Das Fernsehen lebt davon, dass es immer weiter geht, und erst recht der «Tatort». Da kann die Ukraine explodieren, da kann die NSA alle Daten dieser Welt sammeln – am Sonntagabend ertönt die Melodie und dann ist «Tatort». Diese Routine wird nun ein wenig gestört davon, dass der Franz under attack gerät. Zugleich zeigt der hohe Einsatz, der Angriff auf den Kommissar, wie schwer erschütterlich unsere Gewohnheit ist.
«Wir schaffen das, Franz, wir schaffen das», sind die letzten Worte vom Ivo (Miro Nemec). Er, der gerade noch über dem Franz (Udo Wachtveitl) gesessen und ihm eine Art umgekehrte (der Franz liegt bäuchlings) Herzdruckmassage angedeihen lassen hat. Handelt sich wohl eher um einen Blutungsstoptrick, denn der Franz ist angestochen worden von Frau Höllerer (Barbara de Koy).
Die Ungewissheit, ob der Franz beim nächsten Mal wieder auf dem Damm ist oder raus, wäre allerdings noch ungewisser gewesen, fiele das «Wir schaffen das»-Beschwören vom Ivo nicht so arg zuschauerberuhigend aus. (Zudem: Wie könnte man einen Tod der Figur vor PR-Arbeit und Begleitmedien verbergen?)
In ewiger Skepsis gegenüber dem Wirken von senderinternen Ängsten und Normierungen (BR-Redaktion: Stephanie Heckner) würden wir im Ivo-Text, den er im Bild erkennbar nicht spricht, die Entscheidung für Deutlichkeit und gegen Ambivalenz sehen. Ganz unabhängig davon (mit anderen Worten: wozu dann solche Schocks?): «Am Ende des Flurs» gefällt. Der Film von Max Färberböck, der zusammen mit Catharina Schuchmann fürs Buch verantwortlich zeichnet, wirkt wie die leicht vergröberte Version eines Dominik-Graf-Krimis.
Da ist München als Stadt, in der der moderne Wohnungsbau nicht Problemlage, sondern Style der besten Jahre ist (Kamera: Michael Wiesweg); existieren Dialoge, die in ihren Klang und das Tempo, in dem sie gesprochen werden müssen, verliebt sind (was nur als Lob gemeint ist); treten Figuren auf, die hübsche Fiktionen abgeben wie dieser Tom-Selleck-hafte Hockey-has been (Jürgen Maurer) oder am besten gleich noch liebevolle Reminiszenzen: der grosse Franz-Xaver Kroetz als durchbairisierender Wiesnkönig der ganz alten Schule und die nicht minder grosse Beatrice Richter als hardboiled Gattin. Man kann schon mal den Hut lupfen, weil so viel Kolorit und Geschichte im Hinterland von Ludwigshafen oder Leipzig nie entdeckt werden würde.
Zur Graf-Epigonie gehören schliesslich die Geschlechterverhältnisse. «Am Ende des Flurs» ist der Ritt in den Sonnenuntergang eines Machismo, der gesamtgesellschaftlich aus der Defensive nicht mehr rauskommt. Der Cowboy Feistl kann sich zwar eindrucksvoll ungebrochen geben («Im Kloster war ich schon als Kind», «Ich hab' meinen Spass gehabt») und mit einem nicht nur stumpfen Prostitutionsbegriff Zweifel an der Alice-Schwarzer-Lesart der Debatte wecken. Aber er weiss auch, was diese Konsequenz kostet: Mit solcher Haltung kann er nicht überleben und so beschleunigt er ungerührt seinen Gaul in den Tod.
Die Anlage des Falls entstammt einer hochromantisch-männlichen Vorstellung. Im leeren Zentrum steht die Heiligste aller Huren (Fanny Lisberg): eine Mutter Teresa (Christmette!) zur emotional-sexuellen Versöhnung des Mannes mit sich selbst, ein Medium, das in allen mit ihr umgehenden Kunden, so furchtbar oder nett sie waren, immer nur das Beste hervorgebracht hat. Den Franz eingeschlossen. Und die deshalb nur umgebracht werden konnte von einer sozial zu kurz gekommenen Lesbe – auf den Nenner könnte «Am Ende des Flurs» bringen, wer die Rechnung mit grossen Strichen macht.
Den «Tatort» macht also nicht so sehr sympathisch, was er erzählt, sondern wie. Der Ivo und der Franz dürfen auf ihre alten Tage mal wieder richtig Alarm schlagen (auch wenn die Suspensionsnummer noch unplausibler ist als die Messerattacke), gerade schauspielerisch: Das kontrolliert-hochgefahrene, gegenseitige Angeherrsche ist ein bemerkenswertes Antidot zur routinierten Dialogverwaltung, die bei der 67. Folge nicht überraschen würde. Und die Auffrischungen haben etwas: Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) ist von dieser münchnerisch-drallen, geschichtslos-feschen Selbstverständlichkeit, die so etwas wie «Normalität, heute» in den wohlständigen Grenzen von Bayern wohl relativ präzise beschreibt – auch wenn in der Figur ein sanftes Echo von Gisbert Engelhardt zu vernehmen ist.
Lisa Wagner als Spezialagentin Christine Lerch hat in «Am Ende des Flurs» eher angenehm esoterische Methoden («Schauen Sie auf Ihren Schuh») aufzubieten, als mit dem Technologiegehuber rumzufetzen, das solchen Experten in ihrer medialen Verbreitung vorauseilt. Fraglich könnte sein, ob die Doppelbelastung aus Samstags-ZDF-Krimi und Sonntags-ARD-Krimi auf Dauer goutiert wird – ein bisschen unterscheiden wollen sich die beiden öffentlich-rechtlichen deutschen Programme eigentlich schon.