Threema ist im Aufwind. Die Diskussion um den Datenschutz und die Nutzungsbedingungen von WhatsApp bescheren dem Schweizer Messenger seit Monaten einen Fluss neuer Nutzerinnen und Nutzer. Anfang Jahr «hatten sich die Downloads verzehnfacht, nun sind wir etwa beim Fünffachen», sagt Threema-CEO und Mitgründer Martin Blatter im Interview mit der «Luzerner Zeitung».
Threema für Private und die Business-Lösung Threema Work seien im Begriff, die Marke von zehn Millionen Usern zu knacken. Vor allem das Abo-Modell Threema Work für Unternehmen, Schulen und Behörden entwickle sich «erfreulich».
Die kostenpflichtige App ist seit Dezember 2012 verfügbar und gewann in den ersten acht Jahren, sprich bis Ende 2020, acht Millionen Nutzer. In diesem Jahr sind bislang fast zwei Millionen hinzugekommen. Das Gros der neuen User stamme aus Deutschland, rund ein Fünftel aus der Schweiz, verrät der CEO im Interview.
Verglichen mit der Gratis-Konkurrenz WhatsApp, Telegram oder Signal bleibt Threema ein Zwerg – und das dürfte auch so bleiben: Wachsen um jeden Preis wolle man nicht. Threema bleibe kostenpflichtig und Blatter will auch eine künftige Preiserhöhung nicht ausschliessen. Er finde die ewige Preis-Diskussion «müssig», schliesslich koste die App «weniger als ein Espresso».
Vom sogenannten «Silicon-Valley-Modell» hält der 43-jährige Schweizer Wirtschaftsinformatiker nichts: «Man sollte sich bewusst sein, welches Geschäftsmodell hinter Diensten wie WhatsApp steckt. Ich nenne es auch das Silicon-Valley-Modell: Man schmeisst sein Angebot mal gratis auf den Markt und überlegt dann, wie man es monetarisieren kann.»
Wachstum strebt aber auch Threema an: 2020 hat man deshalb die deutsche Beteiligungsgesellschaft Afinum an Bord geholt, welche die Expansion sichern soll. Künftig wolle man die Belegschaft von heute 22 Festangestellten ausbauen.
Threema hat nicht nur weniger Nutzer, die App hinkt teils auch im Funktionsumfang hinterher. Anders als die Konkurrenz verzichte man bewusst «auf Schnickschnack», sagt Blatter im Interview. Das oberste Ziel sei Datensparsamkeit. Man speichere daher nur die nötigsten Daten und verzichte auf Funktionen, wie der Übermittlung des Live-Standorts. An erster Stelle stehe die Privatsphäre. Darum sei Threema komplett anonym «ohne Angabe von Handynummer oder E-Mail-Adresse» nutzbar. «Datenschutz wird in Zukunft noch wichtiger. Das spielt uns natürlich in die Hände.»
Denn: Vermehrt Interesse an den Daten der Threema-Nutzer haben auch die Behörden. Diesbezüglich hat das Schweizer Unternehmen vor knapp zwei Wochen vor dem Bundesgericht einen Sieg gegen das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) errungen. Das Bundesgericht hat letztinstanzlich entschieden, dass Threema juristisch nicht als Fernmeldedienst-Anbieter, wie beispielsweise die Swisscom, zu betrachten ist. Daher muss Threema auch künftig seine Kunden nicht identifizieren oder Metadaten (wer kommuniziert wann und wo mit wem) auf Vorrat speichern. Dies hätte das auf Privatsphäre ausgelegte Geschäftsmodell des Messenger-Dienstes untergraben.
Es sei «mit Blick auf die gesamte Branche ein wichtiges Signal, wenn Behörden nicht eigenmächtig Gesetze umdeuten können, um an Bürgerdaten zu gelangen», kommentierte Blatter das Urteil.
Für die Strafermittler ist Threema eine Knacknuss: Der durchgängig verschlüsselte Messenger kann aktuell nur sehr wenige Daten bei Behördenanfragen herausgeben, etwa das Datum des letzten Logins. Die Strafverfolgungsbehörden sind aber immer öfter an der optional bei der Anmeldung genutzten Telefonnummer interessiert.
Das Problem für die Ermittler: Bei Threema kann man auch anonym, also ohne Angabe der Telefonnummer, ein Profil erstellen. «Ein Krimineller wird den anonymen Weg wählen», sagte Blatter gegenüber der «Republik». Überdies kenne Threema die wahren Telefonnummern und E-Mail-Adressen ohnehin nicht – man habe nur eine gehashte, also anonymisierte Version gespeichert. Man könne «bei einer Mehrheit der Anfragen sowieso nichts Brauchbares liefern».
Zudem gilt: Der Inhalt der Nachrichten ist durchgängig verschlüsselt, kann also auf dem Transportweg nicht einfach abgefangen werden. Ermittler können die Nachrichten aber trotzdem mitlesen, wenn sie beispielsweise auf dem Smartphone oder Computer eines Tatverdächtigen mit richterlicher Genehmigung einen sogenannten «Staatstrojaner» installieren.
Verantwortlich für den Threema-Boom ist die Verwirrung um die neuen Nutzungsbedingungen von WhatsApp. Die erste Ankündigung im Januar erweckte den Eindruck, die neuen AGB hätten einen weitreichenden Datenabfluss zur Folge. WhatsApp betonte danach, dass mit der Aktualisierung der AGB in Europa keine erweiterte Datenweitergabe an Facebook verbunden sei.
Ursprünglich sollten Nutzerinnen und Nutzer die neuen AGB bis am 8. Februar 2021 akzeptieren. Als zahlreiche User zu Alternativen wechselten, verschob WhatsApp die Frist auf den 15. Mai. Zunächst schrieb WhatsApp, dass die App einige Woche nach Ablauf der zweiten Deadline nur noch eingeschränkt nutzbar sein werde, später gar nicht mehr. Ende letzter Woche ruderte WhatsApp zurück und sagt nun, es gebe aktuell keine Pläne, den Funktionsumfang einzuschränken. Stattdessen werde man die Nutzerschaft von Zeit zu Zeit an die neuen AGB erinnern.
Facebook hat für WhatsApp 2014 fast 22 Milliarden Dollar hingelegt. Inzwischen hat die App über zwei Milliarden aktive User. Facebooks Plan ist nun, Geld mit WhatsApp zu verdienen, indem Unternehmen mit ihren Kunden über den Messenger kommunizieren und Produkte und Dienste verkaufen können. Die aktuelle Regeländerung (neue AGB) ist eine Voraussetzung dafür. Anders gesagt: Die neuen AGB kosten WhatsApp zwar einige Nutzer, schaffen aber auch neue Monetarisierungsmöglichkeiten mit allen Nutzern, die nicht abwandern.
(oli)
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