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«Du Pussy!»

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«Du Pussy!»

Wenn Ignoranz die Schwächsten kaputt macht ...
10.11.2014, 13:2410.11.2014, 13:35
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Vor genau fünf Jahren nahm sich Bundesliga-Goalie Robert Enke das Leben. Nachdem er jahrelang unter Depressionen gelitten hatte, beging er am 10. November 2009 bei einem Bahnübergang Schienensuizid. 

Nach Enkes Tod begab sich sein Bundesliga-Kollege Andreas Biermann an die Öffentlichkeit und stand offen zu seiner depressiven Erkrankung und den damit verbundenen Suizidversuchen. Im Nachhinein äusserte sich Biermann jedoch kritisch zu seinem Outing, sprach davon, sich alleine gelassen gefühlt zu haben, und ging soweit, zu sagen, er würde keinem Profi empfehlen, zu einer psychischen Störung zu stehen.

Andreas Biermann nahm sich am 18. Juli 2014 das Leben. Er hinterliess eine Ehefrau und zwei Kinder.

Schwäche ist keine Option

Ich wehre mich eigentlich immer dagegen, wenn man einer ganzen Menschengruppe gewisse Eigenschaften zuweist. Ich bin überzeugt, dass es viele Fussballer und Fussballfans (jeweils Frauen und Männer) gibt, die sehr wohl darüber aufgeklärt sind, was eine Depression ist. Und trotzdem ist der Grundtenor – so schreibt es Andreas Biermann in seinem Buch, das er vor seinem Tod veröffentlichte – ein harscher. Ein von Machismo geprägter. Es gilt, Männlichkeit zu beweisen. Immer. Schwäche ist keine Option oder du bist raus. 

Und das ist nicht nur im Fussball so. Auch in der Gesellschaft allgemein mangelt es nach wie vor an Verständnis. Als ich vor ein paar Monaten einen Text über Depression veröffentlichte, war ich schockiert über die Ignoranz, die mir da teilweise entgegenkam. «Wer sein Leben im Griff hat, wird nicht depressiv», «Alles Pussys!» und «Das sind doch alles faule Ausreden, um nicht arbeiten zu müssen» ist nur eine Auswahl an Aussagen, die da gemacht wurden. 

Psychische Erkrankungen sind kein Voodoo oder Hypochonder-Hirngespinste, sondern wissenschaftlicher Fakt – und trotzdem verneinen gewisse Menschen noch immer ihre Existenz. Wie das kommt, weiss ich nicht, denn ich habe noch niemanden gefunden, der mir erklären konnte, wie ein eigentlich gesunder Mensch, der lediglich eine «Pussy» ist und sich einfach mal «ein bisschen zusammenreissen sollte», darauf kommt, freiwillig von einer Brücke in den Tod zu springen.

Über Jahre immer wieder in der Finsternis ...

Diese Menschen waren über Jahre immer wieder in der Finsternis, erlebten keine Freude mehr, kamen morgens nicht mehr aus dem Bett. Und sie hassten sich selber dafür, machten sich Vorwürfe und fanden sich undankbar. Das Leben wurde für sie so unerträglich, dass sie es lieber aufgaben als einen weiteren Moment darin zu verbringen.

Und das ist dann also eine «Pussy»?

Ich bin mir bewusst, dass nicht jeder das gleiche Selbstverständnis für psychische Störungen hat wie eine Psychologin. Und ich verstehe auch, dass eine Krankheit, die man nicht sieht, schwer zu begreifen ist, wenn man selbst nicht davon betroffen ist. Aber rund 20% der Bevölkerung erkranken im Laufe ihres Lebens einmal an einer affektiven Störung (simpel gefasst: Depression, manische Episoden und bipolare Störung). Das ist jede(r) Fünfte!

Bevor man also wieder Aussagen wie «Du Pussy» macht (nebst der Tatsache, dass der Ausdruck frauenfeindlich und doof ist), sollte man sich eventuell in Erinnerung rufen, dass die Chancen 1:5 stehen, dass man selber einst eine dieser Pussys werden könnte. 

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Yonni Meyer
Yonni Meyer schreibt als Pony M. über ihre Alltagsbeobachtungen – direkt und scharfzüngig. Tausende Fans lesen mittlerweile jeden ihrer Beiträge. Bei watson schreibt die Reiterin ohne Pony – aber nicht weniger unverblümt. 

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11 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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saukaibli
10.11.2014 13:48registriert Februar 2014
Es gibt schliesslich auch immer noch Menschen, die an Adam und Eva glauben, wieso also nicht auch solche, die psychische Krankheiten verneinen. Man kann Depressionen wissenschaftlich erst sein einigen Jahren beweisen, seit man allg. Fortschritte im Bereich der Neurologie gemacht hat. Da aber viele Leute denken, nach der obligatorischen Schule müsse man nie wieder etwas lernen und alles was man dort gelernt hat sei für immer richtig, kennen viele die neuen wissenschaftliche Erkenntnisse nicht.
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Miicha
10.11.2014 16:07registriert März 2014
Danke für diesen Beitrag! War selber betroffen und habe es vor einigen verheimlicht. In dem Moment hat man keine Kraft mehr sich zu verteidigen. Allen Betroffenen wünsche ich viel Kraft und ein gutes Umfeld!
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Swissbite
10.11.2014 13:40registriert Juli 2014
Leider war und ist die Akzeptanz der Andersartigkeit nicht da. Es ist schade sieht man selten Personen welche nicht der "Norm" entsprechen auf der Strasse, in Geschäften, in Cafes. Und es ist Schade muss sich der Otto Normalverbraucher sich nicht mit solchen Personen auseinander setzten. Wegsperren und in irgendeiner Anstalt behandeln war schon immer die einfachere Lösung... Leider.
Es ist nicht nur Ignoranz, es ist Arroganz.
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