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Die Schweiz braucht ein starkes Europa

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Die Schweiz braucht ein starkes Europa

Roger Nordmann, ehemaliger SP-Spitzenpolitiker, spricht über seine Sicht auf die wichtige Beziehung, die die Schweiz mit der Europäischen Union verbindet, und über die bevorstehenden Herausforderungen.
08.06.2025, 08:4008.06.2025, 12:56
roger nordmann
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Wir leben in einer sehr schwierigen Zeit für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Mehrere Grossmächte sind inzwischen der Ansicht, dass sie ihren Willen mit Gewalt durchsetzen können – sogar durch eine militärisch erzwungene Verschiebung von Grenzen. Die digitale Revolution ermöglicht es einigen Tech-Giganten, eine geradezu enorme wirtschaftliche Macht zu konzentrieren.

Schliesslich setzen die Erschöpfung der natürlichen Ressourcen, die Umweltzerstörung und der Klimawandel die Bevölkerung zunehmend unter Druck und gefährden die Lebensqualität.

Vor diesem beunruhigenden Hintergrund haben Sie sich als Schweizer oder Schweizerin sicherlich schon gefragt, wie Sie auf die aktuellen Probleme reagieren sollen.

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Jeden Sonntagmorgen lädt watson Persönlichkeiten aus der Romandie ein, um aktuelle Ereignisse zu kommentieren oder ein Thema ins Licht zu rücken, das sonst zu wenig Beachtung findet.

Mit dabei: Nicolas Feuz (Schriftsteller), Anne Challandes (Schweizer Bauernverband), Roger Nordmann (Berater, ehem. SP-Nationalrat), Damien Cottier (FDP), Céline Weber (GLP), Karin Perraudin (Groupe Mutuel, ehem. CVP), Samuel Bendahan (SP) und die QoQa-Otte.

Vielleicht haben Sie sich auch schon gefragt, wie man die russische Armee am besten aufhalten kann. Und wahrscheinlich sind Sie zum Schluss gekommen, dass das Engagement der Europäischen Union nicht nur für die Ukraine, sondern auch für uns von entscheidender Bedeutung ist. Würde die militärische Unterstützung durch die EU wegfallen, würde Putins Aggressionspolitik belohnt. Das wäre ein gefährlicher Präzedenzfall, der die Sicherheit der europäischen Länder – einschliesslich der Schweiz – bedrohen würde.

Und dies umso mehr, als Trumps Irrwege die freie Welt schwächen.

Und so haben Sie als Demokrat angesichts des erstarkenden Einflusses autoritärer Regime und einiger Tech-Oligarchen vermutlich nach einer passenden Antwort gesucht. Und erneut lautete Ihre Schlussfolgerung wahrscheinlich: ein stärkeres Europa. Denn in diesem Teil der Welt werden Frieden, Freiheit, Demokratie und die Würde des Menschen am besten geschützt.

Man könnte zahlreiche weitere Beispiele anführen, wenn man die Klimapolitik, den Sozial- oder Minderheitenschutz betrachtet. In den meisten dieser Bereiche zeigt sich die Eingeschränktheit nationalen Handelns. Lediglich die Zusammenarbeit auf gesamteuropäischer Ebene zeigt Wirkung.

Zwar kann die Europäische Union nicht alle Erwartungen erfüllen, sie ist dennoch ein Konstrukt, das breit angelegtes und koordiniertes Handeln ermöglicht. Natürlich scheint die EU konstant mit Krisen konfrontiert zu sein – die Schuldenkrise 2008, die Corona-Pandemie oder der Krieg in der Ukraine. Aber jede dieser Herausforderungen hat es ihr erlaubt, Fortschritte zu machen und stärker zu werden.

Das ist kaum überraschend, denn es gibt keine Alternative. Eine Rückkehr zu isolierten Nationalstaaten würde die Lösung von Problemen erschweren – und diese letztlich verschärfen. Mit anderen Worten: Die Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit erfordern nicht weniger, sondern mehr Europa.

In der Schweiz haben wir oft eine paradoxe Haltung gegenüber der Europäischen Union. Wir sind stolz darauf, nicht Mitglied zu sein, stellen aber gleichzeitig sehr hohe Erwartungen an sie. Wir finden, sie sollte viel besser funktionieren, tragen jedoch selbst nichts zu ihrer Weiterentwicklung bei. Wir kritisieren ihre Unentschlossenheit und Schwäche auf internationaler Ebene – obwohl man denselben Vorwurf auch gegenüber der Eidgenossenschaft erheben könnte.

Es ist an der Zeit, dass die Schweiz aus diesem Widerspruch herausfindet. Von der EU zu profitieren, ohne sie zu unterstützen – oder schlimmer noch, auf ihr Scheitern zu hoffen –, ist keine besonders konstruktive Haltung. Zudem schadet eine solche Einstellung der eigenen Sicherheit und Wirtschaft. Meines Erachtens ist es zunächst notwendig, die neuen bilateralen Abkommen zu genehmigen, die sehr gut vom Bundesrat verhandelt wurden.

Und langfristig darf die Frage einer umfassenden Beteiligung nicht ausgeschlossen werden. Einerseits, um unseren Beitrag zu dem Konstrukt zu leisten, das unsere Werte und Territorien schützt. Andererseits, um unsere Rechte, unsere Politik und unsere Zukunft wirksam und würdevoll zu verteidigen.

Wir sehen uns gern als Meister der Demokratie. Doch die grundlegende Anforderung an einen echten Demokraten ist, in den Gremien zu sitzen, in denen die Entscheidungen getroffen werden, die ihn betreffen.

Derzeit ähnelt die Haltung der Schweiz gegenüber der EU der eines Schweizer Kantons, der sich weigert, an eidgenössischen Abstimmungen teilzunehmen oder Vertreter nach Bern zu schicken, gleichzeitig aber das Bundesgesetz weitgehend übernimmt. Eine absurde Situation, die die Einwohner dieses Kantons zu Recht als gegen ihre Interessen gerichtet bezeichnen würden.

Roger Nordmann (PS - Vaud), candidat a la candidature du PS pour l'election au Conseil federal, pose pour le photographe lors d'une tournee d'auditions publiques organisee par le PS Sui ...
Bild: keystone
Roger Nordmann ist ...
... als Berater tätig und hat drei Bücher zu Klima- und Energiefragen veröffentlicht. Der Lausanner war während 20 Jahren SP-Nationalrat und präsidierte die SP-Fraktion in der Bundesversammlung.
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Nett sein ist keine Schwäche
08.06.2025 09:49registriert August 2024
In der Schweiz haben wir oft eine paradoxe Haltung gegenüber der Europäischen Union. Wir sind stolz darauf, nicht Mitglied zu sein, stellen aber gleichzeitig sehr hohe Erwartungen an sie. Wir finden, sie sollte viel besser funktionieren, tragen jedoch selbst nichts zu ihrer Weiterentwicklung bei. Wir kritisieren ihre Unentschlossenheit und Schwäche auf internationaler Ebene – obwohl man denselben Vorwurf auch gegenüber der Eidgenossenschaft erheben könnte.
➡︎ Nordmann bringt es auf den Punkt.
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Nett sein ist keine Schwäche
08.06.2025 09:50registriert August 2024
Derzeit ähnelt die Haltung der Schweiz gegenüber der EU der eines Schweizer Kantons, der sich weigert, an eidgenössischen Abstimmungen teilzunehmen oder Vertreter nach Bern zu schicken, gleichzeitig aber das Bundesgesetz weitgehend übernimmt. Eine absurde Situation, die die Einwohner dieses Kantons zu Recht als gegen ihre Interessen gerichtet bezeichnen würden.
➡︎ stimmt. Wir übernehmen EU-Gesetze, aber wollen nicht mitwirken.
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FrancoL
08.06.2025 10:26registriert November 2015
Alle brauchen ein starkes Europa, die Schweiz eben auch. Alle sollten zu einem starken Europa beitragen, auch die SChweiz, doch sie ziert sich ihren Anteil zu lesiten.

Als direkter Nachbar ist nur Russland nicht an einem starken Europa interessiert und agitiert auch mit der Unterstützung der rechten Parteien in De, F, It . . gegen ein starkes Europa. In der SChweiz müssen die Russen nicht mal agitieren, die SVP übernimmt diese Aufgabe.

Auch wäre es an der Zeit zu sehen, dass Europa nicht stärker sein kann als ihere Mitglieder, was gerade die Schweiz ja auch so erfährt.
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    Karmapunkte dank des lesbischen Paares
    Zwei Frauen wollen ein Kind. Vielleicht von mir.

    Ich war bei einem Abendessen bei Hanna. Sie will ihren neuen Typen in den Freundeskreis einkneten, deshalb organisiert sie ständig irgendwelche Get-Togethers, Essen, Theaterbesuche, Konzerte, Apéros, damit er alle kennenlernt und wir ihn. Sie sind noch kein Paar. Aber irgendwie will sie, dass er, bevor sie eins werden, von allen ‹approved› ist und er alle ‹approved›. Aufwendiges Verfahren, wenn ihr mich fragt, aber für mich ganz angenehm.

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