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Protonmail: Schweizer Firma gewinnt Erfinder des Internets als Berater

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Tim Berners-Lee, Begründer des WWW, an einem früheren Event am Nuklearforschungs-Zentrum CERN in der Nähe von Genf. Nun unterstützt der um ein sicheres Internet bemühte und weltberühmte Computerwissenschaftler die Proton Technologies AG in Genf. archivBild: keystone

Der Erfinder des World Wide Web unterstützt die kleine Schweizer Firma hinter Protonmail

Just zum Zeitpunkt, an dem die Protonmail-Erfinder mit einem Image-Schaden zu kämpfen haben, können sie einen veritablen PR-Coup landen.
09.09.2021, 10:5810.09.2021, 07:32
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Die Firma Proton, bekannt für ihren verschlüsselten Webmail-Dienst Protonmail, hat einen äusserst prominenten Unterstützer gewonnen: Tim Berners-Lee, Erfinder der Programmiersprache HTML und Begründer des World Wide Web.

Der 66-jährige britische Physiker und Informatiker heuert bei der Proton Technologies AG als Berater an, wie das in Genf ansässige Unternehmen am Mittwoch bekannt gab.

Im Firmenblog heisst es:

«Unsere Vision ist es, ein Internet aufzubauen, in dem Datenschutz die Standardeinstellung ist, indem wir ein Ökosystem von Diensten schaffen, das für jeden, überall und jeden Tag zugänglich ist. Dies ist der Antrieb für alles, was wir tun, von der Entwicklung transparenter und verschlüsselter Dienste bis hin zu unserem Eintreten für bessere Datenschutzgesetze.»

Und Berners-Lee wird mit den Worten zitiert:

«Ich bin ein überzeugter Befürworter des Datenschutzes, und die Werte von Proton, den Menschen die Kontrolle über ihre Daten zu geben, sind eng mit meiner Vision des Webs in vollem Umfang verbunden.»

Heftige, teilweise berechtigte Kritik

Die prominente Unterstützung kommt für die Proton-Gründer um den Geschäftsführer Andy Yen (33) genau richtig: Sie sind mit ihrem dank Ende-zu-Ende-Verschlüsselung abhörsicheren Dienst Protonmail unter Beschuss geraten.

Dies, weil das Unternehmen im Zuge eines Strafverfahrens Internet-Metadaten eines Users an die Ermittlungsbehörden aushändigen musste. Auf Begehren von Europol.

Dabei geht es nicht um die Aufklärung von Kapitalverbrechen, sondern um Klimaaktivisten, die bei Hausbesetzungen mutmasslich kleinere Delikte begangen haben wie Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung und Diebstahl.

Andy Yen, CEO und Mitgründer von Proton Technologies AG, Genf.
Andy Yen, Proton-Geschäftsführer und Aktivist gegen den US-dominierten Überwachungskapitalismus.archivBild: Wikimedia Commons (CC BY 3.0)

Es sei bedauerlich, dass juristische Mittel, die für ernste Verbrechen geschaffen wurden, auf diese Art eingesetzt würden, liess Proton-Chef Yen via Twitter verlauten. Doch da war der Image-Schaden bereits angerichtet: Bis hinüber in die USA sorgte der Fall für negative Schlagzeilen.

Seine Firma sei nach Schweizer Recht gezwungen gewesen, die geforderten Informationen (IP-Adressen, von denen der Zugriff auf den Webmail-Dienst erfolgte, sowie weitere technische Angaben) zu erheben und herauszugeben, verteidigte sich der Proton-Chef. Es sei nicht möglich gewesen, sich dagegen juristisch zu wehren. Tatsächlich hatte das Unternehmen aber mit Werbeversprechen auf der eigenen Website falsche Erwartungen geweckt – und korrigierte dies später.

Weiter betonen die Verantwortlichen, dass sich die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung unter keinen Umständen umgehen lasse. Das heisst, E-Mails und Anhänge könnten auch auf richterliche Anordnung hin nicht eingesehen werden.

Transparenz und Darknet

Gemäss dem eigenen jährlichen Transparenz-Report hat die Proton Technologies AG allein im Jahr 2020 mehrere tausend Anfragen erhalten, hauptsächlich von Schweizer Behörden. In 750 Fällen wehrte sich die Firma vor Gericht.

Neu soll auf der Protonmail-Website transparent gemacht werden, welche Verpflichtungen das Unternehmen nach Schweizer Recht gegenüber Strafverfolgungsbehörden hat. Nutzerinnen und Nutzern, die bei der Verwendung ihres abhörsicheren Protonmail-Kontos anonym bleiben wollen, rät das Unternehmen zur Verwendung des Tor-Browsers. Wer über das Darknet zugreift, muss nicht damit rechnen, dass die IP-Adresse zum Provider zurückverfolgt werden kann.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass auch die Verwendung eines (kostenlosen) VPN-Dienstes vor einer Herausgabe von Metadaten an die Ermittlungsbehörden geschützt hätte: Bekanntlich bietet Proton einen solchen Anonymisierungs-Dienst ebenfalls an. Name: ProtonVPN.

Da das Schweizer Recht E-Mail und VPN unterschiedlich behandle, könne seine Firma nicht gezwungen werden, ProtonVPN-Benutzerdaten zu protokollieren, sagte Yen.

Kampf gegen Giganten

Der Proton-Chef hat sich in der Vergangenheit wiederholt gegen den «Überwachungskapitalismus» ausgesprochen, wie ihn Google und andere US-Techkonzerne umsetzen. Und diesem Kampf wird er sich auch in Zukunft widmen.

Seit 2014 versucht Proton gegen die übermächtigen Konkurrenten zu bestehen. Dabei musste sich das Start-up auch mit dem App-Store-Betreiber Apple anlegen und dessen höchst umstrittene Vorgaben für Dritt-Apps attackieren.

2018 stellt Apple Proton vor die Wahl: Entweder die Protonmail-App fürs iPhone (iOS) werde so umprogrammiert, dass sie auch In-App-Käufe erlaube, oder sie werde aus dem App-Store verbannt. Apple wollte also mitverdienen.

«Konzerne wie Apple und Google haben die Macht über Leben und Tod von praktisch jedem Tech-Unternehmen, uns eingeschlossen.»
Andy Yen, Proton Technologies

PS: Proton und Tim Berners-Lee haben eine historische Verbindung, wie der Journalist Michael Grothaus für Fast Company schreibt. «Proton wurde 2014 von Wissenschaftlern gegründet, die sich bei der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN) trafen. CERN ist zufällig die Organisation, für die Berners-Lee arbeitete, als er 1989 zum ersten Mal sein Projekt vorschlug, ein Projekt, das zu dem öffentlichen Internet führen würde, das wir heute kennen.»

Im Firmenblog heisst es nun denn auch:

«Als Sir Tim das World Wide Web erfand, schuf er ein neues Medium, über das sich Menschen miteinander verbinden konnten. Es hat die Welt verändert. Wir haben ein ähnlich kühnes Ziel: Wir wollen ein Internet schaffen, in dem Menschen jederzeit die Kontrolle über ihre Informationen haben. Dies macht Sir Tim einzigartig geeignet, um Proton zu verstehen und uns zu beraten, wenn wir versuchen, diese ehrgeizige Vision zu verwirklichen.»
quelle: protonmail.com

Laut Proton haben sich bislang 50 Millionen Menschen weltweit als Nutzerinnen und Nutzer registriert.

Wir wollen präzis bleiben: Tim Berners-Lee (links) ist der Erfinder von HTML und damit der Begründer des World Wide Web. Der Mann neben ihm, Vint Cerf, wird zusammen mit anderen als «Vater des Interne ...
Wir wollen präzis bleiben: Tim Berners-Lee (links) ist der Erfinder von HTML und damit der Begründer des World Wide Web. Der Mann neben ihm, Vint Cerf, wird zusammen mit anderen als «Vater des Internets» bezeichnet, sie entwickelten das technische Protokoll TCP/IP.screenshot: reddit.com

Quellen

Wenn das Internet ein Mensch wäre – in 10 fiesen Situationen

Video: watson/Madeleine Sigrist, Emily Engkent, Knackeboul
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11 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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kuhrix
09.09.2021 11:55registriert Juni 2014
Französische Behörden missbrauchen Anti-Terror-Gesetze für die Verfolgung von Klimaaktvisten und die Schweizer Behörden leisten Beihilfe. Hier liegt doch der eigentliche Skandal.
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Tesla plant Massenentlassung – angeblich trifft es jeden 10. Angestellten
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