Glarus lehnte es kürzlich an der Landsgemeinde ab, ein Burkaverbot auszusprechen. Obwohl das hässliche Kleidungsstück, das Frauen zu gesichtslosen Gespenstern macht, so überflüssig wie eine Panne im Gotthard-Tunnel ist: Kleidervorschriften gehören nicht in die Verfassung, zumal ein Burka-Verbot gefühlte 0,00001 Promille der Bevölkerung betreffen würde. (Welche fundamentalistische Touristin aus einem islamischen Land verirrt sich schon in den Zigerschlitz?)
Nun bricht schon der nächste Streit um den Einfluss radikaler Muslime los, diesmal in Zürich. Sicherheitsdirektor Mario Fehr, sonst ein eifriger Verfechter der Religionsfreiheit, fordert ein Verbot der Aktion «Lies!», bei der junge, meist salafistische Muslime auf öffentlichem Grund den Koran verteilen.
Fehr empfiehlt den Gemeinden, Verteilaktionen in Zukunft nicht mehr zu bewilligen. Gleichzeitig verlangt er vom Bund ein Verbot der Vereinigung «Lies!». Dabei stützt er sich auf das Nachrichtendienstgesetz. Er sagt, die Verteilaktion sei nur ein Vorwand für die Verbreitung von dschihadistischem Gedankengut.
Einmal mehr erhält der SP-Regierungsrat des Kantons Zürich Lob von der rechten Seite, vorab von der SVP. Viele seiner Genossinnen und Genossen stöhnen aber auf. Sie diagnostizieren bei Fehr populistische Tendenzen.
Sicher ist: Ein Sicherheitsdirektor, der die Bedingungen für abgewiesene Asylsuchende verschärft und die Aktion «Lies!» verbieten will, holt sich bei den nächsten Wahlen Stimmen bis tief ins rechte Lager und muss sich um die Wiederwahl keine Sorgen machen.
Trotzdem: In diesem Fall liegt Fehr richtig. Er liess ein Rechtsgutachten erstellen, das zum Schluss kommt, es sei zulässig, «Lies!» zu verbieten. Ausserdem diene die Aktion dazu, Personen für die Unterstützung oder die Propaganda verbotener Tätigkeiten zu gewinnen.
«Lies!» ist ein fruchtbares Biotop für die Rekrutierung und vor allem Radikalisierung junger Leute. Die Verteilaktion ist ein autosuggestives Ritual, das die Indoktrination fördert. Wer es wagt, sich als Islamist öffentlich zu outen, muss sich gegen Anfeindungen abhärten. Das führt zur Überidentifikation und zur bedingungslosen Verteidigung der eigenen religiösen Ideologie.
Der Perspektivwechsel ist radikal, die Aussenwelt wird als Feindesland betrachtet. Wer seine Ideologie gegen aussen demonstrieren und vertreten muss, ist nicht einmal mehr gedanklich bereit zu Kompromissen. Die Vorurteile werden zementiert.
Eine wirksamere Form der geistig-religiösen Imprägnierung gibt es kaum. Wer vorher noch die leisesten Zweifel hatte, wird auch diese los.
Ein wichtiger Aspekt bei der Verteilaktion ist auch der gruppendynamische Prozess. Wer sich so radikal von der angestammten Gesellschaft entfremdet, ist gezwungen, sich bedingungslos mit der Parallelwelt zu arrangieren. Es gibt nur noch ein Innen und ein Aussen. Das Gute und das Böse.
Um eine neue Heimat zu finden, braucht es die Selbstaufgabe und die Anlehnung an die «neuen Freunde» und ihr Weltbild. Und die Unterwerfung unter ihre Führer. Sie müssen ein neues Wertesystem übernehmen, die Weltsicht auf die neue Ideologie ausrichten. Dieser Prozess ist meist irreversibel und fanatisiert vor allem junge Leute, die ohnehin noch auf der Suche ihrer Identität sind.
Untersuchungen zeigen denn auch, dass fast alle Dschihad-Fahrer aus der Deutschschweiz in den «Lies!»-Aktionen aktiv waren. «Lies!» ist quasi das Stahlbad für Islamisten und Salafisten. Schweizer, die nach Syrien in den (un-)heiligen Krieg ziehen, machen sich strafbar. Sie können auch eine Bedrohung sein. Kommen sie als Schläfer zurück, droht die Gefahr, dass sie einen Terrorakt planen. Deshalb gehört die Vereinigung verboten.
Zwar sind Verbote selten gute Massnahmen, denn sie können leicht umgangen werden. Aber es braucht ein starkes Signal an die Islamisten. Sie sollen wissen, dass sie auf dem Radar der Behörden sind. Es kann doch nicht sein, dass Extremisten den öffentlichen Grund dazu benützen können, junge Leute ins Verderben zu locken und staatsgefährdende Aktionen durchzuführen.
Es ist mehr als verantwortungslos wenn man dem Gewährenlassen das Wort redet. An dieser Erkenntnis führt uns rein gar nichts vorbei. Seien diese nun im Rahmen der "Religionsfreiheit" (tztz..) oder aus linkspolitischen Erwägungen heraus.
Und so darf man Mario Fehr uneingeschränkt zustimmen: er macht das umsichtig, prophylaktisch einigermassen wirksam - und dadurch durchaus realitätsbewusst.