Medienhäuser und Nachrichtenagenturen, darunter Associated Press (AP), Reuters, die «Washington Post» und CNN, haben am Montag begonnen, brisante Informationen zu den sogenannten «Facebook Files» zu veröffentlichen.
Die neuen Erkenntnisse bestätigen Bedenken und Befürchtungen, die es schon nach früheren Skandalen und Enthüllungen von Whistleblowern gegeben hatte.
Die Whistleblowerin Frances Haugen, eine US-amerikanische Informatikerin und frühere Facebook-Angestellte, hat interne und vertrauliche Unterlagen des Facebook-Konzerns zusammengestellt und vor drei Wochen an den US-Kongress und die US-Börsenaufsicht (SEC) übergeben.
Sie werden in den Medien wahlweise die «Facebook Papers» oder auch die «Facebook Files» genannt.
Die Dokumente beinhalten Unternehmensrecherchen, interne Message-Board-Threads, E-Mails, Projekt-Memos, Strategiepläne und Präsentationen, die Haugen durch Fotografieren ihres PC-Bildschirms festgehalten hat.
Die Auswertungen basieren gemäss «Tages-Anzeiger» auf Nutzungsdaten, die das Unternehmen bei seinen über 3,5 Milliarden Userinnen und Usern weltweit angehäuft hat.
Ein Kongressmitarbeiter machte daraufhin einem internationalen Konsortium von Journalistinnen und Journalisten geschwärzte Versionen der Dokumente zugänglich.
Auch die Nachrichtenagentur Reuters nahm Einsicht in die geleakten Dokumente und führte zudem Gespräche mit fünf früheren Facebook-Angestellten.
Die «Facebook Files» zeigen laut den Berichten, dass die Facebook-Führung unter dem CEO Mark Zuckerberg wissentlich zu wenig gegen Hassbotschaften, Fake News und andere schädliche Inhalte auf der Plattform unternommen hat.
Eigene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter warnten die Führung des Social-Media-Konzerns während Jahren, es würde angesichts des rasanten Wachstums zu wenig gegen die Verbreitung von Hate Speech und Falschinformationen getan.
Die Führung des US-Konzerns wusste demnach auch, dass man für die Inhalte-Moderation und -Kontrolle zu wenig Mitarbeitende mit Sprachkenntnissen und Informationen über lokale Veranstaltungen, beispielsweise in Schwellenländern, beschäftigte. Das sei vor allem in von Gewaltausbrüchen besonders stark bedrohten Ländern wie Myanmar und Äthiopien gefährlich, wie ein Mitarbeiter warnte.
Aus den geleakten Dokumenten geht hervor, dass der Facebook-Führung bewusst war, dass die Systeme zur Überwachung der Inhalte nicht ihren Aufgaben gerecht wurden. Und für die User war es relativ kompliziert, umstrittene Posts zu melden, die möglicherweise gegen die Regeln verstiessen.
Zuckerberg hatte zuvor öffentlich behauptet, dass Facebook 94 Prozent der Hassbotschaften offline nehme. Die geleakten Dokumente sollen nun aber zeigen, dass tatsächlich nur maximal fünf Prozent gelöscht werden. So habe die Facebook-Führung keine organisatorischen Ansätze und wirksamen Vorkehrungen getroffen, um die illegalen Inhalte, die zur Erstürmung des Kapitols in Washington aufriefen, zu blockieren.
Inside the Facebook Papers -- @Donie on how Facebook chose not to block election lies that lead to the January 6th insurrection, despite what the social media giant says. pic.twitter.com/uJRhnOR8Ax
— Brianna Keilar (@brikeilarcnn) October 25, 2021
Zuckerberg soll auch höchstpersönlich entschieden haben, die Meinungsfreiheit in Vietnam zu unterdrücken, berichtet die «Washington Post». Facebook habe dem kommunistischen Regime in Hanoi beinahe die vollständige Kontrolle über das soziale Netzwerk überlassen, heisst es.
In der Schweiz konnten laut eigenen Angaben das Recherchedesk von Tamedia und «Das Magazin» die sogenannten «Facebook Files» studieren. Auswertungen spezifisch zur Schweiz seien nicht dabei, hiess es am Montag.
In einer Studie zu Ängsten von Teenagern im Umgang mit Instagram tauche auch ein Studienteilnehmer mit einem Post aus Basel auf, berichtet der «Tages-Anzeiger». Daten aus der Schweiz könnten «in den Auswertungen von Facebook also auch eine Rolle spielen».
Das ist offen.
Auf diesen Donnerstag hat Facebook seine Connect Conference angesetzt. Ein Online-Event, an dem das Unternehmen eigentlich neue Technologien – und vielleicht einen neuen Namen – präsentieren wird. Die Veranstaltung dürfte von den «Facebook Papers» überschattet werden. Ob sich Zuckerberg öffentlich dazu äussert, ist allerdings fraglich.
Die Whistleblowerin Haugen fordert von dem weltgrössten Social-Media-Konzern mehr Transparenz und spricht sich für eine strenge Regulierung des am Markt rund eine Billion Dollar teuren US-Technologiekonzerns aus.
Aktuell ist Facebook in mehr als 190 Ländern aktiv und Inhalte werden in mehr als 160 Sprachen veröffentlicht. Mehr als 90 Prozent der monatlich aktiven Nutzer leben ausserhalb der USA und Kanada.
(dsc/sda)