Trampen im Iran ist eine Herausforderung. Es halten zwar so viele Autos an wie in keinem Land zuvor, die meisten wollen mir aber nur zeigen, wo die nächste Bus- oder Taxistation ist. Andere wiederum sind als Hobby-Taxifahrer unterwegs und erwarten eine Bezahlung für ihre Dienste. Die Idee des Trampens – also das Anbieten einer Mitfahrgelegenheit als kostenlosen Gefallen – ist im islamischen Gottesstaat völlig unbekannt. Der ausgestreckte Daumen löst hier nur Fragezeichen aus.
Um den anhaltenden Fahrern klarzumachen, dass ich für die Fahrt nicht bezahlen will, und auch ein Bus nicht infrage kommt, sage ich «pul nadarim» («Ich habe kein Geld»). Das ist zwar nicht ganz korrekt, verhindert aber Missverständnisse. Amir und Mehrdad schreckt dieses «pul nadarim» nicht ab. Sie nehmen mich in ihrem Lastwagen mit in Richtung Teheran.
Die iranische Hauptstadt ist über 600 Kilometer und fast zehn LKW-Stunden entfernt, wir müssen deshalb in der Fahrerkabine viel Zeit totschlagen: Wir trinken einen Tee nach dem anderen, essen den selbstgebackenen Zitronenkuchen von Mehrdads Mutter und schauen Musikvideos, die im Westen aufgenommen wurden, und in denen iranische Sängerinnen freizügig tanzen. Spassvogel Mehrdad verursacht bei Fahrer Amir mit seinen Mätzchen einen Lachanfall nach dem anderen. Auch ich muss schmunzeln, obwohl ich nichts verstehe. Er beeindruckt mich zudem, indem er eine glühende Zigarette in seinem Mund verschwinden lässt und dann mit der Zunge wieder hervorholt.
Während ich davon ausgehe, dass es bis nach Teheran nochmals fünf Stunden so weitergeht, erklären mir die beiden an einer Zahlstation auf halber Strecke plötzlich, dass sie hier abbiegen müssen. Wir haben uns offensichtlich missverstanden. Die beiden überlassen mich aber nicht einfach mir selbst. Nein, Mehrdad nimmt mich an der Hand und schleppt mich zu einem jungen Polizisten, der an der Zahlstation ab und zu ein Auto rauswinkt. Er erklärt ihm, so nehme ich jedenfalls an, dass ich auf dem Landweg von der Schweiz in den Iran gereist bin, dass ich nach Teheran will – und kein Geld habe.
Der junge Polizist hört aufmerksam zu, dann bringt er mich zur kleinen Polizeistation nebenan, wo er mich seinem Chef übergibt. Dieser fragt mich in brüchigem Englisch, ob ich ein Problem habe. «No problem, no problem», versichere ich ihm. Ich versuche auch ihm die Idee des Trampens zu erklären, abermals erfolglos.
Er fragt mich nach meinem Pass und sagt mir, ich solle warten. Dann verschwindet er im Gebäude. Ich werde etwas nervös. Ich habe keine Lust, mit den iranischen Gesetzeshütern in Konflikt zu kommen. Doch es vergehen keine zwei Minuten, da kommt er mit meinem Pass zurück und gibt mir zu verstehen, dass ich ihm folgen soll. Wir gehen zurück zur Zahlstation, wo Mehrdad noch immer beim anderen Polizisten wartet. Ich wiederhole wieder und wieder, dass ich kein Problem habe und keine Hilfe brauche. Ich hole gar mein «Teheran»-Schild hervor und zeige auf den Strassenrand. Ich will doch einfach nur dorthin stehen und mein Glück versuchen – wie immer!
Doch ich bin nicht mehr Herr über mein Schicksal. Sie stoppen mit der Polizeikelle den nächsten Reisebus, reden auf den Fahrer ein und sagen mir dann, ich solle einsteigen. «No autobus, pul nadarim», bäume ich mich ein letztes Mal auf. Doch es hilft nichts. Im Gegenteil, es kommt nur noch schlimmer: Einer der Polizisten streckt mir 90'000 Rial entgegen (rund drei Franken). Als ich das Geld nicht annehmen will, steckt er es mir einfach in die Hosentasche.
Ich gebe meinen Widerstand auf, bedanke mich und steige ein. Mit einem schlechten Gewissen schleiche ich an den anderen Passagieren vorbei. Das Ganze ist mir furchtbar unangenehm: Ich, der reiche Schweizer, fahre gratis im Bus nach Teheran, während die Einheimischen, die deutlich weniger Geld haben, anständig bezahlt haben. Ich nehme mir fest vor: Das passiert mir kein zweites Mal! In Teheran werde ich mir von einem Einheimschen, der gut Englisch kann, ein Schreiben machen lassen, das die Idee des Trampens auf Farsi erklärt. Sonst ist die Kombination aus grenzenloser Gastfreundschaft und nicht vorhandener Autostopp-Kultur zu gefährlich.