Wir müssen bis zur Geneva International Motor Show 2019 zurückgehen, um auf die Spur des Tonale-Konzepts zu kommen, das einen Vorgeschmack auf den italienischen SUV gibt, den wir heute fahren. Glücklicherweise wurden nach mehr als drei Jahren Entwicklungszeit die Kurven, die unsere Augen in den Gängen des Palexpo zum Leuchten gebracht haben, ohne grosse Veränderungen beibehalten. Der Tonale ist ein echter Hingucker, vereint Eleganz und Dynamik und ist mit subtilen Anspielungen auf glorreiche Modelle aus der Alfa-Geschichte bespickt. Viele der direkten Konkurrenten des Tonale können sich an diesem Stil ein Beispiel nehmen.
Auch im Innenraum ist die Alfa-Romeo-Persönlichkeit deutlich spürbar. Alle Bedienelemente sind auf den Fahrer ausgerichtet, die doppelläufige Instrumentenkappe erinnert ebenfalls an die Alfa-Modelle von früher.
Während das Ambiente sehr sportlich-schick ist, ist die Wahl der Materialien nicht ganz einfach: In Augenhöhe und oben ist das Material (fast) tadellos, ausserhalb des Blickfelds ist es nicht besonders gut. Die schlechten Gewohnheiten sind hartnäckig und könnten unserem italienischen SUV dennoch zum Verhängnis werden, wenn ein potenzieller Kunde ihn mit deutschen Produktionen vergleicht. Das Raumangebot entspricht den Standards des Segments und es ist hervorzuheben, dass trotz der nach hinten auslaufenden Dachlinie die Kopffreiheit auf den hinteren Plätzen erhalten bleibt.
Während die Marke mit dem Biscione in der Vergangenheit bei ihren Modellen hinsichtlich der Technologie hinterherhinkte, hat sie nun aufgeholt und gibt mit dem Tonale sogar das Tempo vor. Individuell anpassbare digitale Instrumente, ein zentraler 10-Zoll-Touchscreen, maximale Konnektivität, ein flüssiges, fehlerfreies und leicht zu erlernendes Multimediasystem und Interface – alles ist vorhanden, sogar autonomes Fahren auf Stufe 2!
Alfa Romeo erlaubt sich dank des serienmässigen NFT-Zertifikats auch einen kleinen Ausflug ins Web 3. Diese manipulationssichere Identitätskarte, deren Technologie auf der berühmten «Blockchain» beruht, ermöglicht es, den gesamten Lebenszyklus des Fahrzeugs zu registrieren und zu zertifizieren.
Unter der Motorhaube führt der Tonale die Elektrifizierung auf Alfa-Art ein. Zunächst dreht sich das Angebot um einen 1,5-Liter-Vierzylinder, der mit einem kleinen 48-V-Elektromotor mit 15 kW und einer 0,8-kWh-Batterie kombiniert wird. Das Ganze leistet wahlweise 130 oder 160 PS. Es handelt sich also um eine «verbesserte» Mild-Hybrid-Architektur, bei der der Elektromotor seinen Verbrennungsmotor wie ein herkömmlicher Mild-Hybrid-Antrieb unterstützt, aber auch beim Rangieren oder auf ebenem Gelände bis zu einer Geschwindigkeit von 30 km/h allein mit der Kraft der Elektronen fahren kann, vorausgesetzt, man geht sanft mit dem Gaspedal um. Das Gerät ist angenehm und genial für den Einsatz im städtischen Umfeld.
Die DNA eines Alfa Romeo besteht neben dem Stil auch aus dem Motor und dem Gefühl, das er vermittelt: Klang, Nervosität, Kraft und Drehmoment. Und auf dem Tonale muss man feststellen, dass diese Aspekte eindeutig stumm geschaltet sind. Der 160-PS-Antrieb bietet eine anständige Leistung, aber es fehlt ihm an Spritzigkeit für eine dynamische Fahrweise. Das Doppelkupplungsgetriebe reagiert nicht schnell und zögerlich, die Drehmoment- und Leistungsentfaltung lässt auf sich warten und erfordert viel Platz für Überholmanöver, zum Beispiel beim Überholen. Die Werbefachleute von Alfa Romeo argumentieren, dass die Gesamtleistung des Tonale im Durchschnitt der Klasse liegt. Das mag zwar sein, aber gehört der Fahrer eines Alfa Romeo auch zum Durchschnitt? Und da wir gerade bei den Durchschnittswerten sind: Wir haben einen Verbrauch zwischen 6 und 7,7 l/100 km ermittelt, je nach Fahrweise im täglichen Gebrauch und auf gemischten Strecken. In der Stadt sollte man mit etwa 8 l/100 km rechnen.
Die durchwachsene Bilanz des Antriebs ist umso bedauerlicher, als die Bodenanbindung des Tonale auf einem sehr hohen Niveau ist. Das Gesamtverhalten ist sehr neutral und sicher. Die straffe, aber nicht ruckelige Abstimmung der Aufhängung hält die Karosseriebewegungen mit Bravour unter Kontrolle, und die Lenkung ist zwar nicht so direkt wie bei Giulia und Stelvio, aber präzise. Wir hätten uns etwas mehr Offenheit um den Mittelpunkt herum und eine etwas weniger lustlose Rückmeldung über den Grip der Vorderachse gewünscht. Insgesamt ist das Fahrerlebnis jedoch angenehm und die Ausstattung verträgt einen flotten Fahrstil, ohne zu murren.
Der Tonale, der darauf ausgerichtet ist, möglichst viele Menschen zufriedenzustellen und eine neue Kundschaft zu erobern, verfügt über echte Stärken, bleibt aber aufgrund einiger Ausstattungsdetails und einer für seine Klasse halbherzigen Motor-Getriebe-Kombination hinter den Erwartungen zurück. Es handelt sich zwar um eine erste Kopie, aber mit einem Preis von 41'900 Franken ist es eine Preisgestaltung, die eines Premiumprodukts würdig wäre und an die man zu Recht hohe Ansprüche stellen darf. Ein Plug-in-Hybrid-Modell des Tonale mit 280 PS und Allradantrieb steht plötzlich in den Autohäusern. Hoffen wir, dass dieser hier mehr vom Geist des Alfa bewohnt ist.
Arthur Sunil
Hans Jürg
P.Rediger