Es ist eine Glaubensfrage, die weit über das Silicon Valley hinausreicht und Multimilliarden-Deals entscheidet: Wie sicher sind selbstfahrende Autos, die das Geschehen um sie herum nur mit Kameras erfassen?
Jim Farley, Chef der Ford Motors Company, dem sechstgrössten Autohersteller weltweit, hat die Frage für sich und sein Unternehmen beantwortet. Und die Antwort gefällt weder Elon Musk noch den Tesla-Investoren.
Wie das «Fortune»-Wirtschaftsmagazin berichtet, sagte der Ford-CEO Jim Farley kürzlich an einem Podiumsgespräch im Silicon Valley:
Der amerikanische Konzernchef sprach sich demnach öffentlich für jenen technischen Ansatz aus, den die Google-Tochterfirma Waymo und weitere Entwickler von Robotaxi-Fahrdiensten verfolgen. Sie bestücken ihre Fahrzeuge nicht nur mit einer Vielzahl von Kameras, um im Strassenverkehr eine Rundum-Sicht zu erreichen. Sie verbauen zur Sicherheit zusätzliche Hardware.
Lidar ist eine bewährte, mit dem Radar verwandte Technologie. Das Kürzel steht für Light Detection and Ranging. Statt Radiowellen werden Laserpulse ausgesendet, die vom menschlichen Auge nicht erfasst werden. Wenn sie auf Objekte treffen, werden sie reflektiert und ermöglichen das blitzschnelle Erfassen der Umgebung. Diese Daten können dem Bordcomputer eines Fahrzeugs wertvolle, ja lebensrettende zusätzliche Informationen liefern, etwa um Kollisionen zu vermeiden.
Pikant: Farley äusserte die Ansicht, als er von Walter Isaacson interviewt wurde. Dieser hatte 2023 eine Biografie über Elon Musk veröffentlicht. Als das Gespräch auf das vollständig autonome Fahren kam, forderte Isaacson den Ford-Chef auf, die Systeme von Waymo und Tesla zu vergleichen, und er fragte, welcher Ansatz sinnvoller sei. «Für uns Waymo», sagte Farley.
Alle verwenden in ihren autonomen Fahrzeugen mindestens drei verschiedene Hardware-Technologien, respektive Sensoren, kombiniert mit KI, um im Strassenverkehr auftretende Gefahren rechtzeitig zu erkennen und Kollisionen und andere Unfälle zu vermeiden.
Das entscheidende Stichwort, wenn es um die Sicherheit beim autonomen Fahren geht, ist Redundanz. Um eine möglichst hohe Ausfallsicherheit zu erreichen, braucht es mehrere voneinander unabhängige Systeme, die auch unter widrigen Bedingungen Daten liefern.
Im krassen Gegensatz zu Tesla verbaut Waymo bei der aktuellen (sechsten) Generation seiner Robotaxi-Technologie viel zusätzliche Hardware: 13 Kameras, 4 Lidar-Sensoren, 6 Radar-Sensoren und eine Reihe externer Audioempfänger fungieren quasi als Augen und Ohren.
Tesla hingegen setzt in seinen Elektroautos, die es nun in einem Pilotprojekt als Robotaxis testet, auf einen «Vision Only»-Ansatz. Auf Deutsch: nur Sicht.
In allen neueren Tesla-Modellen ist weder Radar- noch Lidar-Technologie verbaut, um die Umgebung des Autos zu erfassen. Gerade mal acht Kameras sollen die Rundumsicht gewährleisten. Die erfassten Daten werden vom leistungsfähigen Bordcomputer verarbeitet. Das Geschehen ausserhalb des Fahrzeugs wird von einem künstlichen neuronalen Netzwerk interpretiert.
Bei Tesla funktioniert das automatisierte Fahren ähnlich wie bei einem menschlichen Fahrer, der allerdings taub ist und sich wegen seines eingeschränkten Sehvermögens vieles zusammenreimen muss. Und wenn die Sicht nach aussen plötzlich verunmöglicht wird, etwa durch stark verschmutzte Kameras, bleibt eigentlich nur ein möglichst schneller Sicherheitsstopp.
Die Probleme mit der eingeschränkten Sicht stellen sich auch bei nächtlichen Fahrten und bei Nebel, oder wenn die tief stehende Sonne direkt von vorn blendet. Dies sieht offenbar auch der Ford-CEO so.
Kürzlich hat das von Elon Musk geführte Unternehmen seinen Robotaxi-Service in Austin gestartet – mit Sicherheitsfahrern auf den Vordersitzen und weiteren Einschränkungen. Trotzdem tauchten schon kurz nach dem Start die ersten beunruhigenden Videos auf, die riskante oder gar gefährliche Szenen zeigten.
Musk täte wahrscheinlich gut daran, auf einen Mann zu hören, der sehr viel über die Gefahren von selbstfahrenden Teslas im Strassenverkehr weiss. Der US-Anwalt Brett Schreiber hat bereits mehrere Unfallopfer in Gerichtsprozessen gegen Tesla vertreten. Er sagt:
Ford strebt dem CEO zufolge eine Partnerschaft mit einem Softwareunternehmen für autonomes Fahren an, sobald die Technologie weiter fortgeschritten ist.
Farley ist ein gebranntes Kind: Zuvor hatte sein Unternehmen eine Milliarde Dollar in ein Joint Venture mit dem Volkswagen-Konzern investiert. 2022 wurde die Finanzierung des Projekts «Argo AI», das autonomes Fahren mithilfe von KI anstrebte, erfolglos eingestellt.
Wie «Fortune» schreibt, arbeitet der US-Autohersteller weiter an der Entwicklung seines Assistenz-Systems namens BlueCruise, das es den Lenkern ermöglichen soll, während geraumer Zeit auf der Autobahn unterwegs zu sein, ohne sich ums Lenken zu kümmern.
Hohe Geschwindigkeiten ohne Blickkontakt stellten «ein cooleres Problem» dar als das vollständig autonome Fahren im städtischen Umfeld, sagte Farley. «Drücken Sie einen Knopf und lesen Sie ein Buch im Auto.»
Nur: Wenn sich selbstfahrende Autos durchsetzen sollen, dann reicht es nicht, wenn sie die gleichen Einschränkungen haben wie menschliche Fahrer. Sie müssen besser sein. Das bedeutet sicherer, aber auch schneller, etwa im Nebel.
Hier sollte man auch mal einen Blick auf die Luftfahrt werfen. Die ist ja nur deswegen so sicher geworden, weil man sich nicht auf die Nachbildung menschlicher Fähigkiten beschränkte, sondern weil mit Radar usw neue Wege gegangen wurd.
Von technischem Fortschritt erwarte ich aber nicht nur "gleich gut" sonder eine Verbesserung.