Liebe Claudia
Bis vor Kurzem war ich ja überzeugt, dass ich davor gefeit wäre, mich mit anderen zu vergleichen, aber dann ist es eben doch passiert. Es war vor ein paar Tagen, als ich mit einem höchst entzückenden jugendlichen Freund (er könnte ungelogen mein Sohn sein, was er aber nicht ist – leider) über meine Jugendjahre sprach und er mir partout nicht glauben wollte, dass ich mir die ganze Pubertät und Jugend über eine Dauerwelle hielt, die jegliche Empfängnisverhütung überflüssig machte und noch viel anderes im Keim erstickte. Er spielte alles herunter und ich musste doch tatsächlich ein altes Fotoalbum hervorkramen und es ihm beweisen. Der junge Mann war zwar sichtlich schockiert und es kostete ihn einiges, seine Contenance zu wahren. Aber er war redlich bemüht und arbeitete sich tapfer durch das ganze Album durch. Ich tat es ihm, untermalt von spitzen Schreien des Grauens, gleich und blieb an einem Klassenfoto hängen, dass mich und meine Gschpändli anno 1989 in voller Blüte zeigte.
Es war ein Bild des Schreckens, das müssen Sie mir glauben. Und es weckte einiges an Erinnerungen an diese Zeit, die für mich keine einfache war. Da war ein Mädchen in meiner Klasse, die ihre ganze Energie darauf verwendete, mir die Schulzeit zur Hölle zu machen und ich muss zugeben, sie war erstaunlich erfolgreich darin. Dieses Mädchen schaute ich auf dem Bild etwas genauer an und ich musste laut lachen ob der biederen geblümten Bluse und der lächerlichen Palmenfrisur, die das ebenfalls dauergewellte Haar mitten auf dem Kopf zusammenhielt und ihr Gesicht zum Springbrunnen werden liess. Zu gern hätte ich gewusst, was aus der biederen Blüsliträgerin in der Zwischenzeit geworden ist und wenn ich auf Google auch nicht viel zu ihrem Namen fand, so war Facebook einmal mehr ergiebiger und gönnte mir wenigstens den Blick auf ihr aktuelles Profilbild. Und was sah ich da: Ein Springbrunnengesicht, welchem das Wasser vor längerem abgestellt worden war, das aber der Dauerwelle und dem unsäglichen Geschmack für Mode treu geblieben ist. Sie hätten mich sehen sollen, liebe Claudia. Ich habe mich gefreut, wie eine Schneekönigin im Sommer und wäre ich nicht einem 18-Jährigen gegenüber gesessen, ich wäre vermutlich in Freudentränen ausgebrochen.
Es war ein sehr schöner Moment, und auch wenn er von niederer Absicht getragen war, ich genoss ihn in vollen Zügen. Und er weckte bei mir das unbändige Bedürfnis nach der Klassenzusammenkunft, die ich bis dato nicht hatte. Ich wollte alle meine Schulkameraden sehen und prüfen, was aus ihnen geworden war. Ist der Verstockte inzwischen etwas aufgetaut oder bringt er noch immer kaum einen ganzen Satz über seine Lippen? Und ob die Liederliche heute wohl zwölf Kinder von vierzehn Männern hat oder eine christliche Wohngemeinschaft für Randständige führt? Was ist aus der Ehrgeizigen geworden, die man immer nur gebückt über Schulbüchern brüten sah und ob sich deren Haltung jemals wieder aufgerichtet hat? Hat der Prüde mit der Brille wohl die väterliche Firma übernommen oder ist er nach einem eventuellen späten Coming-out in Amsterdam hängen geblieben und trägt seither nur noch viel zu enge Lederhosen? Die Bilder gingen mit mir durch und ich erkannte den Sinn solcher Veranstaltungen. Es geht darum, sich mit den anderen zu vergleichen und möglichst gut da zu stehen. Wenn ich auch noch nie an einer Klassenzusammenkunft teilgenommen habe, so kann ich mir doch bestens vorstellen, wie es wäre, wenn ich abends wieder nach Hause fahren würde. Ganz ohne Dauerwelle und mit dem guten Gefühl, mich irgendwie weiterentwickelt zu haben. Dieses Gefühl würde sich aus dem Vergleich mit anderen ergeben, denen ich diesen Fortschritt grosszügigerweise absprechen würde, weil sie noch immer im selben Kaff leben oder noch die gleichen grauenhaften Mèches im inzwischen ergrauten Haar tragen würden, während meines noch immer jugendlich glänzt.
Sie sehen selber, liebe Claudia, dass Vergleichen etwas Urmenschliches zu sein scheint, das uns alle mehr oder weniger intensiv umtreibt. Ich persönlich war überrascht über den Effekt dieser Zeitreise, vergleiche ich mich in der Gegenwart doch eher selten mit anderen, um nicht den Blick auf meine eigenen Stärken und Schwächen zu verlieren. Für mich hat der ewige Vergleich nämlich etwas sehr Anstrengendes, weil ich mir nie ganz im Klaren darüber bin, mit wem genau ich mich vergleichen sollte. Mit Heidi Klum, weil die sich mit einem Mann umgibt, der ungefähr im Alter meines Sohnes ist? Mit der Ex-Freundin meines neuen Freundes, weil wir ihn als Gemeinsamkeit haben oder doch eher mit der frustrierten Nachbarin, die sich immer irgendwie vor Neid winden muss, wenn sie mir begegnet? Mit Carolin Müller Möhl, die Job und Familie mit links unter einen Hut packt und dabei immer grossartig aussieht oder eben mit der dauergewellten Feindin aus den Kindertagen? Soll ich mich ausschliesslich mit Frauen vergleichen oder vielleicht auch mit Männern, mit lebenden Personen oder solchen, die hundert Jahre vor mir lebten? Ist es von Vorteil, sich nach «unten» zu vergleichen, um selber gut abzuschneiden oder weckt es den eigenen Antrieb, wenn ich mir vor Augen halte, wie Miranda Kerr vier Wochen nach der Entbindung ihres Babys mit knapper Unterwäsche über den Laufsteg schwebt? Soll ich mich mit Müttern vergleichen oder mit Frauen im Berufsalltag? Soll ich darauf achten, wer am meisten verdient oder wer am glücklichsten wirkt? Und soll ich der Freundin sagen, dass ihr Kind viel schlechter malen kann, obwohl es doch drei Jahre älter ist, als das eigene?
Was bringt es mir, wenn ich mich vergleiche und was würde passieren, wenn ich damit einfach aufhörte? Würde ich mich in meiner eigenen Haut wohler fühlen, im Wissen darum, dass ich sie sowieso nie in eine andere werde umtauschen können, und würde ich einsehen, dass ich mich mit gar niemandem wirklich vergleichen kann, weil ich, wie jeder andere auch, vollkommen einzigartig und unvergleichlich bin? Fragen über Fragen und ebenso viele Antworten.
Alles Liebe, ihre Kafi.