Es beginnt im Zentrum des Glaubens, bei Gott. In der Bibel steht, Gott habe den Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen. Und er throne im Himmel, also irgendwo im Weltall. Gott in menschlicher Gestalt in einer paradiesischen Parallelwelt in den Weiten des Kosmos? Wer's glaubt, wird selig.
Die Geisteswissenschaften lehren uns ausserdem, dass unsere Urahnen sich Gott gar nicht anders vorstellen konnten als in Menschengestalt. Deshalb ist klar, dass der Mensch das Gottbild erschaffen hat. Aus der Sehnsucht nach dem allmächtigen Vater, der das Leid verringert und das ewige Leben garantiert. Aus heutiger Sicht ist der biblische Gott mit dem wallenden Bart ein Zerrbild.
Der griechische Philosoph Xenophanes hat das Phänomen schon vor 2500 Jahren erkannt und schrieb: «Wenn aber die Rinder und Pferde und Löwen Hände hätten und mit diesen Händen malen könnten und Bildwerke schaffen wie Menschen, so würden die Pferde die Götter abbilden und malen in der Gestalt von Pferden, die Rinder mit der Figur von Rindern. Sie würden solche Statuen meisseln, die ihrer eigenen Körpergestalt entsprechen.»
Gehen wir weiter zu Moses. Als dieser die bedrängten Israeliten aus Ägypten befreite, teilte er das Rote Meer. Diese Schilderung verkauft uns die Bibel als historische Tatsache.
Doch an dieses Phänomen glaubt heute kein aufgeklärter Mensch mehr. Und auch christliche Hardliner haben Zweifel daran, suchen sie doch krampfhaft meteorologische oder physikalische Sonderfälle, die das «Wunder» erklären sollen.
Ein weiterer Klassiker ist der Urvater Noah, der im Auftrag von Gott die Arche gebaut haben soll, um die Sintflut zu überleben. Bekanntlich brachte er von jeder Tierart ein Paar aufs Schiff.
Diese Geschichte ist völlig unrealistisch, hätte er doch vorgängig auf alle Kontinente reisen und Hunderttausende von Tieren einsammeln müssen. Ins Reich der Märchen gehört auch die Altersangabe: Moses soll 950 Jahre alt geworden sein.
Fragen tauchen auch bei Jesus auf. Wie kann es sein, dass er der Sohn Gottes sein soll? Der Schöpfer lässt seinen Sohn ans Kreuz nageln und ihn Todesqualen erleiden? Als Sohn Gottes hätte er seine Verhaftung voraussehen und abwenden können. Oder er hätte über Kräfte verfügen müssen, seine Verfolger mental beeinflussen oder körperlich neutralisieren zu können.
Fragen wirft auch die Auferstehung auf: Warum muss sich Jesus zuerst umbringen lassen, um nachher wieder aufzuerstehen? Immerhin steht im Johannes-Evangelium: «Ich und der Vater sind eins.»
Bei der Johannes-Offenbarung – immerhin Teil des Neuen Testaments – wird es besonders krass: Darin beschreibt der Evangelist die Apokalypse. Engel quälen die Menschen zu Tode.
Die Gepeinigten können sich nicht einmal durch Suizid «retten», denn der Tod flieht vor ihnen, prophezeit Johannes. Mehr Brutalität oder Sadismus im Namen des liebenden Gottes geht kaum. Da liegt ein grundlegender Systemfehler vor. Die Beispiele liessen sich endlos fortsetzen.
Deshalb glauben heute selbst Geistliche nicht mehr im Wortlaut an die Bibel. Sie interpretieren die kuriosen oder unglaubwürdigen Geschichten metaphorisch.
Für sie sind sie Gleichnisse oder Sinnbilder. Doch diese Interpretationen führen zwangsläufig zu massiven Relativierungen der Heilslehre. Denn wer vor vielleicht 150 Jahren die biblischen Geschichten als Metaphern erklärt hätte, wäre als Ketzer verfolgt worden.
So beginnen die Heilsvorstellungen und Dogmen immer mehr zu bröckeln. Junge Leute, die nicht mehr in der christlichen Tradition verwurzelt sind, können mit den biblischen Geschichten ohnehin nichts mehr anfangen: Sie sind zu langweilig und schlicht unglaubwürdig.
Selbst Theologen und Pfarrer beginnen zunehmend zu zweifeln. Es gibt denn bereits Geistliche, die nicht einmal mehr an den christlichen Gott glauben, wie ihn die Bibel lehrt.
Die reformierte Pfarrerin Ella de Groot von Muri-Gümligen zum Beispiel steht offen dazu, dass sie mit einem realen Gott nichts anfangen kann. «Hört auf, zu glauben!» lautete der Titel einer Sendung bei Radio SRF2 vom 14. Juli 2013. Darin sagte sie, herkömmliche Gottesvorstellungen seien reine Einbildung. Deshalb verkünde sie auch keinen Glauben an eine höhere Macht.
Die reformierte Kirche hat damit kein Problem. Ella de Groot ist auch heute noch Pfarrerin in Muri-Gümligen. Eine gute Seelsorgerin muss nicht zwingend an einen traditionellen Gott mehr glauben.
Auch der holländische Pfarrer Klaas Hendrikse verkündet von der Kanzel herab, Gott gebe es nicht. Er hat auch ein Buch zu diesem Thema geschrieben, das den Titel trägt: «Glauben an einen Gott, den es nicht gibt.»
Und doch gibt es Christen, die sich vehement gegen diese Relativierungen des Glaubens wehren: Die Mitglieder von Freikirchen. Für sie ist und bleibt die Bibel das authentische Wort Gottes. Auf Teufel komm raus.
Wäre die Bibel also spannend, würden sich die Jungen drum reissen. Die ziehen sich ja tonnenweise unglaubwürdige Filme und Serien rein.