WhatsApp geht gerichtlich gegen neue Regeln der indischen Regierung vor, die den Messenger-Dienst dazu verpflichten, Urheber von privaten Chat-Nachrichten zu identifizieren und zu verfolgen. Die Regeln sollen ab Mittwoch gelten.
WhatsApp, das zum Facebook-Konzern gehört, reichte den Fall am Dienstag vor einem Gericht in der Hauptstadt Neu Delhi ein, wie die Nachrichtenagenturen berichteten.
Indiens neue Regeln verletzten nach Auffassung des weltweit tätigen US-Unternehmens das in der indischen Verfassung gewährte Recht auf Privatsphäre.
WhatsApp betont immer wieder, dass es keine Einsicht in Nutzerdaten hat und Mitteilungen zwischen Nutzerinnen und Nutzern nicht speichert. «WhatsApp ist verpflichtet die Privatsphäre von persönlichen Nachrichten von Menschen zu schützen und wir werden auch weiterhin alles daran setzen, dies innerhalb der Gesetze Indiens zu tun», sagte die Sprecherin.
Die indische Regierung versucht seit längerem stärker Meinungsäusserungen im Internet zu überwachen. Nach den neuen Regeln müssen Soziale Netzwerke mit mehr als fünf Millionen Nutzern den Urheber von Nachrichten identifizieren können, die Inhalte verbreiten, die den Interessen des Landes schaden könnten.
Kürzlich hatte die Regierung auch Netzwerke wie Facebook und Twitter angewiesen, Einträge zu löschen, die das Corona-Management der Regierung kritisierten – mit der Begründung, dass sie zu Panik führen könnten und das Corona-Management behinderten. Soziale Netzwerke sind etlichen solchen Aufforderungen nachgekommen. Betroffene Einträge konnten aber ausserhalb Indiens noch gesehen werden.
Indien ist mit seinen mehr als 1,3 Milliarden Einwohnern für WhatsApp und andere soziale Netzwerke und Messenger-Plattformen ein wichtiger Markt.
Einer der Threema-Mitgründer brachte es in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» kürzlich auf den Punkt:
Rund um den Globus laufen Bestrebungen seitens staatlicher Ermittlungsbehörden und Geheimdienste, den Schutz der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von Smartphone-Messengern wie WhatsApp, Threema oder Apple Nachrichten (ehemals «iMessage» genannt) aufzuweichen. Sei dies durch das Ausnutzen von Sicherheitslücken (Exploits), oder sei dies, indem die Anbieter zur Kooperation gezwungen werden. In der Schweiz dürfen Strafermittler gestützt auf das Gesetz die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung mittels «Staatstrojaner» aushebeln. Das heisst, Ermittler können mit richterlicher Erlaubnis Überwachungs-Software auf den Endgeräten der Verdächtigen platzieren, um die Kommunikation in Echtzeit abzuhören.
Die EU-Kommission nahm Ende 2020 den Terroranschlag von Wien zum Anlass für einen politischen Vorstoss. Software-Entwickler sollten laut Medienberichten gezwungen werden, Behörden Einblicke in private Chats zu gewähren. Dies sollte über angeblich «sichere Hintertüren» erreicht werden.
Mitte Januar gab dann die zuständige EU-Kommissarin Entwarnung. Es werde seitens der EU-Kommission keine Lösung in Betracht gezogen, die Verschlüsselung grundsätzlich für alle Bürger schwächen oder direkt oder indirekt verbieten würde, hiess es in einem publik gemachten Schreiben.
In dem Schreiben schloss die EU-Innenkommissarin, die Schwedin Ylva Johansson, laut Berichten auch «die Einführung von ‹Hintertüren›» für den Zugriff auf verschlüsselte Daten aus. Davor hatten vor allem Datenschützer gewarnt.
Die Bestrebungen, eine Chatkontrolle für die gesamte Bevölkerung einzuführen, gehen aber auch hierzulande weiter. Die EU plant, Messenger- und E-Mail-Anbietern zu erlauben, die private Kommunikation vollautomatisch und verdachtsunabhängig auf verdächtige Inhalte zu scannen. Dabei geht es laut Behörden um Hinweise auf Kinderpornografie sowie «Anbahnungsversuche» von Pädophilen bei Minderjährigen.
EU-Rat und EU-Parlament haben sich Ende April darauf geeinigt, Internet- und Mobilfunk-Providern zu erlauben, sämtliche persönlichen E-Mails und Nachrichten aller Nutzerinnen und Nutzer mittels Einsatz von Künstlicher Intelligenz zu durchleuchten. Im Verdachtsfall werden Tatverdächtige bei der Polizei angezeigt und ihre Korrespondenz weitergeleitet.
Der deutsche EU-Politiker Patrick Breyer (Piratenpartei) warnte vor den weitreichenden Konsequenzen.
Einige US-Dienste wie Google Mail (GMail) und Microsofts Outlook.com praktizierten diese automatische Nachrichten- und Chatkontrolle bereits. Verschlüsselte Nachrichten seien zurzeit noch ausgenommen, so der EU-Politiker.
(dsc/sda/awp/dpa)