Ein Jahr ist es her, da hat sich Facebook in Meta umbenannt und seine Pläne für das «Metaverse» bekannt gegeben, jener Technologie, die eines Tages das Internet, wie wir es kennen, ablösen soll. Niklas Steenfatt war damals schon mehr als zwei Jahre bei dem Tech-Giganten unter Vertrag, als Daten-Analyst und später als Entwickler in London. Das Monatsgehalt: Rund 20'000 Franken. Die Aufgabe des Deutschen: die Bekämpfung von Hass-Nachrichten, Fake News, Gewaltdarstellungen und Pornografie auf der Plattform.
Der Job machte ihm Spass. «Es ist aufregend, an Produkten zu arbeiten, die Milliarden Menschen täglich benutzen», sagt er. Und auch wenn er schon mal einige Nächte nicht schlafen konnte, nachdem er einmal im Zuge seiner Arbeit Bilder von verstümmelten Kinderleichen sehen musste, betont Steenfatt, dass diese Arbeit wichtig ist. «Besser wir kriegen diese Bilder zu sehen, als der Rest der Welt».
Anders als die Zigtausend ungelernten Billigarbeiter, die Meta weltweit als menschliche Content-Filter beschäftigt, konnte Steenfatt über seine Arbeit nicht klagen. Eigentlich wollte der damals 25-Jährige nach seinem Mathe- und Informatik-Studium in Cambridge und Paris promovieren. Doch das Jobangebot von Facebook war zu verführerisch: 25'000 Franken gleich mit Unterschrift unter dem Arbeitsvertrag. Der Doktortitel konnte warten.
Ein toller Job, dazu die fürstliche Bezahlung, alles lief gut. Doch dann fiel Steenfatt bei Meta in Ungnade. Der Grund: Der Deutsche betreibt nebenbei noch einen YouTube-Kanal, auf dem er gelegentlich auch – durchaus positiv – über IT-Themen und seine Arbeit spricht. Ein klarer Verstoss gegen die Facebook-Firmenpolitik, die jeden Mitarbeiter zu absolutem Stillschweigen verpflichtet. «Es ist jetzt nicht so, als hätte ich auf meinem Kanal irgendwelche Firmengeheimnisse ausgeplaudert», so Steenfatt. «Aber klar, diese Klausel gibt es und gegen die habe ich verstossen».
Plötzlich kriegt Steenfatt die dunkle Seite von Facebook zu spüren. Und die hat es in sich: Mitarbeiter stecken ihm, sie wurden heimlich über ihn ausgefragt. Auch sein direkter Vorgesetzter sei hinter seinem Rücken von einer Art «Geheimpolizei» verhört worden, wie es der Deutsche formuliert. Bei dieser Abteilung handle es sich um die sogenannte «Employee Investigation» mit Sitz in Singapur. «Richtig viele Leute», so Steenfatt.
Er selbst wurde über die laufenden Ermittlungen gegen ihn nicht informiert, wusste über Wochen und Monate noch nicht einmal, was ihm konkret vorgeworfen wurde. Dann kam es zum Showdown. In einem vertraulichen Meeting legte Facebook die Karten auf den Tisch: Eine Sammlung von Zitaten, Abschriften und Protokollen, die der Konzern akribisch über den Deutschen zusammengetragen hatte, darunter auch persönliche Unterhaltungen aus internen Mitarbeiter-Chats.
Eine Meta-Sprecherin sagt hierzu: «Aus Gründen des Datenschutzes und der Vertraulichkeit sprechen wir nicht über die individuellen Umstände aktueller oder ehemaliger Meta-Mitarbeiter. Alle unsere Mitarbeiter müssen sich an einen Verhaltenskodex halten und es wird von ihnen erwartet, dass sie rechtmässig, ehrlich und ethisch handeln. Die Darstellung unserer HR Prozesse trifft nicht zu. Der Respekt für unsere Mitarbeiter ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Kultur, und wie jeder andere Arbeitgeber befolgen wir weltweit etablierte Personalverfahren.»
Wie die da rangekommen seien, möchte ich wissen. «Du hast natürlich Spionage-Software auf all Deinen Geräten», so Steenfatt, als sei es das Natürlichste der Welt. «Hardcore-Überwachung», wie er es auf den Punkt bringt, jedes Facebook-Firmen-Gerät sei mit einer Hintertür ausgestattet. «Managed devices» nenne sich das. Facebook könne im Prinzip jeden Tastendruck seiner Angestellten abgreifen. Auch dazu wollte sich Meta auf Nachfrage nicht äussern.
Was mich überrascht, ist die Tatsache, dass Steenfatt im Gespräch seinen früheren Arbeitgeber auch immer wieder in Schutz nimmt. Zum Beispiel in Bezug auf die internen Unterlagen, die von der Whistleblowerin Frances Haugen öffentlich gemacht worden sind. Da sei viel aus dem Zusammenhang gerissen, Ergebnisse teilweise sogar verfälscht worden, sagt der Deutsche. Facebook sei nicht per se «böse», wie er sagt. Was man dem Konzern vorhalten müsse, sei seine krasse Intransparenz.
«Wenn man erlebt, wie Facebook Daten gegen seine eigenen Leute einsetzt, ist Facebook gefährlich?», will ich abschliessend von Steenfatt wissen. «Natürlich!» sagt der Informatiker ohne dabei auch nur mit der Wimper zu zucken. Wenn die Datensätze von Facebook in die falschen Hände gerieten, so der Ex-Mitarbeiter, habe das ein Riesen-Gefahrenpotential und fügt dabei noch an: «Wenn sie es nicht schon sind».
Hinweis: Dieser Artikel wurde nachträglich mit der Stellungnahme von Meta ergänzt.