Digital
Analyse

AirTags und Co: Apple und Google wollen Bluetooth-Tracking bekämpfen

Weibliches Stalking-Opfer wird auf offener Strasse verfolgt.
Beim Stalking können die Täter kleine Standort-Tracker verwenden, die mit Bluetooth Low Energy (BLE) oder GPS funktionieren und dem Opfer untergeschoben werden.Bild: Shutterstock
Analyse

Mini-Tracker wie die AirTags sollen sicherer werden – das musst du wissen

Bluetooth-Tracker wie Apples AirTags sind beliebt, lassen sich aber auch missbräuchlich verwenden, um Personen zu verfolgen. Nun soll es einen geräteübergreifenden Anti-Stalking-Standard geben. Bringt's das?
05.05.2023, 15:3105.05.2023, 17:06
Mehr «Digital»

Apple und Google wollen mit einer gemeinsamen Initiative die missbräuchliche Verwendung von kleinen Bluetooth-Ortungsgeräten, sogenannten Trackern, eindämmen.

Der Vorschlag für einen Industriestandard über die Mobilplattformen Android und iOS (iPhone) hinweg werde auch von anderen relevanten Herstellern wie Samsung, Tile, Chipolo, Eufy Security und Pebblebee unterstützt, teilten die beiden US-Techgiganten am Dienstag mit.

Der Schweizer Rechtsanwalt und Digitalexperte Martin Steiger kann der Initiative allerdings wenig Gutes abgewinnen. Und er ruft auch die ungelösten Probleme in Zusammenhang mit dem sogenannten Stalking in Erinnerung.

Warum tun sich Apple und Google zusammen?

In den vergangenen Jahren wurden immer wieder Vorfälle publik, bei denen die AirTags von Apple oder andere Bluetooth-Tracker missbräuchlich benutzt wurden, um Menschen gegen ihren Willen zu überwachen und zu verfolgen.

Offenbar sahen sich Apple und Google wegen ihrer einzigartigen Stellung in der Techbranche zum Handeln veranlasst: Bekanntlich bilden die beiden US-Unternehmen mit ihren mobilen Betriebssystemen Android und iOS (iPhone) ein weltweites Duopol. Sie sind damit auch am besten in der Lage, einen geräteübergreifenden Standard einzuführen.

Exkurs: Etwas Vergleichbares hatten sie 2020 mit der Schaffung einer neuen technischen Schnittstelle für die Corona-Warn-Apps getan. Die entsprechende Technologie, die in die mobilen Betriebssysteme integriert ist, basiert ebenfalls auf Bluetooth Low Energy (BLE) – einem Funkstandard für kurze Distanzen, der wenig Strom verbrauchen soll.

Und nun soll es ein gemeinsamer Anti-Stalking-Standard für die ziemlich populären Mini-Tracker werden. Der verantwortliche Google-Manager brachte es auf den Punkt:

«Bluetooth-Tracker haben enorme Vorteile für die Nutzer geschaffen, bringen aber auch das Potenzial für unerwünschtes Tracking mit sich, für dessen Lösung branchenweite Massnahmen erforderlich sind.»
Dave Burke, Vice President of Engineering for Androidquelle: the register

Zwar hat Apple bereits technische Schutzmassnahmen eingeführt, um Stalking durch AirTags zu verhindern:

  • So geben fremde AirTags, die sich eine Zeit lang in der Nähe einer anderen Person befinden, einen Warnton ab.
  • Ausserdem bekommen Verfolgungsopfer auf dem iPhone Hinweise darauf, wie sie den fremden AirTag in ihrer Nähe deaktivieren können.

Dieser Anti-Stalking-Schutz funktioniert aber nur, wenn alle Beteiligten iPhones bzw. Apple-Geräte verwenden.

Apple hat 2021 auch eine Android-App lanciert, die Besitzern von Android-Geräten helfen soll, «fremdplatzierte» AirTags und andere kompatible Tracker zu erkennen. Und Samsung hat bei seinen Android-Geräten eine Anti-Stalking-Funktion namens «Unknown Tag Search» implementiert.

Jedoch fehlte bislang die Bereitschaft der grossen Player, das Problem mit einer plattformübergreifenden Lösung anzugehen.

Das soll sich ändern.

Was ist geplant?

Apple und Google haben einen Vorschlag für eine neue technische Spezifikation bei der Internet Engineering Task Force eingereicht. Die IETF ist eine führende Organisation für die Entwicklung von Internet-Standards. Interessierte Unternehmen können den entsprechenden Entwurf in den kommenden drei Monaten prüfen und kommentieren.

«Der neue Industriestandard baut auf den Schutzmassnahmen der AirTags auf und ist durch die Zusammenarbeit mit Google ein entscheidender Schritt nach vorn, um unerwünschtes Tracking unter iOS und Android zu bekämpfen.»
Apple-Manager Ron Huang, Vice President, Sensing & Connectivity

Erklärtes Ziel ist es, die Tracker verschiedenster Hersteller auf den verschiedensten Smartphones zu erkennen und die betroffenen User umgehend zu warnen. Die genaue technische Umsetzung ist aber noch nicht bekannt.

Bis Ende 2023 wollen die beiden US-Techgiganten eine Implementierung des Anti-Stalking-Standards veröffentlichen, die dann in künftige Versionen der mobilen Betriebssysteme iOS und Android integriert werden soll.

Der amerikanische Wissenschaftler Nishant Bhaskar, der zur Sicherheit von Bluetooth und anderen drahtlosen Systemen forscht, begrüsste die Ankündigung:

«Ich glaube, dass diese Allianz zwischen Apple und Google ein Schritt in die richtige Richtung ist. Bluetooth-Tracker, die für Stalking missbraucht werden, stellen eine unmittelbare Gefahr und einen grossen Teil der heutigen Bedrohung durch BLE-Tracking insgesamt dar; dieser universelle Standard bietet einen Mechanismus, um dieses Problem bei allen Anbietern mobiler Systeme anzugehen.»
Nishant Bhaskar, Universität von Kalifornienquelle: the register

Wo ist der Haken?

Es gibt mehrere, wie der Schweizer Rechtsanwalt und Digitalexperte Martin Steiger gegenüber watson erklärt.

AirTags und vergleichbare Bluetooth-Tracker seien ein gutes Beispiel für «Why We Can't Have Nice Things Anymore». Sprich: Nützliche Geräte würden missbräuchlich verwendet, wogegen die Anbieter vorgehen müssten, wodurch allerdings auch die berechtigte Nutzung eingeschränkt werde.

Und zwar werde die berechtigte Nutzung dort eingeschränkt, wo sich ein AirTag nicht mehr oder immer weniger in der Nähe des Besitzers befinde, erklärt der Jurist.

«Ein Beispiel sind Kinder-Stofftiere, wo Eltern einen AirTag verwenden, um sie wiederfinden zu können – bekanntlich gibt es kaum etwas Schlimmeres, als wenn das Lieblingsstofftier verloren geht … oder die Funktion für den Diebstahl-Schutz, welche durch die neuen Schutzmassnahmen vor Stalking ausgehebelt wird.»

Hier ist anzumerken, dass Bluetooth-Tracker insbesondere in den USA vermehrt als Mittel gegen Fahrzeug-Diebstähle propagiert werden. Das New York Police Department (NYPD) rief die Bürgerinnen und Bürger diese Woche auf, einen AirTag im eigenen Auto zu verstecken. Und der Bürgermeister Eric Adams kündigte die Verteilung von 500 kostenlosen AirTags an und behauptete, die Technologie werde dabei helfen, die steigende Zahl der Autodiebstähle zu reduzieren.

Doch zurück zur an sich löblichen Eigeninitiative von Apple und Google. Der Digitalexperte Martin Steiger gibt zu bedenken, dass damit das Stalking-Problem nur scheinbar gelöst werde, denn es werde immer Anbieter geben, die entsprechende Geräte ohne Schutzmassnahmen anbieten, oder man könnte die Geräte auch selbst modifizieren. Bei den AirTags könne man zum Beispiel vergleichsweise einfach den Lautsprecher deaktivieren.

«Unbefriedigend ist jedenfalls, dass alle AirTag-Benutzer unter Generalverdacht gestellt werden. Man könnte jenen, welche befürchten, mit AirTags verfolgt zu werden, auch schlicht die Möglichkeit anbieten, nach AirTags zu suchen, anstatt immer und überall im Alarm-Modus (Benachrichtigungen, Piepsen) zu operieren.»

Das Verfolgen von anderen Personen mit technischen Hilfsmitteln wie Bluetooth-Trackern sei nur ein Aspekt der ganzen Thematik, erklärt der erfahrene Jurist.

Was ist das Hauptproblem beim Stalking?

Häufig finde Stalking in erster Linie kommunikativ statt; sei es direkt, sei es auf Social-Media-Plattformen, oder ganz altmodisch per Briefpost, so Steiger. Und die hiesige Gesetzgebung wird der bedrohlichen Situation nicht gerecht. Die Opfer haben grosse Mühe, sich juristisch zu wehren.

Der Rechtsanwalt erklärt:

«Je nach Kanton gibt es gegen das Stalking mit Auflauern immerhin die Gesetzgebung für den Gewaltschutz, wo ein Rayon- oder Kontaktverbot möglich ist.»

Solange es in der Schweiz keinen Stalking-Straftatbestand gebe, müsse man auf allgemeine Straftatbestände abstellen, sagt Steiger. «Oder man muss die zivilrechtlichen Mittel nutzen, was aber sehr aufwendig ist.»

Im Alltag würden die rechtlichen Möglichkeiten häufig in den Hintergrund treten, denn es fehle an Möglichkeiten für die Durchsetzung. Opfer müssten in jedem Fall viel Aufwand betreiben und die Behörden seien «nicht opferfreundlich».

Gerade Strafverfolgungsbehörden, also Staatsanwaltschaften und Strafgerichte, seien traditionell auf die beschuldigten Personen fokussiert. So könnten Stalking-Opfer nicht davon ausgehen, dass im Zweifelsfall zu ihren Gunsten entschieden werde. Die ernüchternde Feststellung des Juristen:

«Stalker nutzen zum Teil sogar den Rechtsweg, den Opfer beschreiten, um ihren Opfern nahezukommen und nahe zu bleiben. Opferschutz findet häufig nur theoretisch statt: In den Räumlichkeiten der Staatsanwaltschaft werden Opfer und Stalker beispielsweise getrennt, aber die Parteien sehen sich dann wieder draussen vor der Staatsanwaltschaft…»

PS: Wann kommt der Google-Tracker?

Seit Anfang Jahr wissen wir, dass Google einen AirTag-Konkurrenten lancieren wird. Er soll wie der Apple-Tracker in diversen Farben erhältlich sein und einen eingebauten Mini-Lautsprecher haben, um den Usern das schnelle Auffinden zu ermöglichen. Der Google-Tracker soll sich aber auch über Ultra-Wideband (UWB) zentimetergenau orten lassen – zumindest mit neueren Smartphones, die einen UWB-Chip haben. Der interne Codename lautet angeblich «Grogu», so wie die Figur aus der Star-Wars-Serie «The Mandalorian».

Der Google-Tracker soll intern nach der populären Star-Wars-Serienfigur «Grogu» benannt sein.
Der Google-Tracker soll intern nach der populären Star-Wars-Serienfigur «Grogu» benannt sein.screenshot: twitter

Parallel zu seinem AirTag-Klon dürfte Google auch an einem Crowdsourcing-Netzwerk arbeiten. Analog zu dem «Wo ist?»-Netzwerk von Apple soll dabei jedes teilnehmende Mobilgerät bei der Ortung von vermissten Gegenständen helfen: Der Tracker stellt automatisch eine Verbindung zu anderen in der Nähe befindlichen Smartphones und Tablets her und übermittelt seine Position via Internet an den Eigentümer.

Schon 2022 war berichtet worden, dass Google prüfe, eine Bluetooth-Tracker-Erkennung auf Betriebssystemebene einzuführen. Das Unternehmen hat nun angekündigt, nächste Woche an seiner Entwicklerkonferenz I/O weitere Einzelheiten zu seinen Bemühungen bekannt zu geben.

Quellen

Mit Material der Nachrichtenagentur Keystone-SDA

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
24 Menschen, die an der modernen Technik scheitern
1 / 24
24 Menschen, die an der modernen Technik scheitern
bild: boredpanda

Auf Facebook teilenAuf X teilen
«Gib niemals auf!» – Frau wehrt Angreifer im Fitnessstudio ab
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
14 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
shinibini
05.05.2023 16:08registriert Mai 2020
Ich hab auch so ein Tile (lol). Finds gut, kann ich der Lufthansa immer direkt sagen, wo mein Koffer ist, weil die wissen das teilweise nicht mehr so richtig.
312
Melden
Zum Kommentar
avatar
Macca_the_Alpacca
05.05.2023 16:17registriert Oktober 2021
Ich glaube, ich wickle mich ab sofort total mit Alufolie ein.
241
Melden
Zum Kommentar
14
Internetadressen mit Domain .swiss frei verfügbar
Personen mit Schweizer Staatsangehörigkeit oder Wohnsitz in der Schweiz können seit Mittwoch den Domain-Namen .swiss erwerben.

Internetadressen mit der Domain .swiss waren bisher nur öffentlichen oder privaten Unternehmen und Organisationen vorbehalten.

Zur Story