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Thomas Bucheli über Attacken gegen SRF Meteo und bessere Wetterprognosen

Wetterfrosch Thomas Bucheli praesentiert am Montag, 8. Januar 2001, die neue offene Wetter-Messstation auf dem Dach des Fernseh-Hochhauses in Zuerich im neuen MittagsMagazin von SF DRS. (KEYSTONE/Fran ...
Da war er noch ein relativ junger «Wetterfrosch»: Bucheli im Januar 2001, als er die offene Wetter-Messstation auf dem Dach des Fernseh-Hochhauses präsentierte.Bild: KEYSTONE
Interview

«Ich habe kurzzeitig den Glauben an die Zukunft der Menschheit verloren»

Er ist das Gesicht von SRF Meteo, seit die Sendung vom Schweizer Fernsehen 1992 lanciert wurde. Im Interview sagt Thomas Bucheli, warum Wissenschaftlichkeit das beste Rezept gegen Angriffe jeder Art ist.
18.08.2023, 09:59
Patrik Müller und Raffael Schuppisser / ch media
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Wir spazieren mit Thomas Bucheli durch Badens Innenstadt, wo überall gebohrt und gehämmert wird: Letzte Vorbereitungen für die Badenfahrt, mit mehr als einer Million Gästen wird am Volksfest in den nächsten zehn Tagen gerechnet. Einige Leute drehen sich um: Das ist doch der Bucheli! Aufmunterndes Grüssen, eine Frau gratuliert und sagt: «Sie machen es schon recht!»

Thomas Bucheli, Redaktionsleiter und Moderator von SRF Meteo.
Thomas Bucheli ist Redaktionsleiter und Moderator von SRF Meteo.Bild: SRF
Zur Person
Thomas Bucheli, 62, aufgewachsen in Hitzkirch LU, studierte an der ETH und schloss 1988 in Meteorologie, Klimatologie und Atmosphärenphysik ab. Nach der ersten Stelle bei der damaligen Schweizerische Meteorologischen Anstalt ging er 1992 zur neuen Sendung SRF Meteo. Seit 1995 leitet Bucheli die SRF-Wetterredaktion, die knapp 13 Stellen umfasst. Bucheli ist verheiratet und Vater eines Sohnes.

Herr Bucheli, SRF Meteo sagt fürs erste Festwochenende grosse Hitze voraus, 31 bis 34 Grad – wie verlässlich ist diese Vorhersage?
Thomas Bucheli:
Für Baden können wir eine Punktprognose machen, die wegen eines kräftigen Hochs, das sich aufbaut, mit sehr wenig Unsicherheiten behaftet ist. Es ist sonnig und heiss. In der zweiten Hälfte der nächsten Woche baut sich das kompakte Hoch dann irgendwann ab – wann genau, ist noch nicht klar.

Mit Prognosen lenken Sie die Massen – nicht nur an Volksfesten: Das Freizeitverhalten ist von Wettervorhersagen geprägt.
Wir lenken nicht, sondern die Leute richten sich nach Prognosen, die wir nach bestem Wissen und Gewissen und nach wissenschaftlichen Kriterien erstellen. Dass die Vorhersagen ein derartiges Gewicht bekommen haben, zeigt, dass sie in den letzten Jahrzehnten massiv besser geworden sind.

Es gibt Wetter-Apps, die Prognosen für bis zu 16 Tage machen. Ist das seriös?
Ohne Einordnung nicht. Wir bei SRF Meteo gehen nicht über eine Woche hinaus. Aber es gibt eine Vielzahl von Wetter-Apps, die das tun. Das verändert die Erwartungshaltung des Publikums. Ich war anfänglich dagegen, dass wir überhaupt eine App lancieren. Prognosen anhand von ein paar Sonnen- und Wolken-Symbolen ohne Einschätzungen: Das widerstrebte mir. Aber natürlich sehe ich Sinn und Zweck drin, Apps sind ein Bedürfnis und Mehrwert für das Publikum. Wir müssen hier präsent sein.

Es gäbe durchaus ein Bedürfnis nach längerfristigen Prognosen.
Was über eine Woche hinausgeht, sollte nur mit Modellläufen und kombiniert mit Wahrscheinlichkeiten betrachtet werden. Das machen wir teilweise für Veranstalter von Grossanlässen, die Kosten und Risiken abwägen müssen, etwa für Überdachungen. Für das breite Publikum macht das aber wenig Sinn.

Die Wissenschaft kann heute die Bahnen von Planeten in fremden Galaxien berechnen, doch das Wetter bleibt unberechenbar. Frustriert Sie das?
Nein, das macht es gerade spannend und herausfordernd. Auch mit der künstlichen Intelligenz werden Unsicherheiten bleiben.

Wird die künstliche Intelligenz zu keiner Prognose-Revolution führen?
Ich bin hier kein Spezialist, aber die Idee ist, dass man sich nebst den Modellberechnungen auch noch auf Erfahrungswerte abstützt. Dank enormer Datenmengen lässt sich so das wahrscheinlichste Wetter offenbar besser erkennen.

Über das Wetter reden die Menschen, seit es sie gibt. Aber die Bedeutung des Wetters hat – wohl durch den Klimawandel – jetzt auch eine politische Bedeutung bekommen.
Ja, denn leider wird oft nicht zwischen Wetter und Klima unterschieden. Hinzu kommt, dass alle über das Wetter reden und sich viele als Experten sehen, obwohl es eine hochkomplexe Wissenschaft ist.

Kann man Klima und Wetter absolut voneinander trennen?
In der Theorie schon. Das Wetter ist ein Momentanzustand, das Klima ist das Wetter über einen längeren Zeitraum betrachtet. Wenn es nun aber sehr heiss wird, fragen wir uns, wann es das schon einmal gegeben hat, ob das in dieser Jahreszeit normal ist etc. Und so geraten wir rasch in Klimafragen.

Vermintes Gelände! Obwohl die Erderwärmung wissenschaftlich unbestritten ist.
Die Frage ist: Was ist der Grund für die Erwärmung? Die Forschergemeinde ist sich weitgehend einig, dass sie massgeblich menschengemacht ist. Das heisst aber nicht, dass sich jede Wetterkatastrophe auf die Klimaerwärmung zurückführen lässt. Wenn also jemand behauptet, so hohe Temperaturen im Sommer habe es schon immer gegeben, stimmt das nicht. Wenn jemand die Klimaerwärmung für ein Unwetter verantwortlich macht, ist das aber ebenfalls zu kurz gedacht.

Und falls Ihre Wetter-App zu hohe Temperaturen vorhersagt, heisst es: Der Bucheli will den Grünen im Wahlkampf helfen!
Schauen Sie, ich habe 1987 bei Meteo Schweiz als Meteorologe angefangen, und seit 1992 bin ich bei SRF Meteo. Über all diese Jahre habe ich, wie alle meine Kolleginnen und Kollegen im Team und auf der ganzen Welt, nach bestem Wissen und Gewissen meine Arbeit gemacht. Und jetzt, nach all diesen Jahren, kommt wegen eines Systemfehlers in unserer App ein Teil der Politik und der Bevölkerung auf die Idee, dass wir unsere Prognosen bewusst verändern, um jemandem zu helfen oder zu schaden. Das hat mich … (er zögert)

… erschüttert?
Es hat mich vom Stuhl geworfen.

Die App hatte für einige Feriendestinationen zu hohe Temperaturen angezeigt. Sie wirkten, als Sie sich am Fernsehen dafür entschuldigt haben, ziemlich betroffen.
Fehlprognosen sind immer ärgerlich. Wenn bei einer Fehlprognose aber behauptet wird, wir würden diese mit Absicht machen, dann finde ich das ungeheuerlich. Wenn es Zweifel gibt an unserer Wissenschaftlichkeit und Unabhängigkeit, dann wird unsere Arbeit wertlos. Politisch motivierte Vorwürfe sind insofern gefährlich, als hier eine Erwartung mitschwingt, dass wir Prognosen abändern, sodass es den Kritikern passt. Solche Anpassungen wären das Ende der Meteorologie.

Die Vorwürfe kamen von «Weltwoche» und SVP, kurz vor der Einreichung der SRG-Initiative zur Halbierung der Gebühren. Mit diesen enormen Budgets, die die SRG hat, dürften keine Fehler passieren, hiess es. Wie gut dotiert ist das Meteo-Team?
Wir haben knapp 13 Vollzeitstellen und sind praktisch rund um die Uhr im Einsatz. Wir machen fast alles selber, auch das Technische, die Grafiken, wir moderieren für Radio und Fernsehen, wir produzieren die Sendungen … Das ist wunderbar, das machen andere auch, aber vielen ist vielleicht nicht bewusst, was da alles dahintersteckt. Ich möchte an dieser Stelle aber noch einmal betonen, dass wir nach streng wissenschaftlichen Kriterien arbeiten, und betroffen war ausschliesslich die vollautomatisch berechnete Orte-Wetterprognose in der Wetter-App für einige Stationen, also nicht die manuell erstellten Prognosen in unseren Sendungen im TV und im Radio und auch nicht alle anderen Produkten.

SRF-Meteorologe Thomas Bucheli entschuldigt sich im August 2023 beim TV-Publikum für teils falsche Temperaturprognosen.
SRF-Meteorologe Thomas Bucheli hat sich in der Meteo-Sendung am 9. August beim TV-Publikum für teils falsche Temperaturprognosen entschuldigt.Screenshot: srf.ch

Haben die Angriffe Ihr Team verunsichert?
Die Vehemenz der Kritik hat mein Team und mich überrascht. Auf einmal fragen wir uns bei eigentlich unverfänglichen Formulierungen: Ist das gut gewählt oder bietet es Angriffsfläche? Oder bei Bildeinblendungen: Sollen wir nun wirklich einen schmelzenden Gletscher zeigen? Klar ist: Alles Missionarische hat keinen Platz. Wir halten uns an die Daten und Fakten. Aber ja: Es hat gewisse Spuren hinterlassen – und dennoch: Auch in diesem Umfeld bleiben wir sachlich und geben die Fakten wieder.

Sie legen jedes Wort auf die Goldwaage?
Uns wird nun akribisch auf die Finger geschaut. Wir sind uns der Verantwortung bewusst, auch für das ganze Unternehmen SRG. Meine Devise: Wir arbeiten genau gleich weiter. Wir machen unseren Job nach bestem Wissen und Gewissen. Schon immer habe ich, wenn ein Mitarbeiter den Klimaaspekt aus meiner Sicht hochspielte, eingegriffen. Umgekehrt wäre es falsch, die Klimaerwärmung gar nicht mehr zu thematisieren.

Sie stecken in einem fast unlösbaren Dilemma: Führen Sie Wetterextreme auf den Klimawandel zurück, werden Sie von der einen Seite angegriffen. Tun Sie es nicht, von der anderen.
Es ist tatsächlich so. Dabei machen wir nur unseren Job. Letzte Woche habe ich deshalb kurzzeitig den Glauben an die Zukunft der Menschheit verloren. Doch es gibt nur einen Ausweg: Wir arbeiten ohne Schere im Kopf. Denn es ist und bleibt ein grossartiger Job.

Man merkt das: Nach 30 Jahren bei SRF Meteo wirken Sie unvermindert engagiert, ja euphorisch. Sie gelten als Chrampfer, haben meist weit nach 22 Uhr Feierabend …
Dass ich zusammen mit meinem Team Prognosen erstellen und sie im Fernsehen live präsentieren darf, das geniesse ich sehr. Wenn man das merkt, freut mich das.

Sie leben für Ihren Job. Was sagt Ihre Familie dazu?
Früher habe ich kaum frei gemacht und auch während der Ferien noch gearbeitet. Als ich eine neue Beziehung eingegangen bin, wurde mir klar, dass eine konsequente Trennung zwischen Arbeit und Familie wichtig ist. Wenn ich das wieder einmal vergesse, erinnert mich meine Frau sehr direkt daran.

In drei Jahren erreichen Sie das AHV-Alter. In den USA würde der Sender einen Star wie Sie darum bitten, weiterzumachen.
Mit 65 Jahren ist beim Schweizer Fernsehen Schluss – höchstens Schawinski wird noch mal zurückgeholt! (er lacht) Aber aufhören mit 65 macht auch Sinn. Es passiert technologisch so viel. Schon jetzt binde ich jüngere Teammitglieder stärker ein. Es ist richtig, das Zepter an die Jungen weiterzugeben.

Bekannte TV-Gesichter machen in der Politik oft schnell Karriere. Ueli Schmezer kandidiert diesen Herbst. Auch eine Option für Sie?
Nein. Es entspricht mir nicht, aufgrund einer politischen Richtung oder einer Ideologie bestimmte Ansichten zu vertreten. Ich bin Wissenschafter und will die Dinge gründlich und von allen Seiten betrachten.

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84 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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GrüeziMitenand
18.08.2023 10:23registriert September 2022
"Letzte Woche habe ich deshalb kurzzeitig den Glauben an die Zukunft der Menschheit verloren."

Geht mir jeden Tag so.
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Amadeus
18.08.2023 10:21registriert September 2015
Wenn es den Kritikern darum gehen würde, die Daten zu verbessern, dann wäre daran nichts auszusetzen. Leider sieht es aber so aus, dass die Kritik an Meteo vor allem politisch motiviert war. Es geht nicht um falsche Temperaturen, sondern um Wahlkampf.
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Hector B.
18.08.2023 10:43registriert Februar 2022
Bucheli macht mit seinem Team einen tollen Job. Gut, wenn er sich von ein paar hetzenden Faschisten und einem egozentrischen Konkurrenten nicht beeindrucken lässt.
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