Biblische Figuren und Geschichten haben trotz der Säkularisierung weiterhin ein Eigenleben und regen die Fantasie bis in unsere Tage an. Schriftsteller, Maler und Regisseure finden immer wieder Motive in der Bibel, die auch heute noch auf ein breites Interesse stossen.
Aktuell erhitzt der Film «Maria Magdalena» die Gemüter. Und zwar nicht nur von Gläubigen, sondern auch von Skeptikern. Es gibt mehrere Gründe dafür.
Die Bibel, das Buch der Bücher, hat die geistige und kulturelle Entwicklung über Jahrhunderte tiefgreifend geprägt. Ausserdem ist sie voll von mythologischen Geschichten mit starker Symbolkraft. Ähnlich wie die griechische Mythologie.
Entscheidend dürfte aber der ewige Streit um die Authentizität der Bibel sein: Gläubige sehen sich bei monumentalen Jesus-Filmen in die Zeit des Urchristentums versetzt und können sich mit ihrem Sohn Gottes auf emotionaler Ebene identifizieren. Ein Erlebnis, das sie in ihrem Glauben bestärkt.
Skeptiker unter den Schriftstellern und Regisseuren erzählen hingegen alternative Geschichten aus er Bibel. Sie stutzen Jesus gern auf menschliche Dimensionen zurecht und wischen den Heldenmythos von ihm ab: Der sympathische Mensch Jesus, gezeugt auf natürlichem Weg wie alle Menschen vor und nach ihm.
Neben Jesus beschäftigt die Künstler und Autoren vor allem auch Maria Magdalena. Sie ist eine geheimnisvolle Figur und spielt im Neuen Testament die wohl wichtigste weibliche Rolle. Als stetige Dienerin und Begleiterin sorgte sie für sein Wohl.
Umstritten ist aber die Frage, ob dieses Wohl an der Schwelle zum Schlafzimmer geendet hat. Ihr war es laut Bibel immerhin vorbehalten, Zeugin der Kreuzigung zu sein. Sie war auch die erste Person, der sich Jesus nach seiner Auferstehung offenbarte. Er beauftragte sie auch, die Jünger zu informieren.
Diese intime Nähe zu Jesus regte die Fantasie der Künstler und Schriftsteller an. Für die Skeptiker, die in Jesus einen gewöhnlichen Wanderprediger sahen, war Maria Magdalena nicht nur Begleiterin, sondern auch Gespielin.
Diese Interpretation der Rolle von Maria Magdalena beschäftigte vor allem auch die Maler. Weltbekannte Künstler von Tizian bis Furini brachten Maria Magalena in lasziver Haltung und mit entblösstem Oberkörper auf die Leinwand und machten Jesus zu einem Mann mit den üblichen Bedürfnissen und zu einem sterblichen Wesen.
Auch mehrere Schriftsteller mühten sich am Stoff ab und machten Maria Magdalena zur Geliebten von Jesus. Dan Brown landete mit seinem Buch «Sakrileg» gar einen Bestseller und machte Jesus und Maria Magdalena zu einem attraktiven Paar. Und klar, sie schenkte ihm ein Kind. Für Fromme eine unerträgliche Provokation und Blasphemie.
Die vermeintliche oder reale Liaison der beiden kommt nicht von ungefähr, spricht doch der Evangelist Markus von der Gefährtin Jesu. Andere, nicht kanonische Schriften stellten sie gar als Geliebte dar. Das brachte ihr die Bezeichnung Sünderin ein, weil sie angeblich Jesus verführt hatte. Und von der Verführerin ist es nicht mehr weit zur Prostituierten.
Den Kirchenführern kam die Verehrung von Maria Magdalena deswegen lange Zeit ungelegen. Es war ihnen eher peinlich, dass die zölibatär lebenden Mönche und Geistlichen die angebliche Verführerin in ihre nächtlichen Gebete einschlossen.
Angefeuert wurden die erotischen Fantasien vor allem durch die Vorstellung, dass Maria Magdalena eine intime Nähe zum geliebten Heiland hatte. Für diese Projektion war die andere wichtige Maria im neuen Testament ungeeignet: Die Mutter Gottes hatte Jesus laut Bibel bekanntlich unbefleckt empfangen.
Als die Kirchenführer erkannten, dass sich Rolle und Bedeutung von Maria Magdalena nicht länger kleinreden liessen, mutierte sie von der Sündern zur Heiligen.
Ob Heilige oder Hure – wir wissen es nicht. Wir wissen nicht einmal, ob es sie wirklich gegeben hat. Vielleicht ist sie der Fantasie der Evangelisten entsprungen, denn sie sind die einzigen, die sie beschrieben haben. Doch gekannt haben sie sie nicht, so wie sie auch keine Zeitzeugen von Jesus waren.
Sie haben die biblischen Geschichten vom Hörensagen aufgezeichnet. Viele Jahre nach dem Tod von Jesus. Doch das kümmert die Geistlichen bis heute nicht, die Maria Magdalena in ihr Gebet einschliessen.
Auch Jesus wäre zu wünschen gewesen, dass Maria Magdalena keine Heilige war.