Die Erwartungen sind gross: Der neue BMW iX3, der auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in München Premiere feiert, soll nicht nur ein weiteres Modell sein, sondern eine ganze Generation einläuten.
Er ist das erste Fahrzeug, das auf der sogenannten «Neuen Klasse» basiert – einer vollständig neuen Architektur, die BMW-Technik, Software und Nachhaltigkeitsstrategie auf ein neues Niveau bringen soll.
Dass es dabei nicht nur um ein Auto geht, sondern auch um das Unternehmen selbst, machen die Verantwortlichen unmissverständlich klar.
BMW-Produktionsvorstand Milan Nedeljković nennt das Projekt eine «Once in a Lifetime Opportunity» (eine einmalige Gelegenheit im Leben) – und spricht vom grössten Umbau in der Unternehmensgeschichte: neue Batteriezellen, neue Werke, neue Softwarestrukturen. Der iX3 sei «nicht einfach nur ein weiteres Auto, sondern der Auftakt einer neuen Ära».
Denn wie auch andere deutsche Autohersteller steht BMW unter Druck: Im zweiten Quartal brach der Nettogewinn um 32 Prozent auf 1,84 Milliarden Euro ein. Der Umsatz schrumpfte um acht Prozent auf 34 Milliarden Euro. Im ersten Halbjahr waren es vier Milliarden Euro Gewinn, fast 30 Prozent weniger als im Vorjahr. Schuld daran sind hohe US-Importzölle und die schwache Nachfrage aus China. Bis 2027 wird deshalb fast die gesamte Palette an BMW-Fahrzeugen erneuert.
Was die «Neue Klasse» so besonders macht, zeigt sich an vielen Stellen – und nicht immer auf den ersten Blick. Der wichtigste Unterschied: Diese Plattform wurde ausschliesslich für Elektrofahrzeuge entwickelt. Kein Mischbau, keine Kompromisse, keine Verbrenner im selben Kleid. Der flache Unterboden erlaubt einen grosszügigen Radstand (2,90 Meter), eine gleichmässige Gewichtsverteilung und mehr Platz im Innenraum. Der BMW iX3 macht davon sichtbar Gebrauch.
Auch beim elektrischen Herzstück geht BMW aufs Ganze:
Gleichzeitig denkt BMW den Stromfluss in beide Richtungen: Der iX3 ist vorbereitet für bidirektionales Laden. Er kann Strom nicht nur aufnehmen, sondern auch wieder abgeben – etwa ans Hausnetz oder zur Stabilisierung des Stromnetzes.
Dazu gehört auch der neue «Energy Master», eine in Deutschland entwickelte Steuereinheit, die Hoch- und Niedervoltsysteme koordiniert – und auch die Kompatibilität zu 400-Volt-Säulen sicherstellt.
«Mehr BMW als je zuvor» – so beschreibt Designchef Oliver Heitmer die neue Linie. Tatsächlich wirkt der iX3 aufgeräumter und klarer als bisherige X-Modelle. Chrom hat weitgehend ausgedient, ersetzt durch Lichtinszenierungen, etwa an den vertikal angeordneten Nieren.
Anders als viele Wettbewerber verzichtet BMW bewusst auf das obligatorische Leuchtenband am Heck – ein kleines, aber auffälliges Alleinstellungsmerkmal. Die Proportionen bleiben klassisch: 4,78 Meter Länge, breite Schultern, eine klare Zweibox-Form. Und doch signalisiert das reduzierte Design einen Bruch mit der Vergangenheit.
Innen dominiert Licht statt Zierrat. Die Stoffbespannungen auf dem Armaturenträger sind hinterleuchtet, die Linienführung schafft ein luftiges, beinahe wohnliches Ambiente. Schon die helle Stoffausstattung des Showcars zeigte, wie sehr BMW auf diese Wirkung setzt.
Wie oft die hellen Stoffe von den Kunden bestellt werden – man darf gespannt sein. Praktisch gedacht ist die Kofferraumabdeckung: Sie verschwindet elegant unter dem Ladeboden. Weniger praktisch: Die Rückbanklehne lässt sich nur vom Innenraum aus umklappen – im Kofferraum gibt es keinen Hebel zur Fernentriegelung.
Die grösste Veränderung zeigt sich aber im Cockpit, denn hier hat BMW kräftig aufgeräumt. Das sogenannte Panoramic Drive ist kein klassisches Display, sondern eine schmale, schwarze Leiste von 110 mal 5 Zentimetern, in die Fahrdaten und frei wählbare Kacheln projiziert werden. Links Geschwindigkeit und Reichweite, daneben Platz für bis zu sechs Funktionen – etwa Navigation, Entertainment oder den Assistenten, der sich bei Bedarf auch ausblenden lässt. Ein Tachodisplay hinter dem Lenkrad gibt es in dieser Form nicht mehr.
Das zentrale 17,9-Zoll-Display daneben folgt einer klaren Logik: möglichst nah am Lenkrad, um kurze Wege für den Fahrer zu ermöglichen. Dazu kommt noch ein Head-up-Display, damit die Augen möglichst auf der Strasse bleiben.
Dann allerdings das: Die Klimaanlage wird ausschliesslich über das Display bedient (oder auch per Sprachsteuerung), ebenso die Ausrichtung der Luftausströmer. Immerhin bleibt die Lautstärke als klassische Walze erhalten – ein kleiner Anker in der analogen Welt.
Die Bedienlogik erinnert an ein Smartphone: Langes Drücken öffnet die Personalisierung, Apps können verschoben oder Routinen programmiert werden. «Wenn ich losfahre, Tempowarner aus, Sportmodus an» – solche Abläufe lassen sich individuell festlegen. Dazu kommt eine deutlich verbesserte Sprachsteuerung, die natürliche Sätze versteht.
Am Lenkrad konzentriert BMW die wichtigsten Funktionen auf wenige Tasten – statt vieler kleiner Knöpfe gibt es eine Einknopf-Bedienung, die je nach Kontext mehrere Aufgaben steuern kann. Damit soll der Fahrer weniger abgelenkt werden, gleichzeitig bleibt aber eine haptische Rückmeldung erhalten, die bei reiner Touch-Bedienung fehlen würde. Wie gut das funktioniert, wird sich in der Praxis zeigen müssen.
So viel Hightech wirft aber auch Fragen auf. Was heute flüssig und intuitiv wirkt, muss auch in fünf oder zehn Jahren noch zuverlässig laufen – bei Smartphones ist das bekanntermassen nicht immer der Fall. BMW verspricht regelmässige Over-the-Air-Updates, doch wie lange die Performance auf diesem Niveau bleibt, wird sich zeigen müssen.
Eine Revolution soll auch beim Fahren spürbar sein und dabei helfen soll ein neues System. BMW nennt es das «Heart of Joy» – ein zentrales Steuergerät, das Antrieb, Lenkung, Bremse und Rekuperation bündelt. Die Idee dahinter: Statt viele Systeme miteinander arbeiten zu lassen, übernimmt eine einzige Instanz die Kontrolle. Das spart Rechenzeit und soll für schnellere, flüssigere Abläufe sorgen. Beim Verzögern etwa bremst zuerst der Elektromotor, die mechanische Bremse greift nur noch, wenn es wirklich nötig ist. BMW verpricht als Ergebnis weichere Übergänge und ein natürlicheres Fahrgefühl.
Unter der Haube arbeitet eine für BMW neue Kombination: vorn ein Asynchronmotor, hinten ein fremderregter Synchronmotor. Gemeinsam leisten sie 470 PS und liefern 645 Newtonmeter Drehmoment. Der iX3 beschleunigt damit in 4,9 Sekunden auf Tempo 100 und erreicht 210 km/h Spitze. Laut BMW sind die Motoren nicht nur kräftiger, sondern auch effizienter: 40 Prozent weniger Reibungsverluste, zehn Prozent weniger Gewicht.
Parallel dazu arbeiten die «Superbrains» für automatisiertes Fahren und Assistenz. Neu ist das Konzept des kooperativen Bremsens: Tritt der Fahrer leicht aufs Pedal, schaltet sich das Assistenzsystem nicht mehr einfach ab, sondern unterstützt die Bremsung. Beim Überholen eines Lkw lässt sich die Spur leicht über die Markierung hinaus anpeilen, ohne dass das System sofort zurückdrängt. Das Ziel: Unterstützung, aber keine Bevormundung.
Vier zentrale Hochleistungsrechner steuern künftig alle grossen Bereiche: Fahrdynamik, Assistenz, Infotainment und Komfort. Damit wird der iX3 zum «softwaredefinierten Fahrzeug» – ein rollender Computer, der per Over-the-Air-Update erweitert werden kann.
Der iX3 soll nicht nur ein Technologieträger sein, sondern auch ein Symbol für BMWs Nachhaltigkeitsstrategie. Ein Drittel der eingesetzten Materialien stammt bereits aus Sekundärrohstoffen. Besonders sichtbar ist das im Innenraum: Sitzbezüge, Vlies und Kleber bestehen aus recyceltem PET, pro Fahrzeug sind es rund 240 Plastikflaschen. Hinzu kommen Kunststoffteile, die aus alten Fischernetzen und Plastik aus dem Meer gefertigt werden – etwa im Frunk, dem Fach unter der Fronthaube.
In der Produktion verursacht der iX3 mehr CO₂-Emissionen als ein vergleichbarer Verbrenner – rund 13,5 Tonnen gegenüber 9,9 Tonnen. Vor allem die Batterie spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Doch nach rund 20'000 Kilometern ist der Nachteil ausgeglichen, heisst es von BMW. Bei aktuell verfügbaren E-Autos sind es im Schnitt rund 25'000 bis 30'000 Kilometer, heisst es in der Lebenszyklusanalyse LCA, über die der ADAC berichtet.
Nach diesem Punkt spielt der Elektro-SUV seine Stärken aus: Über den Lebenszyklus (200'000 km) kommt der iX3 laut BMW auf 14,6 Tonnen CO₂ bei Grünstrom, 23 Tonnen beim EU-Strommix. Ein Verbrenner derselben Klasse liegt mit 52,8 Tonnen deutlich darüber.
Auch die Produktion selbst soll ein Statement sein: Im ungarischen Debrecen entsteht die weltweit erste BMW-Fabrik, die im Regelbetrieb ohne fossile Brennstoffe auskommt. Dort startet Ende 2025 die Serienfertigung. Von dort aus sollen alle weiteren Modelle der «Neuen Klasse» versorgt werden – rund 40 Fahrzeuge bis 2027.
Noch müssen sich Interessierte etwas gedulden: Bestellungen für den neuen iX3 sollen Ende September 2025 möglich sein, die ersten Fahrzeuge rollen im März 2026 zu den Händlern. Zum Start gibt es den iX3 50 xDrive mit Allradantrieb, 470 PS und grosser Batterie. Preis: ab 68'900 Euro. Die Reichweite liegt je nach Ausstattung bei bis zu 805 Kilometern.
Später soll eine Version mit kleinerem Akku folgen – und damit auch mit niedrigerem Einstiegspreis. Rund 60'000 Euro (knapp 56'000 Fr.) peilt BMW dafür an. Selbst diese Basisvariante soll mehr Reichweite bieten als der bisherige iX3, der bei rund 470 Kilometern endete.
Ist der iX3 also der grosse Sprung? Nüchtern betrachtet ist er ein typisches SUV. Aber er zeigt, dass man die deutsche Autoindustrie nicht abschreiben sollte. Und die entscheidenden Neuerungen liegen tiefer: im 800-Volt-Bordnetz, im Heart of Joy, in der neuen Softwarearchitektur und in der Art, wie BMW Nachhaltigkeit denkt.
Besonders bemerkenswert: Viele der Softwarelösungen wurden in Deutschland entwickelt, zentrale Teile des Antriebs entstehen in Europa. Technisch holen die Bayern auf – und die «Neue Klasse» verspricht, diese Fortschritte bald in vielen weiteren Modellen sichtbar zu machen. Als nächstes Modell der «Neuen Klasse» wird es eine Limousine im Format des 3ers geben, eine Studie wurde bereits gezeigt.
Ob das reicht, um mit den innovationsstarken Wettbewerbern aus China Schritt zu halten, bleibt offen. Am Ende entscheiden die Käufer, ob sie den Münchnern diesen Aufbruch abnehmen. Doch eines ist sicher: BMW zeigt mit dem iX3, dass der Mut zum Neuanfang noch da ist.
(t-online/dsc)