Der Gesundheitszustand der Bevölkerung in der Schweiz hat sich seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie spürbar verschlechtert. Und das gilt nicht nur für die physische, sondern auch für die psychische Gesundheit. Das geht aus der Gesundheitsstudie der CSS klar hervor. 29 Prozent der Befragten sagten, es gehe ihnen emotional oft nicht so gut oder sogar schlecht.
In den vergangenen Wochen haben wir in diesem Blog verschiedene Ergebnisse der Studie eingehender beleuchtet – alle Beiträge findest du hier. Zum Abschluss dieser Serie wollen wir den Fokus nun ganz auf die Frage richten: Wie kann ich einen Freund, eine Freundin oder eine nahestehende Person unterstützen, wenn ich merke: da stimmt etwas nicht? Denn die Wahrscheinlichkeit, dass jeder von uns über kurz oder lang eine enge Bezugsperson hat, der es psychisch nicht gut geht, ist gross.
Was tut man dann? Wie hilft man in so einer Situation? Und welche Bemerkungen sollte man sich besser verkneifen? Während viele von uns die Grundsätze von Erster Hilfe bei einem medizinischen Notfall kennen, fühlen wir uns bei psychischen Problemen oft etwas hilflos. Soll ich etwas sagen? Aber wie? Und was, wenn ich etwas Falsches sage?
Wir haben euch Tipps von Fachstellen zusammengestellt, was in solchen Situationen zu tun ist und wie man seinen Freunden oder Verwandten beistehen kann.
Es ist völlig normal, sich an gewissen Tagen auch einmal schlecht zu fühlen. Reagieren solltest du, wenn du feststellst, dass bei deinem Gegenüber Angst, Wut oder Traurigkeit Überhand nehmen und sogar deren Alltag bestimmen. Wenn du bemerkst, dass sich ein Freund über mehrere Wochen oder Monate immer mehr zurückzieht.
Dass sich eine Freundin nicht mehr meldet. Oder wenn eine Person oft unkonzentriert und gereizt ist. Auch der Schlaf ist ein Hinweis, dass es jemandem nicht gut geht – und zwar in beide Richtungen: Wenn jemand tagsüber im Bett bleibt oder nachts nicht schlafen kann. All diese Signale könnten ein Hinweis sein, dass die betreffende Person unter psychischen Problemen leidet. Sprich sie auf deine Wahrnehmungen an.
Ein Gespräch lässt Probleme zwar nicht einfach verschwinden, aber es kann doch deutlich dazu beitragen, dass es danach deiner Freundin oder deinem Freund besser geht. Jemanden zu haben, der zuhört, der sich für einen interessiert und mitfühlt, tut einfach gut.
Wichtig für dich: du musst die Probleme nicht lösen, das ist häufig auch nicht direkt möglich. Aber deine Anteilnahme und dein Interesse an sich können schon einiges bewirken. Wichtig ist, dass du genügend Zeit hast, wenn du das Gespräch suchst, und dass du einen ruhigen Ort dafür wählst, wo auch die Privatsphäre gewahrt ist.
Klar, reden hilft, aber wie fängt man so ein Gespräch überhaupt an? Fachstellen empfehlen, mit einer eigenen Beobachtung zu beginnen: «Mir ist aufgefallen, dass du dich kaum mehr meldest. Geht es dir nicht so gut?» oder «Ich mache mir Sorgen um dich, du wirkst in letzter Zeit oft traurig.» Ganz wichtig: Nimmt deine Freundin das Gesprächsangebot an, so ist vor allem Zuhören angesagt. Versuche, nachzuempfinden, was sie empfindet. Gute Fragen helfen dabei.
Die Situation nicht schönreden: «Das kommt schon wieder gut» oder «Das geht vorbei» sind Sätze, die in einer Krise nicht hilfreich sind. Es stimmt zwar faktisch, dass viele psychischen Krisen überwunden werden, aber für die Betroffenen wirkt es in dem Moment oft, als würden sie nicht ernst genommen. Und so verlockend Ratschläge und das Anbieten vermeintlich schneller Lösungen sind: Lass es besser sein. Das mag gut gemeint sein, aber viele Betroffene fühlen sich von solchen Tipps unter Druck gesetzt.
Besser: einfach zuhören und auf professionelle Hilfe verweisen. Dr. Dalit Jäckel ist Leiterin Prävention und Erste Hilfe für psychische Gesundheit (ensa) bei Pro Mente Sana. Sie vergleicht die Situation mit Nothilfe bei einem Unfall: «Dort werden Sie auch keine medizinischen Massnahmen einleiten oder Diagnosen stellen. Sie unterstützen die Verletzten, bis professionelle Hilfe ankommt. Genauso funktioniert es mit psychischen Erkrankungen: Wir unterstützen, bis professionelle Hilfe übernimmt.»
Ein weiteres Don’t: Das Gehörte auf eigene Erfahrungen beziehen, um zu signalisieren will, dass man den anderen versteht. In so einer Situation ist das nicht klug. Die Chance ist gross, dass sich dein Freund nicht ernst genommen fühlt. Und schliesslich: Nicht drängen. Respektiere es, wenn die Freundin nicht bereit ist, mehr zu erzählen, oder wenn sie das Gespräch abbricht. Du kannst es zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufnehmen.
Da ist die Antwort: nein. Dalit Jäckel erklärt: «Gerade bei Suizidgedanken herrscht noch oft der Irrglaube vor, ein direktes Ansprechen bringe Betroffene erst auf entsprechende Ideen. Dem ist jedoch nicht so: Wenn jemand tatsächlich suizidgefährdet ist, wird das Risiko durch direkte Nachfrage nicht grösser.»
Deshalb sei es nie angezeigt, aus Angst, die Situation zu verschlimmern, auf ein Gespräch zu verzichten. «In der Regel fühlen sich Betroffene durch ein offenes Gespräch ernst genommen, und es tut ihnen meist gut zu wissen, dass jemand ihr Problem erkannt hat.»
Natürlich gibt es ungünstigere Formulierungen wie z.B. «Reiss dich zusammen», «Sei nicht immer so niedergeschlagen» oder «Davor brauchst du doch keine Angst zu haben». Moralpredigten sowie Kritik, Schuldzuweisungen und Sarkasmus sind nicht hilfreich.
Es gibt Situationen, in denen mehr nötig ist: Wenn jemand akut suizidgefährdet ist oder eine schwere Selbstverletzung vorliegt, solltest du professionelle Hilfe holen. Möglicherweise sogar gegen den Willen deines Freundes. In einer solchen Situation empfiehlt Dalit Jäckel, offen zu kommunizieren, warum du das tust.
Wir haben nun viel davon gesprochen, wie man einer Person in einer psychischen Krise beistehen kann. Dabei solltest du aber in so einer Situation auch dich selbst nicht vergessen gehen. Auch du hast Grenzen und darfst sagen, wenn es dir zu viel wird. Du kannst anbieten, das Gespräch zu unterbrechen und zu einem anderen Zeitpunkt weiterzuführen. Wichtig ist, dass du nur Angebote machst, die du wirklich leisten kannst. Und wenn du einem Freund in einer Krise über längere Zeit beistehst, solltest du dir auch immer wieder bewusst Auszeiten gönnen.