Das Web 2.0 wurde in den USA erfunden. Kein Wunder, wurde dieses #Neuland umgehend amerikanisch kolonialisiert. Dabei lautet die Devise bekanntlich: Gewaltdarstellungen sind kein Problem, nackte Haut hingegen geht gar nicht.
Deshalb war es nicht weiter verwunderlich, dass Facebook nur den erotischen Aspekt meines Bildes kritisierte und nicht die dosierte Gewaltanwendung des Mannes. Dies war Grund genug, um meinen Account drei Tage zu sperren.
Dass keine primären oder sekundären Geschlechtsmerkmale erkennbar sind, scheint nebensächlich zu sein.
Das Hauptargument zur Löschung von Bildern mit zu viel nackter Haut lautet seitens Facebook immer: Die Plattform ist auch für Minderjährige zugänglich. Anmerkung: Wer einen Account eröffnen möchte, muss mindestens 13 Jahre alt sein.
Als ob ich diese Begründung seitens Facebook erwartete, führte ich in der Diskussion zum Bild das wahrscheinliche Verhalten meiner Kinder (7 und 11 Jahre alt) ins Feld:
Leider ist der gesamte Diskurs zusammen mit dem Bild verschwunden. Den Screenshot machte ich nur, weil ich den Kommentar des potenziellen Denunzianten festhalten wollte.
Böse Zungen würden von «Stasi 2.0 Methoden» schreiben; hier mit Bezug auf ein grosses Unternehmen. Das geht mir jedoch zu weit. Meine Mutter stammt aus der ehemaligen DDR und da konnten die Konsequenzen durch denunzieren viel einschneidender sein, bis hin zu Haft und Folter.
Ich wurde nur drei Tage gesperrt. Dabei konnte ich alles sehen, jedoch nichts posten, liken und kommentieren. Das ist für einen wie mich, der zu einem grossen Teil durch seine Facebook-Aktivitäten sein Geld verdient, nicht ohne. Es ist jedoch nicht das erste mal, dass mein Account gesperrt wurde. Deshalb war ich darauf vorbereitet ;-)
Bevor ich mich zu den Aktivitäten des (potentiellen) Denunzianten äussere und dazu, weshalb ich im Titel den Hashtag #JeSuisCharlie anhängte, hier nun das Vorgehen seitens Facebook, als mein Account gesperrt wurde.
Beim Bild, das ich auf Facebook teilte, sah ich vor allem eine berechtigte Kritik: Die Bein-Fessel, an der der Mann kräftig zieht, ist sexistisch.
Abgesehen davon, dass das Frauen sehr wohl luststeigernd empfinden können - was einige in der Diskussion zum Bild herausstrichen, und auch den Erfolg von «Fifty Shades of Grey» ausmacht - wird das sexistische dadurch aufgehoben, dass der Mann unterwürfig dargestellt wird.
Es ist trotzdem bedenkenswert und diskussionswürdig.
Ohne böse Vorahnung suchte ich deshalb die Facebook-Wall des potentiellen Denunzianten auf. Überraschenderweise stiess ich dort auf diejenige Form von Sexismus, die Facebook zulässt.
Ich blockierte ihn und kam nicht umhin, sein Ansinnen kritisch zu hinterfragen. Meldete er mein Bild wirklich wegen der Nacktheit oder benutzte er es, um mir eins Auszuwischen?
Er hätte ganz einfach das Bild löschen und mich blockieren können. Dadurch hätte er nie mehr was von mir zu sehen bekommen.
Neben dem Trollen kann also auch der Melde-Button dazu benutzt werden, um missliebige Personen zu nerven. Nicht auszumalen, welche Türen der neue Button öffnet, den Facebook bald einführen wird: Das Melden von so genannten «Web-Hoax».
Was hat das Alles mit #JeSuisCharlie zu tun?
Ist es nicht ein Hohn gegenüber den Opfern des Charlie Hebdo Attentats, wenn ich meine kleine Facebook-Sperre mit einem barbarischen Terror-Anschlag auf die Redaktion einer Satire-Zeitung vergleiche?
Ja und Nein.
Ja, weil ich weiter oben bereits den Vergleich zwischen dem Denunziantentum auf Facebook mit «Stasi 2.0» zu überzogen fand.
Nein, weil wir uns in unserem Alltag viel öfters die Frage stellen sollten, wo unsere Meinungsfreiheit beschnitten wird. Nicht selten geschieht es sehr subtil und meistens haben wir uns sogar bestens mit unserer Schere im Kopf arrangiert.
Es stellt sich also die Frage, weshalb zwar die Gefühle eines Moslems verletzt werden dürfen - sogar Mark Zuckerberg schrieb #JeSuisCharlie - aber nicht von denen, die zuviel nackte Haut stört.
Vor drei Wochen verkündete Zuckerberg #JesuisCharlie jetzt sperrt #Facebook Mohammed-Karikaturen - http://t.co/CLActcCWlY via @watson_news
— Gary (@ghswitzerland) 28. Januar 2015
Bekanntlich war der #JeSuisCharlie-Chor sehr vielstimmig und oft ziemlich verlogen. Das zeigt gerade auch dieses Beispiel.
Wenn wir aus #JeSuisCharlie eine Lehre ziehen sollten, dann diese: Wir sollten uns viel öfters darauf achten, wo wer durch wen in seiner Meinungsfreiheit beschnitten wird.
Das ist zwar anstrengend, aber es wäre viel differenzierter, als zu gegebenem Anlass einfach mal die mediale Bühne zu betreten und scheinheilig #JeSuisCharlie zu sagen.