Nach über 50 Spielstunden will das Staunen immer noch nicht aufhören: Ein stampfender Hüne will mich ins digitale Nirvana schicken. Er rennt schreiend hinter mir her, Panik setzt ein. Ein plötzlich auftretendes Unwetter mit Starkregen und heftigem Wind trübt zwar meine Sicht, verschafft mir aber auch einen Vorteil. Ich kann entkommen. Blind stolpere ich über Stock und Stein und warte darauf, dass das Gebrüll in meinem Nacken aufhört.
Endlich: Die düsteren Wolken verziehen sich, das Wetter wird freundlicher und ich bin endlich in Sicherheit. Das Monster hat von mir abgelassen und ist irgendwo hinter mir im Dickicht verschwunden. Während ich spüre, wie sich mein Herzschlag langsam wieder normalisiert, erkenne ich erst jetzt, dass mich meine Flucht in ein komplett unbekanntes Gebiet in diesem riesigen Fantasiereich geführt hat. Die auftretende Weitsicht lässt meinen Kiefer erneut nach unten klappen. Das Abenteuer geht weiter und die Burg in weiter Ferne wird mein nächstes Ziel. Vielleicht.
In einem grossen Fantasie-Königreich herrscht Chaos und Verderben. Nachdem der titelgebende Eldenring zerbrochen wurde, hatte dies weitreichende Konsequenzen für das ganze Land. Verantwortlich dafür sind die Kinder der Königin, die Dank Egoismus und Grössenwahn einen Krieg auslösten. Als quasi Auserwählter ist es nun die Aufgabe, diese Kinder, die allesamt Halbgötter sind, aufzusuchen und die Einzelteile des Rings zu vereinen, um selber zum Eldenfürst zu werden. So oder ähnlich.
Die Geschichte ist wie in allen From Software-Spielen kryptisch und wirft nur mit bedeutungsschwangeren Sätzen um sich, die mehr verwirren, als dass sie eine stringente Geschichte erzählen. Und genau das ist ein Teil der Faszination dieses Videospiels, das aktuell gefühlt von der gesamten Game-Welt gespielt wird. «Elden Ring» besitzt zwar durchaus eine Hintergrundgeschichte, doch es sind viel mehr die einzelnen Abenteuer, die jede Spielerin und jeder Spieler individuell erlebt und sich somit seine eigene Story zusammen bastelt. Wenn man denn dies überhaupt möchte.
«Elden Ring» ist eine gigantische Spielwiese, die einlädt, sich darauf herum- und auszutoben, seine Spielfigur aufzuleveln und sich an den grossen Bossen die Zähne auszubeissen, um immer wieder zu sterben. Selbstverständlich darf man die Wiese der Unterhaltung auch komplett ignorieren und sich nur der Hauptstory hingeben, aber dann wird die Seele des Spiels ignoriert und viele, viele wundervolle Momente werden ausgelassen.
Auch wenn der «Game of Thrones»-Schöpfer George R.R. Martin hier bei «Elden Ring» vielleicht die Grunddramaturgie auf einem Bierdeckel ablieferte, der wahre Ruhm gehört den Menschen bei From Software unter der Leitung von Spieleentwickler und Designer Hidetaka Miyazaki, die eine solch lebendige Welt überhaupt erst möglich gemacht haben. Wobei die Welt eigentlich gar nicht mal so lebendig ist, was wiederum dafür sorgt, dass eine einzigartige melancholische Stimmung herrscht.
Wer durch die Lande streift, wird schnell einmal feststellen, dass sie keineswegs wie bei anderen Openworld-Spielen überwuchert ist mit Menschen, Tieren und sonstigen Interaktions-Objekten. Nein, dieses Land ist oft menschenleer und die Möglichkeiten der Kommunikation sind selten. Trifft man dann aber auf einen Passanten, der etwas erzählen möchte, einen Wunsch hegt oder gar etwas verkaufen will, dann wird aufmerksam zugehört und nicht wie bei anderen Genre-Vertretern blind weggeklickt. Ja, man freut sich sogar, endlich ein menschliches Gesicht anzutreffen.
So kann es durchaus vorkommen, dass eine stundenlange Wanderung ohne Interaktion geschieht. Wer das Glück hat, nicht von einem Monster oder einem wilden Tier zerfleischt zu werden, kann mehrere Stunden einfach so herumspazieren. Du möchtest mehr Action? Dann begib dich in die Nähe einer Burg und du bekommst sie. Du möchtest herumforschen? Dann begib dich in einen der Dungeons. Du möchtest einfach nur deine Ruhe haben? Dann schlendere einfach nur herum und erfreu dich an dieser Welt, die jedoch unterschwellig immer auch eine gewisse Bedrohung versprüht.
Das Artdesign von «Elden Ring» lässt die Augen immer grösser werden. Es ist faszinierend, wie diese Welt immer organischer wirkt, je tiefer darin vorgedrungen wird. Flora und Fauna, Menschen und Monster sowie unberechenbar einsetzende neue Wetterverhältnisse und malerische Landschaften – das Auge kann sich kaum an dieser Herrlichkeit satt sehen. Immer wieder spürt man diese Erhabenheit, diese Ehrfurcht vor dieser einen grossen Welt. Das geschieht sowohl durch simple Naturbilder als auch durch Ruinen antiker Bauten, die schon seit ewiger Zeit in Trümmern auf ihre Entdeckung warten.
Dieses visuelle Spektakel wird zusätzlich von spartanischen aber stets bestimmenden Klängen eingelullt, das nur mit dem Wort episch umschrieben werden kann. Man darf dem Spiel durchaus ankreiden, dass es im direkten Vergleich mit Genre-Kollegen grafisch doch manchmal ein bisschen den wahren Next-Gen-Touch vermissen lässt. Doch diese Zweifel werden sofort durch das krude Artdesign und den Mut zum Minimalismus entkräftet. Denn «Elden Ring» beweist auch hier jedem Grafikfetischisten, dass weniger eben auch manchmal mehr sein kann, wenn die Atmosphäre über alles hinaus strahlt.
Und dann gibt es da immer diese herrlichen WTF-Momente, die einem hart ins Gesicht schlagen. Auch wer bereits viele Stunden in diesem Videospiel verbracht hat und meint, schon alles erlebt oder gesehen zu haben, wird immer wieder aufs Neue überrascht. Ach, das geht auch? Wie jetzt, dieser Boss ist so einfach zu legen? Was, dahinter ist eine Tür!? Diese und ähnliche Sätze purzeln regelmässig aus dem Mund wenn man sich mit anderen Spielerinnen und Spielern unterhält oder auch von ganz alleine vom Spiel selber wieder mal überrascht wird.
Die Kriegerin, der Magier oder der Geistliche können noch so hochgelevelt und feingeschliffen sein, um sich gegen alles und jeden zu wappnen, es wird immer wieder Momente geben, wo man sich wie der kleinste Anfänger vorkommt und das Gefühl einsetzt, die Welt erst jetzt richtig verstanden zu haben. Und auch bei diesem Spiel aus dem Hause From Software gilt natürlich: Wenn ein grosser Boss gebodigt wird, ist der immense Ausschuss von Glückshormonen unbezahlbar und berauschend.
«Elden Ring» hat mich komplett in seinen Bann gezogen. Diese Erkenntnis kommt für mich persönlich überraschend, weil ich mit den Videospielen von From Software nie viel anfangen konnte. Gerade als Freund von gut erzählten Geschichten war ich von Anfang an skeptisch, denn in Sachen Storytelling hat dieser Titel wahrlich nicht viel zu bieten. Jedenfalls auf den ersten Blick.
Ich habe zwar den einen oder anderen Boss gelegt, um von der Hauptgeschichte mehr zu erfahren und einen gewissen dramaturgischen Fortschritt zu verbuchen, aber die Rahmenhandlung wurde von Stunde zu Stunde unbedeutender und ich wurde immer wieder abgelenkt. Immer wieder verlor ich mich in dieser wahrlich atemberaubenden Spielwelt aufs Neue und ging auf Wanderschaft, um auch noch den letzten Winkel dieses Landes zu erkunden.
Nein, ich bin noch lange nicht am Ziel angekommen. Die riesige Karte mag mich manchmal erschlagen, doch die Motivation bleibt hoch, in diese dunkle Fantasiewelt noch tiefer hinabzutauchen. Ich werde «Elden Ring» wohl nie komplett durchspielen, aber die persönliche Reise wird weitergehen.
«Elden Ring »ist erhältlich für Playstation 5, Playstation 4, Xbox Series X/S, Xbox One und PC. Freigegeben ab 16 Jahren.