Liebe Elvira
Verliebtsein ist eine furchtbare Angelegenheit. Furchtbar. Wirklich. Selten ist man würdeloser unterwegs als in der Verliebtheit. Und speziell dann, wenn diese nicht im gleichen Masse erwidert wird, dann macht einen das Machtverhältnis zum dusseligen Sklaven der eigenen Gefühlswelt.
Und jegliche Art von Sklaventum ist eine Abhängigkeit, das sehen Sie genau richtig. Da spielt es dann auch keine Rolle, ob das Objekt der Begierde nun Alk, Koks oder ein Mann/eine Frau ist. Sucht ist Sucht. Und sich aus dieser herauszuwinden, nicht einfach.
Fragen Sie Ihre Freundin doch mal, was ihr dabei geholfen hat, von ihrer Sucht loszukommen. Es ist ja schön und gut, dass sie Ihnen die Augen öffnen will, was sie mithilfe dieses – wie Sie selber sagen – stimmigen Vergleichs tut. Aber damit ist Ihnen auch noch nicht geholfen. Vielleicht gibt es ja Techniken, welche bei ihr gewirkt haben und die Sie auch ausprobieren könnten.
In der Regel hilft Ablenkung am besten. Sich auf etwas anderes fokussieren und mit den Gedanken Abstand nehmen. Aber auch das ist ein Hohn, wenn man wirklich liebeskrank ist, ich weiss. Leider schreiben Sie gar nichts darüber, wie lang diese Amour fou schon anhält. Sind Sie Ihren Kindern und Ihrem Job seit wenigen Monaten ein abwesendes Gegenüber oder schon über einen längeren Zeitraum? Wenn Sie den Eindruck haben, dass der Zustand Sie existenziell zu bedrohen beginnt, würde ich mich an Ihrer Stelle in professionelle Hände begeben. Manchmal findet man den Weg aus der Sucht nicht mehr allein und ist froh, wenn man sich begleiten lassen kann.
Andernfalls kann ich Sie beruhigen:
In jede anständige Biografie gehört eine intensive Amour fou. Und ich schreibe bewusst nicht «mindestens», obwohl sich der Satz dann viel runder anhören würde. Meine eigene Erfahrung sagt nämlich, dass es eine einzige wirklich tut. Sich einmal Hals über Kopf in einen Menschen verlieben, mit dem man null Alltagskompatibilität hat, der einem dennoch jeglichen Verstand raubt und für den man alles stehen und liegen lässt – und seien es auch die eigenen Kinder (für ein Weilchen) – wirkt eher lebensverlängernd als -verkürzend. Weil man sich in dieser Ausnahmesituation wieder einmal richtig spürt und merkt, wozu man emotional überhaupt imstande ist. Dass dieser Zustand nicht allzu lange andauern sollte, versteht sich von selber. Und meistens explodieren solche Verbindungen auch, bevor Sie zu wirklichen Verbindungen werden. Meine Amour fou liegt nun schon einige Jahre zurück, aber ich denke aus diesem zeitlichen Abstand sehr gerne an sie zurück.
Ihre Geschichte hat keine Chance, sich im echten Leben zu integrieren. Sie können sie noch heute aufgeben oder sie weiterhin zelebrieren, daraus werden wird nie was. Die Amour fou unterscheidet sich von einer intensiven, aber lebbaren Liebesgeschichte nämlich dadurch, dass man neben dem würdelosen Verliebtsein und dem Sich-andauernd-doof-Blossstellen doch noch fähig ist, seinem Alltag gerecht zu werden. Man kann gleichzeitig ständig an jemanden denken und trotzdem noch seinem Job nachgehen, seinen Kindern eine gute Bezugsperson sein. Das können Sie offenbar nicht. Früher oder später werden Sie loslassen müssen. Wann der Zeitpunkt gekommen ist, wissen aber ausschliesslich Sie selbst.
Mit herzlichem Gruss. Ihre Kafi.