Der seit langem angekündigte Spezialeinsatz der ukrainischen Regierung gegen prorussische Separatisten im Osten des Landes hat am Dienstag begonnen. Der russische Aussenminister Sergej Lawrow sprach von einer «Verletzung ukrainischer Rechtsnormen und des Völkerrechts».
Interimspräsident Alexander Turtschinow teilte mit, die Einheiten würden im Norden des Gebiets Donezk nahe der Grenze zu Russland vorrücken. «Ziel ist der Schutz der Bürger vor Terroristen, die das Land zerreissen wollen».
Über das Ausmass des Einsatzes gab es unterschiedliche Ausssagen. Eine Kolonne ukrainischer Militärfahrzeuge wurde in der Nähe von Izjum, etwa 40 Kilometer von der östlichen Stadt Slawjansk entfernt. Zu der Fahrzeugkolonne gehörten zehn Panzer, ebenso viele gepanzerte Fahrzeuge und sieben Busse mit Sondereinsatzkräften.
Laut einer ukrainischen BBC-Journalistin sollen am Einsatz der Ukraine 20'500 Mann beteiligt sein. Woher sie die Zahlen hat, blieb unklar. In Slawjansk sei die ukrainische Armee mit 500 Soldaten, Bussen und Helikoptern aufgefahren.
In Kramatorsk sind am Dienstagnachmittag zwei ukrainische Militärhelikopter mit Verstärkung gelandet. AFP-Reporter sahen auf dem Flugplatz rund 15 Kilometer südlich von Slawjansk «prorussische Demonstranten, die den zivilen Teil des Geländes kontrollierten.» Der ukrainische Übergangspräsident Alexander Turtschinow erklärte der Flugplatz sei von regierungstreuen Truppen eingenommen worden. Eine Spiegel-Journalistin vor Ort widersprach zunächst. Nach aktuellsten Meldungen ist der Flughafen in der Hand des ukrainischen MIlitärs, während sich Demonstranten vor dem Areal versammelt haben.
Erste Meldungen über Tote haben sich als falsch erwiesen. Laut Behördenangaben aus Kiew soll es auf der Seite des Militärs keine Opfer gegeben haben. Auch die Spiegel-Journalistin vor Ort vermeldete keine Opfer. Andere Journalisten berichteten aber von mindestens einem Verletzten auf Seiten der Oppositionellen.
Ukrainische Regierungskräfte hätten am frühen Morgen das Feuer auf Strassensperren vor Slawjansk eröffnet, sagte ein Sprecher der prorussischen Separatisten. Dabei seien mehrere Menschen verletzt worden. Über der 120'000 Einwohner zählenden Stadt Slawjansk kreisten am Abend mindestens zwei Kampfhelikopter der ukrainischen Armee. Anders als im nahegelegenen Flughafen von Kramatorsk kam es hier noch zu keinen Auseinandersetzungen zwischen ostukrainischen Separatisten und ukrainischen «Anti-Terror-Einheiten». Dies könnte sich aber bald ändern: Die «Anti-Terror»-Einheiten sammeln sich vor der Stadt. Prorussische Milizenerwarten einen Angriff in der Nacht.
In insgesamt elf Orten der Ostukraine halten moskautreue Separatisten Verwaltungsgebäude besetzt. Sie fordern einen föderalen Staat mit weitgehenden Autonomierechten für das russisch geprägte Gebiet. Dabei sollen russische Spezialtruppen ohne Hoheitszeichen eine entscheidende Rolle spielen.
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— Gerard Baker (@gerardtbaker) April 15, 2014
US-Präsident Barack Obama und der russische Präsident Wladimir Putin hatten in der Nacht zum Dienstag telefoniert. Putin forderte Obama auf, ein gewaltsames Vorgehen der Übergangsregierung in Kiew gegen die prorussischen Aufständischen zu unterbinden. Obama appellierte nach Angaben des US-Präsidialamtes an Putin, dafür zu sorgen, dass die Separatisten ihre Besetzungen aufgäben.
Der russische Aussenminister Lawrow forderte die ukrainische Regierung auf, den Einsatz des ukrainischen Militärs im Osten des Landes einzustellen. Bei einem Besuch in Peking warnte er vor einem Scheitern des für Donnerstag geplanten Krisentreffens in Genf.
Moskau sei daran interessiert, dass diese Zusammenkunft zustande komme, beteuerte Lawrow. Die Teilnehmer hätten sich schon auf ein vorläufiges Programm geeinigt - darunter Deeskalation, Entwaffnung illegaler Einheiten, verfassungsmässige Reformen und Wahlen in der Ukraine, sagte Lawrow.
In Genf wollen die Aussenminister Russlands, der USA und der Ukraine mit der EU-Aussenbeauftragten Catherine Ashton zusammenkommen.
Nach Erkenntnissen von UNO-Experten hat es im Osten der Ukraine zwar vereinzelte Übergriffe auf Angehörige der russischen Minderheit gegeben, aber keine systematischen Attacken. Trotzdem wird die Regierung in Kiew ermahnt, die Rechte der russischen Minderheit zu respektieren.
Die Lage in der Ostukraine bezeichnen die UNO-Experten als äusserst angespannt. Zugleich weist der Bericht darauf hin, es gebe zahlreiche Behauptungen, wonach «einige Teilnehmer an den Protesten und Kämpfen politisch verfeindeter Gruppen nicht aus der Region stammten und dass einige von ihnen aus Russland gekommen waren». (tvr/sda/dpa/afp/reu)