Reformierte Kirche gibt Studie zu internem Missbrauch in Auftrag
Die evangelisch-reformierte Kirche der Schweiz lässt mit einer wissenschaftlichen Studie sexuellen und spirituellen Missbrauch in ihren Reihen aufarbeiten. Das Kirchenparlament hat am Montag den Kirchenrat beauftragt, eine solche Studie durchführen zu lassen.
Die Synode bewilligte für dieses Projekt ein Kostendach von 250'000 Franken. Das sagte der Mediensprecher der evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS), Stephan Jütte, am Montag am Rand der Herbsttagung der Kirchensynode der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Einstimmig sprachen sich die Mitglieder des Kirchenparlaments laut Jütte für den Auftrag aus. Mit 61 Ja zu einer Gegenstimme bei zwei Enthaltungen bewilligten sie im Berner Rathaus den Viertelmillionen-Kredit.
Die Studie soll Ende 2027 vorliegen und eine unabhängige Aufarbeitung von Missbrauch und strukturellen Bedingungen in der reformierten Kirche ermöglichen. Zuerst wird die Begleitgruppe nun aber den Ausschreibungstext für die wissenschaftliche Studie fertigstellen.
Mit spirituellem Missbrauch meint die EKS die Beeinflussung von Personen mit dem Ziel, sie sowohl psychisch als auch spirituell abhängig zu machen. Die EKS spricht auch von «religiösem Machtmissbrauch».
«Die Synode setzt ein ganz klares Zeichen, dass wir das erfahrene Leid, das bei uns passiert ist, ernst nehmen und daraus die Lehren ziehen wollen»: Das sagte EKS-Präsidentin Rita Famos in der Tagesschau des Schweizer Fernsehens SRF. «Das machen wir mit dieser Studie».
Nach den Katholiken die Reformierten
Nach dem Entscheid der Synode vom Montag in Bern wird Missbrauch also auch in der evangelisch-reformierten Kirche der Schweiz aufgearbeitet. Im September 2023 zeigte eine Studie der Universität Zürich, dass es in der katholischen Kirche der Schweiz seit Mitte des 20. Jahrhunderts zu über tausend Fällen von sexuellem Missbrauch kam.
In der Folge kam es zu einer Austrittswelle von Gläubigen nicht nur in der katholischen Kirche, sondern auch bei den Reformierten. Diese Welle ist allerdings inzwischen wieder abgeebbt, wie das Schweizerische Pastoralsoziologische Institut in diesem Herbst feststellte.
Zudem ergab eine Studie der reformierten Kirche Deutschlands, dass es in ihren Reihen ebenfalls zu zahlreichen Missbräuchen kam. EKS-Präsidentin Rita Famos sagte in der Folge, sie habe von vielen Missbrauchsfällen auch aus der Schweizer reformierten Kirche gehört. Die deutsche Studie habe der EKS die Augen geöffnet, so Famos im April 2024.
0,25 statt 1,6 Millionen
Noch im Sommer 2024 entschied das EKS-Kirchenparlament allerdings, keine Studie in Auftrag zu geben. Zuerst solle eine Arbeitsgruppe prüfen, ob eine solche Studie sinnvoll sei. Diese Arbeitsgruppe hat nun empfohlen, eine Studie durchzuführen.
Sie soll methodenoffen und interdisziplinär ausgeschrieben werden und eine Begleitgruppe ist vorgesehen. Einsitz nehmen in dieser Gruppe sollen Betroffenenorganisationen, Vertreterinnen und Vertreter der EKS-Mitgliederkirchen sowie Fachleute.
Der EKS-Kirchenrat als ausführendes Organ respektive Exekutive der reformierten Kirche nimmt die Projektkoordination wahr. Das geht aus EKS-Unterlagen hervor.
Im vergangenen Jahr waren die Kosten für eine Studie noch mit 1,6 Millionen Franken angegeben worden. Die nunmehr in Auftrag gegebene Studie soll nun deutlich weniger kosten.
Ergänzung zu politischen Arbeiten
Die EKS geht davon davon aus, dass ihre Studie eine Ergänzung zu Arbeiten darstellen wird, welche der Bundesrat auf nationaler Ebene in Auftrag gegeben hat.
Die Eidgenössischen Räte überwiesen der Landesregierung in der Herbstession sechs gleich lautende Motionen mit dem Auftrag, Schutzkonzepte zur Prävention von Missbrauch bei Organisationen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, ausarbeiten zu lassen.
Eine Ergänzung zu diesem auf politischer Ebene laufenden Arbeiten sei die in geplante Studie, weil sie sich auf die reformierte Kirche konzentriere, schreibt dazu die EKS. Ausserdem beziehe sie auch erwachsene Betroffene und spirituellen Missbrauch ein. Institutionelle Faktoren wie Machtasymmetrien oder Vertuschungsmechanismen werde sie ebenfalls berücksichtigen.
Im Juni dieses Jahres beschloss die EKS-Synode bereits neue Schutzstandards gegen Missbrauch. Es handle sich um klare Mindestanforderungen für Schutzkonzepte in den Mitgliederkirchen, hiess es damals. (sda)
