adressieren muss.

Gibt es denn Gründe, an Trumps Motiven zu zweifeln?
Für mich schon. Ich frage mich: Warum zieht er eine Zollwand für alle Industriegüter hoch und konzentriert sich nicht auf die angesprochenen Problemfelder? Trump übertreibt völlig, und darum ist er nicht glaubwürdig, wenn er sagt, es gehe ihm um die Leute und die Jobs im Mittleren Westen.

Über Ihren Verdacht müssen wir gleich reden. Aber zuerst die Frage, warum haut Trump so heftig auf die Schweiz ein?
Ich verstehe es nicht. Aber ja, Trump hat immer viel von der Handelsbilanz für Güter geredet und hier ist der Überschuss der Schweiz halt ziemlich hoch, vor allem auch, wenn man ihn pro Kopf der Bevölkerung betrachtet. Wenn Trump wirklich glaubt, dass er das Defizit mit Zöllen reduzieren kann, dann dürfen wir nicht überrascht sein.

Aber will Trump, dass Uhren, Schoggi und Schweizer Werkzeugmaschinen künftig in den USA hergestellt werden?
Das kann kaum sein Ziel sein. Schokolade ist keine strategische Industrie und Schweizer Schokolade kommt nun mal aus der Schweiz, wie Schweizer Uhren auch. Ich glaube, Trump geht es allein um mehr  Staatseinnahmen. Alle anderen Argumente sind vorgeschoben, denn um glaubwürdig zu sein, fehlt es ihnen an Konsistenz und ökonomischer Logik.

«Wir sollten Trump nicht belehren, sondern ihm die Inkonsistenz seiner Argumentation so aufzeigen.»

Dann war das ominöse Telefongespräch von Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter mit Donald Trump also für die Katz?
Ich nehme nicht an, dass sich Trump auf eine Diskussion über das Handelsbilanzdefizit einlassen wollte, auch wenn Frau Keller-Sutter sehr berechtigte Argumente hervorgebracht haben dürfte. Persönlich hätte ich Trump sehr gern gefragt, ob die Schweiz denn im Gegenzug zu hohen Industriezöllen nun selber Dienstleistungsimporte aus Amerika mit Zöllen belegen sollte. Das Defizit der Schweiz im Handel mit Dienstleistungen mit den USA beträgt 20 Milliarden Dollar pro Jahr.

Trump hätte Ihre Gegenfrage wohl kaum mit Ja beantwortet.
Das nehme ich auch nicht an. Aber immerhin wäre er in einen Konflikt geraten. Wir sollten Trump nicht belehren, sondern ihm die Inkonsistenz seiner Argumentation so aufzeigen, dass er sie selbst bemerkt.

Hat das die EU nicht auch schon versucht und damit eine heftige Gegenreaktion erzeugt?
Die EU erwägt eine Digitalsteuer für US-Unternehmen. Das ist nicht das gleiche wie Importzölle. Aber ja, beides würde wohl heftige amerikanische Gegenreaktionen provozieren und die unerwünschten ökonomischen Nebenwirkungen solcher Interventionen verschärfen.

«Trump denkt sich vielleicht, dass da noch Luft drin ist.»

Wie gehen solche Nebenwirkungen?
Handel führt dazu, dass sich Länder spezialisieren. Die Schweiz ist stark in den Gütern, die Sie schon erwähnt haben, und die Amerikaner sind stark bei den Dienstleistungen. Das Muster ist alt und hat sich über Jahrzehnte entwickelt, was eben eine natürliche Folge der Spezialisierung ist. Wenn die Amerikaner nun mittels Zollpolitik versuchen, den Nachteil in der Herstellung von industriellen Gütern quasi künstlich auszugleichen, dann geht das zwangsläufig auf Kosten der Dienstleistungsindustrie. Ihr Wettbewerbsvorteil nimmt ab. Eine solche Verlagerung lässt vielleicht andere Arbeitsplätze entstehen, aber das Lohnniveau sinkt. Denn die Amerikaner verdienen mehr mit Dienstleistungen als mit Stahl oder Autos. Man kann nicht alles machen. Ein Land ist keine grosse Firma. Das verkennt der amerikanische Präsident.

Aber Sie denken ja ohnehin, dass Trump mit seinen Zöllen die Staatseinnahmen erhöhen will. Haut er so auf die Schweiz, weil das Land klein und reich ist?
Das könnte sein. Trump sieht zum Beispiel, dass wir unsere Medikamente in Europa billiger verkaufen können, als wir das in den USA tun. Also denkt sich Trump vielleicht, dass da noch Luft drin ist. Er scheint zu glauben, dass die Pharmaindustrie bereit und fähig ist, die Mehrkosten allfälliger Zölle selber zu tragen, statt sie auf die amerikanischen Patienten abzuwälzen. Bei anderen Produkten denkt er womöglich ähnlich, nach dem Motto: Die reiche Schweiz wird einen Grossteil der Zölle selber bezahlen und so meine Staatskasse füllen. Ich bezweifle aber, dass diese Rechnung aufgeht.

Warum?
Weil ich denke, dass die Schweizer Industrie Produkte in den USA verkauft, die oft ziemlich einmalig sind. Wenn das so ist, dann hätten die US-Konsumenten wenig Ausweichmöglichkeiten. Sie würden die Produkte auch zu einem höheren Preis nachfragen, und die Schweizer Produzenten würden dies ausnützen und die Zölle auf den Preis draufschlagen.

Dann wäre es am Ende doch die amerikanischen Konsumenten, die Trumps Staatskasse füllen müssten.
Genau. Statt über höhere Einkommenssteuern würden die Amerikaner das Staatsbudget über die höheren Zölle finanzieren. Und Trump braucht Geld, da das Staatsdefizit steigt.

«Ich denke, Schweizer Firmen können oft am besten Forschung und Entwicklung.»

Der Bundesrat versucht jetzt in Abstimmung mit der Wirtschaft, einen «Deal» mit Washington zu machen. Was halten Sie davon?
Wenn wir etwas finden, das beiden Seiten nützt, zum Beispiel Zollerleichterungen auf amerikanisches Rindfleisch, dann ist das gut. Aber einen grossen Deal sehe ich nicht.

Warum nicht?
Die EU hat einen solchen ja schon gemacht und viel in den Topf geworfen. Aber inzwischen wird dieser bereits wieder in Frage gestellt. Trump geht zum Beispiel her und sagt seinen Wählern, die versprochenen Investitionen von 600 Milliarden Dollar seien ein Geschenk der EU. Darauf beeilt sich die EU-Kommission zu betonen, die Investitionen seien die Sache von Privatunternehmen. Die EU-Kommission könne diese nicht garantieren. Also ich hoffe, unsere Regierung trifft keine Abmachungen, die uns am Ende mehr kosten als die höheren Zölle.

Also muss die Industrie das Problem der höheren Zölle im Wesentlichen selber lösen.
Ja. Aber sie ist mehrheitlich auch in der Lage, das zu tun. Schon seit vielen Jahren gibt es einen starken Trend zur weltweiten Fragmentierung von Wertschöpfungsketten. Darum sagt man, dass die meisten Güter «Made in the World» und nicht «Made in Switzerland oder USA» sind. Dieser Prozess läuft, und er wird sich vertiefen.

Und was heisst das für die Schweiz?
Kleinere und mittlere Firmen betreiben neben der Forschung und Entwicklung immer noch relativ oft die gesamte Produktion in der Schweiz. Die höheren Zölle werden diese Firmen zwingen, sich viel mehr als bisher darauf zu besinnen, wo die Einzigartigkeit des «Made in Switzerland» genau liegt.

Und wo liegt es?
Ich denke, Schweizer Firmen können oft am besten Forschung und Entwicklung. Und dieser Teil der Wertschöpfung müsste auch hierbleiben, damit der Wohlstand der Schweiz keinen Schaden nimmt.

Wäre Trump damit einverstanden?
Davon gehe ich aus. Er ist ja ganz auf die Handelsbilanz konzentriert. Schweizer Firmen müssen sich nun zwei Dinge genau überlegen: Was wollen sie hier produzieren und wie wollen sie das ihren Kunden im Ausland verrechnen. Die Verrechnungsfrage ist wichtig, weil Trump so strikt zwischen Güterbilanz und Dienstleistungsbilanz unterscheidet. Nehmen wir an, Ihre Firma verkauft eine Maschine im Wert von 100'000 Franken in die USA. Im Preis inbegriffen ist ein Wartungsvertrag über zehn Jahre im Wert von 20'000 Franken. Dieser Servicevertrag ist eine Dienstleistung, die man zollfrei verrechnen könnte.

«Die Schweiz kann ihr Wohlstandsniveau nur halten, wenn sie in der Lage ist, sich ständig zu verbessern.»

Und die Produktion?
Man sollte auch vermehrt versuchen, die Herstellung von Gütern, die auf schweizerischen Patenten beruht, über Lizenzverträge ins Ausland zu vergeben. Da ist sehr viel Potenzial für die Schweiz drin. Unser Land meldet in vielen Industriebereichen die höchste Anzahl Patente an. Die Industrie ist also schon sehr innovativ. Ihr Umsatz würde sich auf dem beschriebenen Weg einfach noch mehr auf verkaufte Entwicklungsleistungen und weniger auf Produktionsleistungen konzentrieren.

Machen das die Amerikaner mit uns auch?
Ja, sie machen es schon viel mehr als wir es bislang tun. Der grösste Teil unseres Dienstleistungsbilanzdefizits gegenüber den USA kommt aus dem Know-how von Firmen zum Beispiel im Silicon Valley, für dessen Nutzung unsere Industrie Lizenzrechte und andere Entschädigungen entrichtet.

Die hiesige Industrie ist schon sehr spezialisiert. Kann die Schweiz ihren bald 10 Millionen Einwohnern noch genügend Arbeit bieten, wenn sie sich noch stärker spezialisiert?
Die Schweiz kann ihr Wohlstandsniveau nur halten, wenn sie in der Lage ist, sich ständig zu verbessern. Es ist so, dass die Anforderungen auf dem Pfad der Spezialisierung stetig steigen. Wenn es um international handelbare Güter geht, dann sind in der Schweiz Arbeitskräfte mit den allerbesten Qualifikationen gefragt. Ich würde nicht ausschliessen, dass Jobs für weniger gut qualifizierte Leute mit geringeren Einkommen künftig noch schneller wegfallen als bisher schon.

Sie haben in früheren Studien aufgezeigt, dass die starke Spezialisierung der Schweizer Wirtschaft auch Risiken birgt.
Der Vorteil der Spezialisierung besteht darin, dass wir mit einer unveränderten Menge an Arbeitskräften einen höheren Wohlstand erreichen können. Aber dieser Wohlstandsgewinn hat einen Preis. Die Spezialisierung macht ein Land anfälliger für Strukturveränderungen, die nicht vorhersehbar sind. Kleine Länder sind grundsätzlich viel anfälliger für solche Schocks als grosse Länder. Wobei die Schweizer Wirtschaft eigentlich immer noch erstaunlich breit diversifiziert ist. (aargauerzeitung.ch)

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34 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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watsoninan
06.09.2025 13:31registriert November 2019
"Wir sollten Trump nicht belehren, sondern ihm die Inkonsistenz seiner Argumentation so aufzeigen, dass er sie selbst bemerkt."

Wäre an sich ja eine gute Idee, aber Donnie beweisst ja andauernd, dass er dumm ist. Dumm und narzistisch.
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Händlmair
06.09.2025 13:23registriert Oktober 2017
Gutes Interview mit einer Fazit dem ich zustimmen kann. Nur eines wird darin ausser acht gelassen und zwar die Rolle Trumps und seiner Familie. Diese sind auf einem Raubzug in einer Grössenortnung die es so noch nie gegeben hat. Den New York Times hat berechnet, das Trump und seine Familie innerhalb des ersten Quuartals ihr Vermögen um 2 Milliarden US-Dollar steigern konnten. Forbes schätzt im Juni 2025 das Vermögen von Trump alleine auf 5.1 Milliarden US-Dollar. Es wird geschätzt, das Trump im ersten halben jahr mindestens 2 bis 3.4 Milliarden eingenommen hat.

Das Land selbst, ist ihm egal.
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Gurgelhals
06.09.2025 13:38registriert Mai 2015
Auch dieses Interview reiht sich ein in die Tausenden von Expertenmeinungen, welche am immer gleichen fundamentalen Denkfehler scheitern: Sie versuchen das Handeln (oder besser: Wüten) der verrückten Orange in rationale Muster zu pressen. Dabei ist doch seit Jahren sonnenklar, dass der Typ unvorstellbar dumm, ungebildet und v.a. schlichtweg "nöd ganz bache" ist – und man entsprechend wohl eher jemanden aus der klinischen Psychiatrie interviewen müsste.

Ist das die Betriebsblindheit der Sozialwissenschaften, die stets von rationalen Akteuren resp. Institutionen ausgeht oder was?
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Post verschickt wieder Geschenke in die USA
Privatpersonen können ab Donnerstag wieder Geschenke mit einem Warenwert von bis zu 100 US-Dollar mit der Schweizerischen Post in die USA versenden. Umgerechnet sind das etwa 80 Franken. Aufgrund der neuen Zollvorschriften hatte die Post vergangene Woche sämtliche Warensendungen in die USA eingestellt.
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