Halli Thorleifsson wollte sich an einem Sonntag in seinen PC einloggen, um etwas zu arbeiten – und fand sich ausgesperrt. Er kam nicht mehr ins Firmennetzwerk rein.
Was dann passierte, ist allerdings noch viel verrückter, sorgt weit über die USA hinaus für Kopfschütteln und illustriert perfekt die Zustände bei Twitter seit der Machtübernahme durch den reichsten Menschen der Welt.
Via Twitter wandte sich Thorleifsson an Twitter-Chef Elon Musk und schilderte, dass er vor neun Tagen von seinem Arbeits-PC ausgesperrt worden sei. Der Chef der Personalabteilung (HR) habe ihm nicht sagen können, ob er überhaupt noch beim Unternehmen angestellt sei oder nicht. Und er habe auch keine Antwort erhalten auf seine E-Mails.
Es folgte ein bizarrer Twitter-Dialog, in dessen Verlauf der Multimilliardär den Mann aus Island vor seinen über 130 Millionen Followerinnen und Followern verunglimpfte.
Wichtig zu wissen: Der Isländer leidet seit Jahren an einer schweren Muskelerkrankung, Muskeldystrophie genannt. Deswegen ist er auch auf einen Rollstuhl angewiesen.
Das hielt Musk nicht davon ab, ihn persönlich zu attackieren und ihm eine schlechte Arbeitsmoral vorzuwerfen.
Zunächst fragte Musk: «Welche Arbeit hast du gemacht?» Die Aufzählung Thorleifssons genügte ihm offenbar nicht, denn nach einer kritischen Nachfrage legte der Twitter-Chef nach, behauptete, dass der Ex-Mitarbeiter keine «richtige Arbeit» geleistet habe und überdies wohlhabend sei.
Thorleifsson führt daraufhin via Twitter aus, wie beeinträchtigt er durch seine Erbkrankheit tatsächlich ist, dass er nicht länger als eine Stunde am Stück eine Tastatur bedienen könne – und seinen Wohlstand der Tatsache zu verdanken habe, dass er sein erfolgreiches Start-up an Twitter verkauft hatte und «nicht etwa eine Smaragdmine geerbt habe».
Dieser Konter sass.
Musks Einsehen folgte, wenn auch spät. Nachdem er mit dem Mitarbeiter einen Videoanruf geführt hatte.
Am Dienstagabend twitterte Musk eine Entschuldigung und behauptete, das Missverständnis beruhe «auf Dingen, die mir gesagt wurden und die nicht wahr sind».
In einem weiteren Tweet schrieb er: «Es ist besser, mit Menschen zu sprechen, als per Tweet zu kommunizieren.»
Thorleifsson erwäge, bei Twitter zu bleiben, fügte Musk an.
Thorleifsson, der in Island lebt, hat fast 160'000 Follower. Er war 2021 zu Twitter gekommen, als das Unternehmen unter der vorherigen Leitung sein Start-up Ueno, eine Kreativagentur mit Büros in Reykjavik und den USA, erwarb.
Wie der «Guardian» schreibt, wurde der Isländer in lokalen Medien dafür gelobt, dass er sich seinen Anteil am Firmenverkauf in Form von Löhnen statt einer Pauschalsumme ausbezahlen liess. So habe er erreicht, dass er in seinem Heimatland (freiwillig) höhere Steuern zahle.
Damit zurück zum aktuellen «Beef» mit dem CEO und Eigentümer der Social-Media-Plattform: Thorleifsson reagierte auf Musks Entschuldigung mit den Worten: «Der Grund, warum ich dich öffentlich gefragt habe, ist, dass du (oder sonst jemand bei Twitter) nicht auf meine privaten Nachrichten geantwortet hast. Ihr hattet jedes Recht, mich zu entlassen. Aber es wäre nett gewesen, es mich wissen zu lassen!»
Als Nächstes werde er «sehr bald» ein Restaurant in der Innenstadt von Reykjavik eröffnen, verriet der Isländer.
In einem anderen Tweet konnte es sich Thorleifsson allerdings nicht verkneifen, sich über Musks weitreichende Paranoia lustig zu machen. Denn gemäss einem weiteren BBC-Bericht lässt sich dieser im Twitter-Hauptquartier von seinen Leibwächtern sogar auf die Toilette begleiten.
Der Isländer, der seit er 25 ist, einen Rollstuhl nutzt und sich in seiner Heimat für barrierefreie Zugänge einsetzt, schrieb:
Ob Thorleifsson Twitter erhalten bleibt, ist fraglich. Am Montag teilte er gegenüber der BBC mit, dass er von der Personalabteilung von Twitter noch immer keine Antwort darauf erhalten habe, ob er entlassen worden sei oder nicht.
Seine Theorie sei, dass die Verantwortlichen beim US-Unternehmen nach etwas suchten, um zu vermeiden, dass sie ihre vertraglichen Verpflichtungen erfüllen müssen.
Tatsächlich gibt es öffentliche Spekulationen darüber, dass Twitter ihm bei seinem Ausscheiden aus der Firma eine beträchtliche Summe zahlen müsste.
Seit Musk die Kontrolle bei Twitter übernommen hat, sei in dem Unternehmen nichts mehr, wie es war, hält T-Online in einer treffenden Zusammenfassung fest.
Im verzweifelten Versuch, das Unternehmen profitabler zu machen, greife der Milliardär zu teils bizarren Mitteln. «So sollen etliche Rechnungen sowie die Miete für Büroräume nicht gezahlt, Verträge mit Reinigungskräften nicht erneuert worden sein. Büroinventar wurde versteigert – ein anonymer Mitarbeiter erklärte gegenüber der BBC sogar, dass Twitter versucht habe, Büropflanzen an die Mitarbeiter zu verkaufen.»
Beliebteste Sparmassnahme des Milliardärs sei aber weiterhin das Entlassen von Angestellten. Gleich nach seiner Übernahme trennte er sich von fast der Hälfte der Belegschaft und liess seitdem etliche Kündigungsrunden folgen.
Dabei scheine sich ein typisches Muster durchzuziehen: Statt den betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ihre Kündigung mitzuteilen, würden einfach deren Accounts deaktiviert. Diese stellen dann fest, dass sie sich nicht mehr in das Intranet des Unternehmens einloggen können.
Vielleicht ist der Grund für die Entschuldigung von Musk gar nicht, dass ihm seine Äusserung leid tut, sondern der Preis, den er für die Entlassung zahlen müsste.
Die endgültige Wahrheit werden wir aber wohl nie erfahren.
Die hat Musk sicherlich auch für unnütz angesehen und gestrichen.