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Schweizer Kriminologe trifft Online-Liebesbetrüger in Afrika

scammer symbolbild
Junge Scammer schauen älteren Scammern in Internetcafés über die Schulter (Symbolbild).Bild: David Espejo/Getty

Online-Liebesbetrüger aus Afrika zielen auf Schweiz: «Einige beginnen schon mit 12 Jahren»

Wer steckt hinter den falschen Liebesversprechen im Internet, welche die Opfer viel Geld kosten? Und wie lernen die Täter, wie man jemanden von sich abhängig macht? Das weiss der Neuenburger Wissenschafter Olivier Beaudet-Labrecque. Er hat Täter in Westafrika getroffen.
24.07.2025, 06:2324.07.2025, 06:51
Annika Bangerter / ch media
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Es beginnt unverfänglich: Ein neuer Kontakt via soziale Medien meldet sich. Ein Austausch folgt, bei dem viele Komplimente und Nachfragen bekundet werden. Die Opfer erkennen dabei nicht, dass es Fake-Profile sind, die ihnen erst grosse Gefühle vorspielen und dann Geld benötigen, weil ihnen ein angeblicher Schicksalsschlag widerfahren ist. Romance Scam heisst der Liebesbetrug im Internet, von dem viele Menschen in der Schweiz betroffen sind.

Die Täterschaft ist über die ganze Welt verteilt. Der historische Hotspot liegt jedoch in Westafrika. Besonders bekannt sind die Elfenbeinküste, Nigeria, Ghana und Benin. Früher zielten die dortigen Liebesbetrüger vor allem auf Opfer aus französisch- oder englischsprachigen Ländern. Seitdem künstliche Intelligenz auf hohem Niveau übersetzt, gibt es keine Sprachbarrieren mehr. Deshalb etablierten sich in Südostasien regelrechte Online-Betrugsfabriken. Der Kriminologe Olivier Beaudet-Labrecque forscht seit mehreren Jahren zu Romance Scam – und hat mit Tätern und Strafverfolgungsbehörden in Westafrika gesprochen.

Sie reisten für Ihre Forschung mehrmals in die Elfenbeinküste und sprachen dort mit zahlreichen Liebesbetrügern. Wer sind sie?
Olivier Beaudet-Labrecque: Es handelt sich vor allem um junge Männer. Einige beginnen schon mit zwölf oder dreizehn Jahren, aber die allermeisten sind junge Erwachsene. Die besten von ihnen – also diejenigen, die keine Rechtschreibfehler machen – haben in der Regel studiert. Trotz ihres Universitätsabschlusses fanden sie in ihrem Land keinen Job, weshalb sie mit dem Liebesbetrug begannen. Dazu muss man wissen: Erfolgreiche Romance Scammer gibt es in Westafrika viele und sie zeigen ihren Reichtum offen. Gerade in ärmeren Vierteln eifern junge Menschen dem schnellen, einfach verdienten Geld nach. Das hat auch Folgen für die lokale Wirtschaft.

Olivier Beaudet-Labrecque

Olivier Beaudet-Labrecque Der Kriminologe ist Dekan und Professor am Institut zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität an der Fachhochschule HEG Arc in Neuenburg.
Der Kriminologe ist Dekan und Professor am Institut zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität an der Fachhochschule HEG Arc in Neuenburg. Er forscht unter anderem zu Cyberkriminalität und reiste dafür mehrmals nach Westafrika.Bild: CHMedia

Inwiefern?
Ein Coiffeur, der kurz vor der Rente stand, hat mir und meinem Team etwa erzählt, dass er keinen Nachfolger für sein Geschäft findet. Niemand wolle seinen Salon übernehmen, weil man sich von dessen Einnahmen niemals einen Mercedes kaufen kann. Genau ein solches Auto fuhr aber sein Nachbar, ein Scammer. Der Coiffeur sagte, dass die jungen Menschen in seiner Nachbarschaft eher vom eigenen Mercedes statt von einem Coiffeursalon träumen.

Scammer arbeiten mit perfiden psychologischen Tricks. Die muss man erst kennen. Wo erfahren angehende Liebesbetrüger davon?
In den Internetcafés. Das sind eigentliche Lern- und Vernetzungsorte. Junge gucken älteren Scammern über die Schulter und fragen nach ihren Tipps. Etwa, wie es gelingt, Opfer systematisch von deren Umfeld zu isolieren. Sie erfahren dann, wie Scammer ihren Opfern beispielsweise einreden, dass deren Kinder nur ihr Geld wollen und ihnen ihr Glück missgönnen. In der Elfenbeinküste ist ein solch niederschwelliger Einstieg in den Internetcafés am gängigsten. In Nigeria und Ghana gibt es hingegen informelle Akademien, an denen junge Menschen zu Scammern ausgebildet werden.

Stecken Banden hinter diesen Cyberdelikten?
Je nach Region. In Südostasien sind mafiaähnliche Organisationen am Werk. Von dort wird insbesondere das sogenannte «Pig Butchering» betrieben. Diese Masche beginnt wie ein Liebesbetrug, entwickelt sich aber rasch zu einem Investmentbetrug. Die Täterschaft überredet ihre Opfer, mit Kryptowährung in scheinbar lukrative Unternehmen zu investieren. Dafür locken sie diese auf manipulierte Investment-Apps.

Und wie sind die Täter in westafrikanischen Staaten organisiert?
Meistens handelt es sich dort um Betrüger, die nur lose untereinander vernetzt sind. In der Regel ist jeder sein eigener Boss. Um erfolgreich zu sein, braucht es allerdings gewisse Kontakte. Etwa Personen, die in Europa ihre Bankkonten für die Geldtransaktionen zur Verfügung stellen. In den Internetcafés tauschen sich die Scammer diesbezüglich aus. Manche helfen sich auch mit vorgefertigten Gesprächsverläufen aus.

Chattet ein Scammer mit mehreren Opfern parallel?
Das hängt vom Verlauf der Beziehungen ab. Sucht der Scammer potenzielle Opfer, chattet er mit mehreren Personen gleichzeitig. Er nutzt dann einfache Fragen à la «Wie hast du diese Nacht geschlafen?» oder «Was hast du gegessen?». Es sind unverfängliche Gespräche, bei denen der Scammer sich nichts merken muss. Sobald aber jemand zahlt, konzentriert er sich auf dieses Opfer. Er weiss: Wer einmal zahlt, zahlt in der Regel mehrmals.

«Sie sagen: Früher kamen die Weissen in unsere Länder und bestahlen uns. Jetzt holen wir einen Teil des Reichtums zurück»

Was denken die Täter über ihren Liebesbetrug?
Das ist unterschiedlich. Einige sehen aufgrund kritischer Stimmen in ihrem Umfeld ein, dass ihr Tun kriminell ist und beenden es. Für die meisten stellt dies aber kein Problem dar. Sie sagen sich: Die Opfer sind reich. Sie verlieren zwar Geld, aber dieses hilft uns hier zum Leben. Einige berufen sich auf den Kolonialismus. Sie sagen: Früher kamen die Weissen in unsere Länder und bestahlen uns. Jetzt holen wir einen Teil des Reichtums zurück.

Ist den Tätern das psychische Leid ihrer Opfer bewusst?
Der seelische Schmerz ist für viele kein Thema. Darüber wollen sie nicht nachdenken und schon gar nicht sprechen.

Sie sagten, Liebesbetrüger zeigen ihren Reichtum. Wie ist ihr Ansehen in der Bevölkerung?
Die öffentliche Meinung zu den Scammern verändert sich seit einigen Jahren stark. Dies vor allem, weil die Betrüger auch lokale Opfer hervorbrachten. Zudem setzten sie oft auf Voodoo-Praktiken. In Westafrika bedeuten diese Rituale den Menschen viel – und ein solcher Missbrauch sorgt für grosse Empörung.

Verfolgt die Justiz die Täterschaft?
Ja, westafrikanische Staaten wie die Elfenbeinküste gehen heute vehement gegen die Scammer vor. Als das Land vor etwa 15 Jahren von politischen Konflikten durchgerüttelt wurde, hatte der Staat andere Prioritäten. Damals wurden die jungen Männer, die Geld ins Land brachten, eher toleriert. Inzwischen hat die Regierung erkannt, dass die Cyberkriminalität ihrem Land stark schadet. In Europa werden E-Mails aus der Elfenbeinküste etwa oft automatisch gelöscht. Für die Wirtschaft ist das ein Desaster.

Wie werden Scammer bestraft?
Das hängt vom Ausmass ihres Betrugs ab. Die Strafverfolgungsbehörden sind überlastet, bei ihnen landen schliesslich lokale und internationale Fälle. Deshalb priorisieren sie. Sie fokussieren auf die grossen und schwerwiegenden Fälle – etwa, wenn sich ein Opfer das Leben nahm oder grosse Vermögenssummen verlor. Diese Betrüger erhalten in solchen Fällen eine hohe Geldbusse und eine Haftstrafe. Aber es ist unvorstellbar, wie voll die Gefängnisse sind. Mit meinem Team habe ich das selber gesehen bei unserer Forschung vor Ort.

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80 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Lendlord
24.07.2025 07:32registriert Juli 2024
Mir passiert es ja auch ständig auf der Strasse und in Bars, dass ich von vollbusigen Supermodells angesprochen werde, die sich in mich verliebt haben. Warum soll das nicht auch im Internet so sein?
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Macca_the_Alpacca
24.07.2025 06:57registriert Oktober 2021
Hatte heute Morgen auch Post von einer Nigerianischen Prinzessin, Barack Obama, einem mir unbekannte US Senator sowie ein Mail mit dem Titel "Anwalt". Ich habe mal pro Forma allen jeweils CHF 5000 überwiesen. Jetzt warte ich auf die Geldlawine.
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Pointless Piraña
24.07.2025 08:36registriert Dezember 2019
Es ist einfach, Leute zu manipulieren, erst recht, wenn diese verletzlich sind. Das macht es zusätzlich extra verwerflich.
Unrecht ist es trotzdem und Unrecht rechtfertigt kein neues Unrecht. Diejenigen, die sich mit dem Kolonialismus rechtfertigen haben dasselbe Mindset wie die Kolonialisten.
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