Einst die Stadt der Hippies, ist San Francisco in den letzten Jahren zur Stadt der Zukunftstechnologien geworden. Die Metropole beherbergt Firmen wie Uber oder Airbnb, und im nahe liegenden Silicon Valley haben Riesen wie Apple und der Google-Mutterkonzern Alphabet ihren Sitz.
Letzter tüftelt seit längerem an der Zukunft der Mobilität. Die Tochterfirma Waymo setzt auf autonome Taxi-Autos. Seit 2021 sind sie in San Francisco unterwegs. Wer sie nutzen will, musste bis vor kurzem die App runterladen und sich auf eine Warteliste setzen lassen.
«Ich musste etwa zwei Monate warten, bis mein App-Zugang freigeschaltet wurde», sagt meine Verwandte bei meinem Ferienbesuch in San Francisco vor kurzem. Sie lebt und arbeitet in der Stadt, die bekannt ist für ihre Gefängnisinsel Alcatraz, die Golden Gate Bridge und die Cable Cars.
Normalerweise ist meine Verwandte zu Fuss unterwegs, nimmt den Bus oder bestellt sich ein Uber. «Die Waymo-Taxis habe ich mir nun aber auch ein paarmal benutzt, obwohl sie teurer sind», sagt sie. Die futuristische Faszination hat nun mal ihren Preis.
Natürlich will auch ich das Gefährt testen. Wir sind am Pier 39, dem Touristen-Hotspot im Norden der Stadt mit Sicht auf die Bucht. Die Bestellung funktioniert wie bei Uber ganz einfach über die App. Wartezeit in unserem Fall: 8 Minuten. Wir begeben uns zum definierten Treffpunkt.
Auch Amazon mit Zoox und General Motors mit Cruise verfolgen Pläne für autonome Autos. Allerdings bleibt die Zulassung und Regulierung in den Städten eine Herausforderung – auch, weil es immer wieder zu Pannen kommt.
Anfang Mai gaben die US-Behörden den Start einer Untersuchung bekannt aufgrund von 22 gemeldeten Zwischenfällen mit den Google-Robotertaxis, bei denen es potenziell zu Verkehrsregelverstössen kam. 17 davon endeten in Kollisionen.
Schon von weit her sehen wir das Auto der Marke Jaguar. Alle Waymo-Taxis sind weiss und haben ein schwarzes, rotierendes Zylinder-Gehäuse auf dem Dach montiert. An allen vier Ecken sind schwarze Sensoren und Kameras montiert. Dass es sich um das eigene bestellte Gefährt handelt, ist auch klar. Denn auf dem Dachgehäuse werden die Initialen meiner Verwandten elektronisch eingeblendet.
Einem heranfahrenden Bus-Chauffeur ist das geparkte Taxi ein Dorn im Auge, und er beginnt zu hupen, was angesichts des menschenleeren Autos bizarr anmutet.
Die Türen müssen wir selbst öffnen und nehmen Platz. Auf dem Touchscreen am Armaturenbrett werden wir mit Namen willkommen geheissen. Wir tippen auf das Feld, auf dem «Start Ride» (Deutsch: «beginne Fahrt») steht und hören, wie sich die Türen automatisch verschliessen. Wir sind eingesperrt – los geht's!
Der Ausdruck «wie von Geisterhand» beim Blick auf das sich nach links und rechts drehende Steuerrad könnte kaum treffender sein. «Bitte halten Sie Ihre Hände vom Steuerrad fern», steht als Warnhinweis darauf, damit man dem Spuk nicht dazwischen greift. Und: «Der Waymo-Fahrer hat ständig alles unter Kontrolle.» Stimmt allerdings nicht, wie sich später zeigen soll.
In den Strassen von San Francisco herrscht normaler Verkehr. Die Blicke der Passanten sind uns sicher. Etwa so müssen sich die ersten Besitzer von Autos Anfang des 20. Jahrhunderts gefühlt haben – man ist eine Kuriosität.
Mitte Juni – nach der Häufung der gemeldeten Zwischenfälle – äusserte die US-Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA ihre Besorgnis darüber, dass die Waymo-Fahrzeuge «ein solch unerwartetes Fahrverhalten an den Tag legen, welches das Risiko von Unfällen, Sachschäden und Verletzungen erhöhen könnte.» Zudem hätten sich eine Reihe von Vorfällen in der Nähe von Fussgängern und anderen Verkehrsteilnehmenden ereignet.
Bereits im Februar sah sich Waymo in Arizona gezwungen, 444 Fahrzeuge nach zwei kleinen Kollisionen temporär aus dem Verkehr zu ziehen. Zudem schaut sich die Behörde auch die Roboterautos von Amazon und General Motors an.
Die Fahrt ist ruhiger als der eigene Puls. Die Anspannung bei uns steigt insbesondere bei einer äusserst steilen Strasse, wie es sie in San Francisco so oft gibt. «Hoffentlich rollen wir nicht plötzlich rückwärts», sagt meine Verwandte halb scherz-, halb ernsthaft.
Doch wir kommen auf der oberen, etwas ebeneren Strasse problemlos an, wo die Fahrt weitergeht. Auf dem Digital-Bildschirm sehen wir alle Bewegungen in der unmittelbaren Umgebung: Jogger, Autos, Cable Cars, Fahrräder. Teils werden sie auch schon hinter den Häusern erkannt und angezeigt. Und je nach Nähe bremst das Auto ab, um genügend Abstand einzuhalten.
Alles so weit, so gut. Wir beginnen uns wohlzufühlen in diesem futuristischen Taxi. Doch dann geschieht es. Die automatisch definierte Route schlägt ein Abbiegen nach rechts vor. Aber Moment, da steht ein deutliches Warnschild: «under construction» – die Strasse ist eine Baustelle! Doch der unsichtbare Waymo-Chauffeur sieht es nicht und fährt unbeirrt in die Strasse.
Die Nervosität ist zurück – nein, es herrscht eine leichte Panik im Auto. Zumindest bei den Passagieren aus Fleisch und Blut. Plötzlich wird es holprig, denn die Strasse ist noch nicht fertig. Das wissen auch die Bauarbeiter, die uns verdutzt anschauen. Wir verwerfen die Hände, um non-verbal zu kommunizieren: Hilfe, wir können nichts tun! Da beginnen auch die Bauarbeiter ihre Hände zu verwerfen – und zu lachen. Möglicherweise ist es ja nicht der erste Besuch eines Waymo-Taxis auf ihrer Baustelle.
Nach einem Block ist die gesperrte Strasse passiert. Das Auto und wir sind heil durchgekommen. Es bleibt ein kleiner Schock. Bei der Ankunft am Zielort kontaktieren wir das Waymo-Callcenter über den Bildschirm und weisen die Angestellte am anderen Ende des Hörers auf unsere abenteuerliche Fahrt hin. Sie entschuldigt sich und sagt, sie werde die entsprechende Strasse im System als gesperrt markieren.
Wenige Tage später – Ende Juni – gibt Waymo bekannt, dass die selbstfahrenden Taxis nun für alle buchbar sind. Die Wartelisten, auf die sich seit der Lancierung laut Reuters 300'000 Menschen setzen liessen, gibt es nicht mehr. So wie auch schon in Phoenix, Arizona.
Trotz der Meldungen zu den Kollisionen und Untersuchungen bleibt der persönliche Eindruck, dass in einigen Jahren in vielen Städten der Fahrersitz leer sein dürfte. Denn die Technologie wird mit jeder Fahrt besser und sicherer, die künstliche Intelligenz lernt dazu. Irgendwann fallen nicht nur die Personal-, sondern auch die teuren Entwicklungskosten weg. Und: So manche Frau dürfte spätabends lieber zu einem unsichtbaren Roboter als zu einem fremden Mann ins Taxi steigen.
Bis dieses Zukunftsszenario eintrifft, werden aber wohl noch weitere Passagiere Rumpelfahrten in San Francisco erleben so wie wir.
(aargauerzeitung.ch)
Da kommt mir grad so spontan die Szene im Film "Total Recall" in den Sinn, wo Arnold Schwarzenegger seinen Silicon Chauffeur kurzerhand aus dem Taxi reisst, um selber das Taxi zu steuern!
😂 😂 😂 😂 😂
Ausserdem fahren auch Menschen mit dem Auto durch gesperrte Strassen🤷♂️