«Hellblade: Senua’s Sacrifice» hat uns 2017 tief beeindruckt. Der private Rachefeldzug einer blutrünstigen Kriegerin war brutal und von einer Wucht geprägt, die wir staunend und ehrfürchtig vor dem Bildschirm erleben durften.
Um die Immersion noch zu verdichten, wurden wir mit Psychosen der Protagonistin konfrontiert, die dafür sorgten, dass die keltische Kriegerin auf ihrem Feldzug durchgehend mit Stress konfrontiert wurde. Senua hörte Stimmen, hatte Wahnvorstellungen, Halluzinationen und schien immer wie mehr den Verstand zu verlieren.
Diesen Leidensweg als Spielende zu begleiten war eine intensive Erfahrung, die noch lange nachhallte. Eine Fortsetzung wurde schon lange vom Entwickler-Team Ninja Theory angekündigt und die Erwartungen in der Videospielgemeinschaft wurden zuletzt grösser und grösser. Nun ist die Fortsetzung da und hinterlässt zwiespältige Gefühle.
Was genau im ersten Teil geschah, wollen wir hier nicht gross verraten. «Hellblade 2» kann zwar durchaus ohne Kenntnisse des Vorgängers gespielt werden und für sich alleine stehen, verliert dann aber doch ein ganz grosses Stück an Substanz.
Denn Senua hat im ersten Teil einen Wandel durchgemacht, der sich direkt auf die Fortsetzung auswirkt und den man schon erlebt haben müsste, um ihre Entscheidungen richtig nachvollziehen zu können. Wer dennoch kalt mit «Hellblade 2» in die Welt der Nordmänner einsteigen möchte, der bekommt zu Beginn des Spiels eine Zusammenfassung spendiert.
Senua verschlägt es in «Hellblade 2» in ein Gebiet, wo sie sogleich beginnt ihren Durst nach Rache weiter zu stillen. Denn auch wenn sie im Vorgänger eine Entwicklung durchgemacht hat, zückt sie immer noch schnell ihre Klinge, um den Peinigern ihrer Vergangenheit Schmerzen zuzuführen.
So schnetzelt sich Senua durch das neu entdeckte Land und wird dabei immer noch von ihren Psychosen geplagt. Die Stimmen kommentieren das Geschehen, stellen Fragen, mahnen zur Vorsicht und sähen Unsicherheit. War der letzte Gegner nur eine Wahnvorstellung oder hat sie ihn wirklich getötet? War es nur eine Maske vor dem Gesicht oder hat sie tatsächlich gegen scheussliche Monster gekämpft? Die Unsicherheit ist gross und überträgt sich wie schon beim Vorgänger gekonnt auf die Spielenden.
Ihr Rachefeldzug wird aber abrupt unterbrochen, als sie Bekanntschaft mit einem Krieger macht, der dafür sorgt, dass sie sich neugierig auf den Weg ins innere des Landes macht und dabei immer mehr mit Legenden und Mythen konfrontiert wird, die aufgelöst werden wollen. Denn die Menschen werden angeblich von einer Urgewalt bedroht, die wir erst glauben können, wenn wir sie selbst vor die Augen bekommen.
Doch auch hier drückt sich die Unsicherheit in den Vordergrund: Was ist wahr und was spielt sich nur in Senuas Kopf ab? So oder so, sie will die Tyrannei beenden und geht dabei nicht nur unheilvolle Allianzen ein, sondern steigt auch erneut immer tiefer in ihre eigene Seele hinab, die vor lauter Angstattacken zu zersprengen droht.
«Hellblade 2» macht in den ersten Minuten schnell klar, was wir in den kommenden knapp acht Stunden erwarten dürfen: Eine inszenatorische Wucht, die uns mit grossen Augen und mit geöffnetem Mund zurücklässt und die Unsicherheit mitschickt, dass wir dem Gesehenen nicht immer trauen können. Zusätzlich wird uns aufgezeigt, dass diese Fortsetzung genauso düster und dreckig wie der Vorgänger ist und den Gewaltgrad sanft, aber bestimmend nach oben schraubt. Es wird geschrien, geblutet und getötet, wie es sich für ein übertriebenes Sinnbild des damaligen rauen Nordens nun mal gehört.
Doch auch die ruhigen Momente sind mit von der Partie und lassen uns durch die wunderschöne Natur wandern, die mit dramaturgischem Sonnenlicht wahnsinnig gut in Szene gesetzt wurde. Was die Machenden hier auf den Bildschirm gezaubert haben, ist ganz grosse Technik-Kunst. Immer wieder bleiben wir stehen und betrachten die raue Landschaft und das unruhige Wetter. Wir können uns zwar oft nicht frei bewegen, weil wir uns in ziemlich engen Schlauchlevels befinden, aber die fantastische Aussicht lässt uns diese nicht vorhandene Freiheit schnell vergessen.
«Hellblade 2» ist audiovisuell ein beeindruckendes Spiel geworden. Jeder Abschnitt scheint seine eigene Seele zu besitzen und gespannt wartet man darauf, an welchem Schauplatz die Geschichte weitergehen wird. Sphärische Musik und milde Untertöne unterstreichen die fast schon romantische Stimmung, können aber in hektischen Situationen und Kampfhandlungen für die nötigen dramatischen Klänge sorgen.
Die Stimmen in Senuas Kopf sind zwar meistens ebenso präsent und sorgen schon mal für Verwirrung und auch Überforderung beim Zuhören, doch in wichtigen Momenten der Ruhe ziehen sie sich auch mal zurück und lassen die Szenerie wirken.
Auch wenn «Hellblade 2» inszenatorisch in der obersten Liga spielt, ist die Fortsetzung spieltechnisch schwach unterwegs. Die Spielenden werden in ein ganz enges Korsett gesteckt, wo die Interaktion kaum Luft bekommt. Die einzelnen Abschnitte sehen zwar alle wunderschön aus, sind aber ganz enge Schlauchlevels, die uns an beiden Händen nehmen.
Hin und wieder dürfen wir bei Umgebungsrätseln unseren Verstand benutzen und in kleinen Arealen herumlaufen, bis wir endlich das Rätsel knacken können. Selbst bei den Kämpfen sind wir in einer Mini-Arena gefangen und bestreiten diese immer nach demselben Muster: Abwarten, ausweichen und angreifen. Auch hier: Das sieht alles verdammt gut aus und fühlt sich wuchtig an, ist aber spielerisch keine Herausforderung geworden.
Fazit: Nachdem der Abspann über den Bildschirm flimmerte, war ich zwiegespalten: Einerseits war ich von der inszenatorischen Wucht komplett begeistert, andererseits war ich auch froh, dass diese Reise vorbei war.
Die wuchtigen Kämpfe waren allesamt so gut inszeniert und zogen mich derart tief hinein, dass ich komplett vergas, dass der interaktive Part auf ein Minimum reduziert wurde. Auch das Herumspazieren in der rauen Landschaft war stets ein audiovisueller Genuss, obwohl ich dort kaum interagieren konnte.
Ja, spielerisch hat dieses Spiel nicht viel zu bieten, punktet dafür aber mit Inhalt. Wir erleben die Qualen von Senua hautnah und leiden mit ihr mit, wenn sie voller Angst immer tiefer in eine dunkle Höhle oder in ihre Seelenwelt hinabsteigen muss.
Auch wenn dieses Videospiel nur marginale Interaktionen bietet und sich hauptsächlich auf seine Geschichte und deren audiovisuelle Umsetzung konzentriert und sich blind darauf verlässt, bietet «Hellblade 2» eine Erfahrung, die man erlebt haben sollte.
«Senua’s Saga: Hellblade 2» ist erhältlich für Xbox Series X/S, Xbox Game Pass und PC. Freigegeben ab 18 Jahren.